Interview mit Elena Kaiser

Am Mittwoch, 25. Oktober überwies der Nidwaldner Landrat eine Motion von Elena Kaiser, mit der sie verlangt, dass Gesundheitseinrichtungen im Kanton Freitodbegleitungen ermöglichen müssen, wenn Bewohnerinnen oder Bewohner dies in Anspruch nehmen wollen (s. Bericht). Der Entscheid fiel mit 36 zu 17 Stimmen überraschend deutlich. Andreas Kyriacou unterhielt sich mit der Motionärin, die seit Februar 2020 für die Grünen im Kantonsparlament sitzt und Mitglied der Freidenkenden ist.

Porträt Elena Kaiser
Landrätin und FVS-Mitglied Elena Kaiser

AK: Liebe Elena, zunächst einmal: herzliche Gratulation zum Erfolg mit Deiner Motion. Hast du zu Beginn der Diskussion vermutet, dass dich eine derart klare Mehrheit unterstützen würde?

Elena Kaiser: Nein, ich dachte, es würde sehr knapp werden, hatte aber aus Gesprächen im Vorlauf der Debatte gehofft, dass die Motion durchkommt. Einige Ratsmitglieder haben offenbar ihre Meinung in letzter Minute geändert. Wichtig war wohl, dass es Voten von Personen gab, die selbst in der Pflege arbeiten und die Wichtigkeit des Selbstbestimmungsrechts des Individuums betonten. Sie machten auch klar, dass es für das Personal belastender ist, wenn jemand sterben will, dies aber nicht darf, als bei einer Freitodbegleitung mitzuwirken.

Du hattest Personen aus allen Fraktionen auf deiner Seite, es war also keine Abstimmung, die von Parteipositionen geprägt war.

Nein, der Umgang mit dem eigenen Tod ist ein sehr persönliches, emotionales Thema, da haben alle ihren eigenen Kompass. Und es zeigte sich: Wer eine Freitodbegleitung aus dem eigenen Umfeld kannte, verstand die Wichtigkeit des Zugangs dazu.

Eine Steilvorlage war, dass die zuständige Kommission deine Motion mit fünf zu drei Stimmen zur Annahme empfohlen hatte – entgegen der Empfehlung des Regierungsrats.

Auch hier war es wohl wichtig, dass Personen aus der Pflege in der Kommission vertreten sind und aus ihrem Berufsalltag berichten konnten. So wurde den anderen klar, dass die kritischen Stellungnahmen von Heimen, auf die der Regierungsrat hingewiesen hatte, nicht die Sicht des Personals widerspiegelten. Und die Kommission liess in ihrer Antwort durchblicken, dass sie mit der oberflächlichen Behandlung des Themas durch den Regierungsrat unzufrieden war.

In der Ratsdebatte kam eines der vehementesten Voten gegen deine Motion ausgerechnet von deinem Fraktionspräsidenten, der katholischer Sozialethiker ist. Vertragt Ihr euch trotzdem?

Ja. Thomas Wallmann ist als Theologe ein sehr guter Redner, aber seine Argumente überzeugen mich natürlich nicht. Und die anderen Mitglieder der SP/Grünen-Fraktion hatte ich auf meiner Seite. Thomas und ich kennen unsere jeweiligen Haltungen und können gut über unsere Meinungsverschiedenheiten bei religiösen Fragen lachen. Bei vielen anderen Themen sind wir uns einig. 

In Zürich und Genf kann die Bevölkerung bald über Vorlagen abstimmen, die das Recht auf Freitodbegleitung in öffentlichen und staatlich subventionierten Heimen garantieren soll. Hast du Tipps für die Ja-Komitees?

Man muss wirklich betonen, dass es um die Bedürfnisse des einzelnen Menschen geht. Wer in einem Heim oder einer anderen Gesundheitseinrichtung landet, konnte sich die Institution meist nicht selbst aussuchen. Er oder sie soll nicht der Weltanschauung des Heimbetreibers ausgeliefert sein.

