"Religion und Kultur": Disput um Dialog im Mutterleib

Zürichseezeitung 11.1.2011

Das Schulfach «Religion und Kultur» hat nicht nur Freunde: Freidenker befürchten, dass ihre Kinder religiös indoktriniert werden. Ein Fall aus Hombrechtikon liefert ihnen jetzt den «Beweis», dass diese Furcht berechtigt ist.

Gibt es ein Leben nach der Geburt? Und gibt es eine Mutter, die für uns sorgt? Über diese Fragen lässt der Theologe Henry Nouwen zwei fiktive Zwillinge im Mutterleib streiten - wobei der religiöse Fötus die besseren Argumente hat. Andreas Koch staunte nicht schlecht, als ihm sein Sohn eines Tages eine Hausaufgabe aus dem Fach «Religion und Kultur» zeigte. Der Schüler sollte einen «Dialog von Zwillingen in der Gebärmutter» analysieren. «Der Inhalt dieses Dialogs hat mich echt aus den Socken gehauen», sagt Andreas Koch, der sich in der Schweizerischen Freidenker-Bewegung engagiert.

Das Gespräch im Mutterleib stammt aus der Feder des holländischen Theologen Henry Nouwen. Seine beiden ungeborenen Protagonisten streiten sich über die Frage, ob es ein Leben nach der Geburt und ob es eine Mutter gebe. Was der eine Fötus - unschwer zu erkennen als skeptischer Naturalist - mit ziemlich engstirnigen und miesepetrigen Argumenten verneint (siehe Kasten links). Der zweite Fötus - er übernimmt den Part des Gläubigen - ist dagegen sympathisch und voller Zuversicht, weil er weiss, dass er nach der Geburt leben und von einer gütigen Mutter umsorgt werden wird.

«Gehirnwäsche verabreicht»

Die Moral der Geschichte ist klar: Wer wie der Skeptiker nur glaubt, was er sieht, ist ein bedauernswertes Geschöpf, das an beschränkter Wahrnehmung leidet. Der Glaubende dagegen «weiss», dass Gott (die «Mutter») auch nach seinem Tod (der «Geburt») für ihn da ist - auch wenn man ihn nicht sieht. Für Naturwissenschafter Koch ist das starker Tobak: «Der ganze Text und die Aufgabenstellung waren so verfasst, dass die Schlussfolgerung eines 13 Jahre alten Jugendlichen sein muss, dass die Weisheit, Grösse, Überlegenheit und damit die Richtigkeit in der Weltanschauung beim glaubenden und die Borniertheit beim skeptischen Fötus liegt», kritisiert er. In einem Brief an Bildungsdirektorin Regine Aeppli geisselt er den «dümmlich-manipulativen» Charakter des Föten-Dialogs. Die kaum kaschierte «Gehirnwäsche» verletze klar das Versprechen der Regierung, dass an den Volksschulen keine religiöse Indoktrination geduldet werde. Für Koch ist klar: «Inhalte dieser Art gehören nicht in den Unterricht.»

Auf den Kontext kommt es an

Tatsächlich ist die Frage, wie viel Religion im Unterricht erlaubt sein soll, umstritten (siehe Kasten rechts). Während Freidenker einen säkularen Ethikunterricht fordern, kommt die Religion nach Ansicht von christlichen Kreisen zu kurz. Der Lehrplan hält fest, dass die Darstellung von religiösen Traditionen und Überzeugungen die Schüler «weder festlegen noch vereinnahmen» soll.

«Ein Ziel des Fachs ist es, dass das Verständnis der Schüler für die einzelnen Religionen gefördert wird», sagt Martin Wendelspiess, Chef des Volksschulamtes. Religiöse Unterweisung sei dagegen tabu. Ob die Behandlung des Föten-Dialogs einen Fall von religiöser Unterweisung darstellt, hängt laut Wendelspiess vom Kontext ab. Sprich, ob den Kindern auch andere, zum Beispiel agnostische Positionen positiv vermittelt werden. «Würden nur einzelne Sichtweisen dargestellt», sagt er, «ginge das Ganze in Richtung Beeinflussung.» Wichtig sei aber, den Unterricht als Ganzes und nicht einzelne Sequenzen zu beurteilen.

Boykott könnte teuer werden

Der Schulleiter der Hombrechtiker Sekundarschule, Matthias Borer, weist Vorwürfe über religiöse Beeinflussung jedenfalls zurück. «Ich habe die Unterlagen der Lehrerin gesehen», sagt er gegenüber der «ZSZ», «sie sind sehr ausgewogen.» Andreas Koch habe sich willkürlich eine Lektion herausgepickt, um gegen das Fach Religion und Kultur zu polemisieren.

Religionskritiker Koch gibt sich mit der Antwort der Schule nicht zufrieden. Im Gegenteil: Er werde Schritte prüfen, um seinem Kind die Möglichkeit zu verschaffen, der «Mogelpackung Religion und Kultur» künftig fernzubleiben, sagt er. Die Entscheidung, den Unterricht «in einer ländlichen Gemeinde wie Hombrechtikon» zu boykottieren, werde er natürlich seinem Sohn überlassen. Wie freidenkerische Aktionen in der «ländlichen Gemeinde» ankommen, hat Koch bereits erfahren: Als er die Gemeindebibliothek im Herbst 2009 mit dem antireligiösen «Ferkelbuch» beglücken wollte, löste er einen kleinen Skandal aus. Was einen allfälligen Boykott von «Religion und Kultur» betrifft, drohen ernsthaftere Konsequenzen: Falls Kochs Sohn die Verantwortung übernimmt, würde er wegen «Schwänzens» zu Strafaufgaben verknurrt. Übernehmen dagegen die Eltern die Verantwortung, droht ihnen eine Anzeige beim Statthalteramt - und eine Busse von bis zu 5000 Franken.

http://www.zsz.ch/zszmeilen/storys.cfm?vID=14946