Burkaverbot: Nein, aber

Positionen der FVS

(verabschiedet an der DV vom 29. Mai 2011 in Olten)

Die Menschenrechte sind allgemeingültig und haben Vorrang. Sie bieten einen Lösungsansatz für religionsspezifische Herausforderungen. Gleichstellung der Geschlechter, Vielfalt und Toleranz sind säkulare Werte, auf deren Basis die Religions­freiheit zugunsten der Menschenrechte und des friedlichen Zusammenlebens zu relativieren ist. Burka und ähnliche Gesichtsschleier sind geeignet, Frauen zu unterdrücken. Selbst gewählt sind sie ein Zeichen der bewussten Nicht-Integration. Eine aufgeklärte Gesellschaft darf sich dadurch nicht zu einer Verbotskultur provozieren lassen, darf aber Unterdrückung nicht tolerieren. Die FVS spricht sich gegen die Burka, aber auch gegen ein allgemeines Burkatrageverbot aus.

Kommentar Bei der Diskussion eines Burkaverbots in der Schweiz handelt es sich weniger darum, ein bestimmtes Klei­dungsstück zu verbieten, als vielmehr um einen Konflikt zwischen einem modernen Staat mit oberster Rechtset­zungsbefugnis und religiösen Praktiken, welche dessen Verfassung und säkularen Werten widersprechen. Die Schweiz steht für Errungenschaften wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Bildung. Diese Werte wurden im Laufe der Geschichte in einem breiten demokratischen Konsens in Recht überführt und inte­griert. Deshalb kann sich die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von Konfession und Ge­schlecht – mit der Schweiz identifizieren. Weitere säkulare Werte wie die Gleichstellung der Geschlechter und Vielfalt sind durch die Freiheitsrechte, das Gleichberechtigungsgebot und das Diskriminierungsverbot der Verfassung konkretisiert und geschützt. Die Burka widerspricht der Gleichstellung und wirkt deshalb aus Sicht der Menschenrechte diskriminierend.

Vorrang der Verfassung vor der Tradition

Die längere Tradition von Religionen gegenüber jener moderner Staaten ist kein Argument in der Abwägung von Grundrechten. Jede Weltanschauung – politisch oder religiös –, für die der Mensch erst durch Unterscheidungen wie Mann/Frau, religiöse Überzeugung, In-/Ausländer und vieles mehr an Bedeutung gewinnt, läuft Gefahr, säkulare Werte, insbe­sondere Menschenrechte, zu verletzen und bildet die Grundlage für Ausgrenzung und Gewalt. Der säkulare Staat hat den Auftrag, Menschen ohne Unterscheidung vor Ausgrenzung zu schützen und die Bil­dung einer friedlichen Gemeinschaft zu fördern. Er tut dies auf der Basis von Verfassung und Gesetzen, die Vor­rang haben vor Weltanschauungen. Die Schweiz schuldet sich selbst eine kritische Würdigung der anhaltenden Verletzungen der verfassungsmässig garantierten Gleichstellung von Mann und Frau, der staatsrechtlichen Privilegierung von Religionsgemeinschaften im Steuerrecht und im Bildungs- und Sozialbereich und muss dafür sorgen, dass Kenntnisse der Menschen- und Kinderrechte und der Verfassung zum zentralen Bildungsinhalt werden. Der Einbezug dieser Überlegungen würde die Bedeutung der Diskussion über ein Burkaverbot relativieren und den Weg frei machen für nachhaltige, säkularisierende Massnahmen hin zu einer den heutigen Herausforderun­gen besser gewachsenen, modernen Schweiz.