Kreuzritter aus Seldwyla

Kruzifix-Streit in Triengen:  Zu den Leserbriefen in der Zentralschweizer Presse

Die meisten Kommentatoren ereifern sich darüber, dass ein Fremder den Einheimischen mit mangelndem Respekt begegne, hiesige Gepflogenheiten und Sensibilitäten missachte. Sie gehen davon aus, dass das Althergebrachte grundsätzlich gut sei. Zum Glück wurden in Laufe der Zeit viele "Traditionen" abgeschafft: Die Sklaverei, das Faustrecht, das Verbrennen von Ketzern. Dabei beruft sich der "Deutsche", der in Triengen zwei Kruzifixe abzuhängen versuchte, auf die verfassungsmässige Neutralität des Staates und seiner Institutionen. Viele verkennen, dass Freiheitsrechte Abwehrrechte sind. Sie schützen den Einzelnen vor dem Handeln der Obrigkeit, vor Bevormundung und Zwang. Meinungs- und Redefreiheit haben doch bloss dann einen praktischen Wert, wenn nicht nur Binsenwahrheiten oder anderweitig abgesegnete Statements verbreitet werden dürfen,  sondern im Gegenteil unangenehme, für die Bildung des politischen Willens wichtige Fakten benannt, die verschiedensten Überzeugungen gelebt und geäussert werden können. Ohne Angst vor Verfolgung oder persönlichen Nachteilen.

Auch die Glaubensfreiheit schützt die wenigen, nicht die vielen. Oder ist sie zum Recht der Gruppe verkommen, im Namen einer Religion Privilegien einzufordern und sich über Grundrechte der andern hinwegzusetzen? So sollte es doch selbstverständlich sein, dass beispielsweise Kirchenglocken den Lärmschutzbestimmungen entsprechen. In Triengen klagt ein Vater stellvertretend für seine Kinder die negative Religionsfreiheit ein.  Sie gilt auch für ihn, ungeachtet seiner Nationalität, seiner Hautfarbe, seines Speiseplanes. Es ist egal, wieviele Katholiken, Muslime oder Ungläubige im Schulzimmer sitzen, bzw. von ihren Eltern und Umfeld zu solchen erzogen werden. Massgebend ist einzig, ob der Staat, bzw. die Gemeindebehörden, die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Betroffenen garantiert. Ob ihre Freiheit verletzt wird, zu keinem konfessionellen Bekenntnis und den entsprechenden Praktiken genötigt zu werden.

Im Luzernischen verlangt die Mehrheit  vom Schwächeren nun lautstark, sich ihr gegenüber "tolerant" zu zeigen. Fordern Christen und "Verteidiger der abendländischen Werte" gar die Wiedereinführung des Rechts des Stärkeren, das blanke Willkür ist?

Grazia Annen