Und es braucht mehr Aufklärung zum Thema. Bei uns wurde beispielsweise vor einem Sterbetourismus gewarnt, es wurde suggeriert, die Leute würden gezielt in die Heime ziehen zum Sterben. Eigentlich können alle in wenigen Minuten auf den Webseiten von Dignitas und Exit sehen, dass die Freitodbegleitung keine Dienstleistung ist, die man wie eine Pizza bestellen kann, weil einem gerade danach ist. Sie ist an klare Bedingungen geknüpft und es dauert normalerweise Wochen bis Monate vom ersten Gespräch bis zum begleiteten Freitod. Wenn Leute gegen etwas sind, ist’s meist aus Nichtwissen oder Angst. Man muss also mit Kritikern das Gespräch suchen und Aufklärungsarbeit leisten.

Und in Nidwalden? Rechnest du mit einem Referendum?

Es gab keinerlei Ankündigungen während der Ratsdebatte oder danach. Ich denke, die deutliche Mehrheit im Rat hat gezeigt, dass das Anliegen auch in der Bevölkerung klar mehrheitsfähig ist. Aber zunächst muss der Rechtsdienst der Staatskanzlei eine Gesetzesänderung basierend auf meinem Vorschlag ausarbeiten. Anschliessend kommt das angepasste Gesundheitsgesetz zweimal in den Rat. Ob es nach der zweiten Lesung definitiv nicht zu einem Referendum kommt, wissen wir mit Sicherheit natürlich erst dann. Wie schnell das geht, ist noch offen. Der Regierungsrat darf sich zwei Jahre Zeit lassen, um dem Landrat eine Gesetzesänderung zu unterbreiten. Ich hoffe aber natürlich, dass ihn das deutliche Votum zu einem schnelleren Vorgehen animiert.

Weiten wir zum Schluss den Blick noch aus: Gibt es andere Themen, die die Freidenkerinnen und Freidenker in Nidwalden im Auge behalten müssen?

Ja, wir brauchen mehr Trennung von Schule und Religion. Die Kommunionsvorbereitung ist noch immer in den normalen Stundenplan integriert und beansprucht so Zeit, die eigentlich für den Fächerunterricht gedacht ist. Das ist für die Lehrpersonen belastend und das Vorbereiten einer kirchlichen Zeremonie ist selbstverständlich keine Aufgabe der öffentlichen Schule. Auch in anderen Bereichen sind Staat und Kirche noch zu sehr verzahnt. Die Regierung geht jährlich zu einer Wallfahrt nach Einsiedeln und die Ratslegislatur beginnt mit einem Gottesdienst. Wallfahrten und Gottesdienste  haben aber mit den Aufgaben von uns Amtspersonen nichts zu tun. Der Kanton unterhält auch zwei Kappellen, die ihm geschenkt wurden – wohl in der Absicht, die Unterhaltskosten den Steuerzahlern aufbürden zu können. Da sie zwar zugänglich sind, aber nicht wirklich eine öffentliche Funktion für alle haben, sehe ich das kritisch. 

Es gibt also noch viel zu tun. Ich wünsche viel Ausharrungsvermögen und natürlich viele weitere politische Erfolge. Herzlichen Dank für das Gespräch.


Die gebürtige Davoserin Elena Linda Kaiser ist seit 20 Jahren in Nidwalden zu Hause und seit 2020 Landrätin für die Grünen. Sie studierte Kunstgeschichte in New York, und absolvierte an der HSLU ein MAS in Kulturmanagement. Sie war viele Jahre im Kulturbereich tätig und arbeitet aktuell mit einem kleinem Pensum im Haus der Volksmusik in Altdorf. Elena hat ihre ausgeprägte Stricksucht zum Beruf gemacht und in Stans den Wollladen Garnitur eröffnet. Sie jodelt gerne und hat den ersten feministischen Jodelchor Echo vom Eierstock gegründet.