Verspotten von religiösen Überzeugungen bleibt strafbar

Der Nationalrat erteilt der Abschaffung des Blasphemieartikels eine klare Absage. Religiöse Gefühle geniessen, anders als etwa politische Überzeugungen, weiterhin besonderen Schutz. Die Schweiz verpasst es, ein Zeichen für die Meinungsfreiheit mit internationaler Ausstrahlung zu setzen.

Nationalratssaal
Quelle: Parlamentsdienste 3003 Bern

Artikel 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuches stellt das Verspotten der «Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott» unter Strafe. Gleiches gilt für das «Verunehren» von Gegenständen oder Orten, «die für einen verfassungsmässig gewährleisteten Kultus oder für eine solche Kultushandlung bestimmt sind». Einzig religiöse Überzeugungen, Gegenstände und Orte geniessen durch das StGB einen derartigen Schutz. Doch sind diese wirklich schützenswerter als beispielsweise politische?

Der Nationalrat findet: ja. Er lehnte die Motion zur Abschaffung des Blasphemieverbots am 30. Oktober 2020 mit 115 zu 48 Stimmen bei 12 Enthaltungen ab. Den Vorstoss eingereicht hatte GLP-Nationalrats Beat Flach im Dezember 2018, basierend auf einer Resolution der Freidenkenden Schweiz. Flach argumentierte, das StGB böte den Religionsgemeinschaften und anderen Gruppierungen auch ohne Blasphemieartikel ausreichend Schutz - und dem Rechtsstaat genügend Mittel, um TäterInnen zu verurteilen.1

Doch die Argumente fanden im Nationalrat praktisch nur bei den Grünen und Grünliberalen Gehör. Während hier praktisch alle Fraktionsmitglieder einer Abschaffung zustimmten, erhielt der Vorstoss aus FDP, SVP sowie der Mitte-Fraktion gerade mal eine Ja-Stimme. Bei den SozialdemokratInnen stimmte immerhin ein Viertel dafür, ein weiteres Vierteil enthielt sich der Stimme.

Verpasste Chance

Dabei wäre das Thema aktueller denn je - nicht zuletzt im Hinblick auf die brutale Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty Mitte Oktober, die als klarer Angriff auf die Meinungsfreiheit zu werten ist. Und umso bedeutsamer wäre es gerade in diesen Zeiten gewesen, ein Zeichen für die Meinungsfreiheit zu setzen - auch auf politischer Ebene. Denn die Abschaffung des Blasphemieverbots ist nicht nur für die Binnenwirkung wichtig, sondern zugleich auch ein klares und nötiges Signal an diejenigen Staaten, die Blasphemieverbote dazu nutzen, religiöse Minderheiten und säkulare AktivistInnen zu verfolgen. Länder wie Pakistan, Saudi-Arabien und Russland rechtfertigen ihre Gesetzgebungen gerne mit dem Verweis auf Blasphemieverbote in westlichen Staaten.

Eine Chance, die der Nationalrat mit der Ablehnung der Motion nun verpasst hat. Die Freidenkenden werden sich weiterhin dafür einsetzen - ab Januar 2021 auch mit mehr Ressourcen für die politische Arbeit.


1Artikel 261bis schützt Gruppen und Personen vor Hass und Diskriminierung «wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion». Zudem schützen die Artikel StGB 173–177 alle Personen vor Beschimpfungen und anderen Ehrverletzungen.