Die entspannte Agnostikerin

Reta Caspar, Geschäftsführerin der Freidenker-Vereinigung Schweiz, im Portrait von Markus Hofmann.

Reta Caspar kämpft als Geschäftsführerin der Freidenker-Vereinigung für die Trennung von Religion und Staat. Mit einer Plakatkampagne haben die Freidenker Aufmerksamkeit erregt. Deren Geschäftsführerin sieht sich aber nicht als Missionarin für den Atheismus. Ihre Kinder sind getauft.

Schreibt man über Freidenker, muss man mit dem Negativen beginnen. Denn dies zeichnet sie aus. Sie haben etwas nicht. Sie gehören keiner Religionsgemeinschaft an. Doch es lässt sich auch positiv formulieren. Eine Freidenkerin, wie Reta Caspar eine ist, ist frei. Sie ist frei von einer Konfession. Sie setzt sich nicht nur für die Freiheit des Denkens ein, sie kämpft auch für die Freiheit des Staates von der Kirche. Wichtigstes Anliegen der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, deren Geschäfte Caspar seit 2007 leitet, ist die Laizität. «Die Forderung nach der Trennung von Staat und Religion verbindet unsere 1600 Mitglieder», sagt Caspar in einem kleinen Büro des Freidenker-Hauses, einer Liegenschaft in einem Berner Wohnquartier, die der Vereinigung einst als Legat vermacht wurde. Die Schweizer Vereinigung besteht seit 1908. Doch lange Zeit war es ruhig um sie. Erst die Plakatkampagne - «Da ist wahrscheinlich kein Gott. Also sorg dich nicht, geniess das Leben» -, um die vergangenes Jahr an einigen Orten heftig gestritten wurde, lenkte die Aufmerksamkeit auf die Gruppe, die sich für die Konfessionslosen einsetzt. Zuvor war ein Ruck durch die Vereinigung gegangen. Mit den Terroranschlägen von 2001 sei das Religiöse plötzlich wieder im Fokus gestanden, sagt Caspar: «Als mir Bischof Koch in einer Fernsehdebatte sagte, dass die Stärke des Islams die Schwäche des Christentums sei, wusste ich: Es braucht eine Gegenstimme, die diese religiöse Aufrüstung dämpft.» Caspar ist keine Antireligiöse: «Ich bin keine Religionsfresserin, wir missionieren nicht den Atheismus.» Man könnte sie als eine entspannte Agnostikerin bezeichnen. Geboren ist Caspar 1957 in Thalwil. Sie wächst in einer reformierten Familie auf, doch um die Religion wird kein Aufhebens gemacht. Im Konfirmandenunterricht kommt Caspar in den Kontakt mit evangelikalen Kreisen. «Wie viele Jugendliche war auch ich am Suchen», sagt sie. Sie liest die Bibel, und zwar ganz. Morgens um fünf steht sie auf und widmet sich während zweier Stunden der Lektüre. Sie erkennt das antagonistische Muster von Gut und Böse, das sich wie ein roter Faden durch die Bibel zieht. Und sie bekommt in ihrer Religionsgruppe zu spüren, wie schnell man ausgegrenzt wird, wenn man den Glauben kritisch hinterfragt. Sie verlässt die Gruppe, mit 20 tritt sie aus der Kirche aus.

Caspar hat zunächst nichts mehr mit Religion zu tun. Sie studiert Geografie, später kommt ein Zweitstudium in Jus hinzu. Als junge Mutter wird sie eher zufällig Redaktorin der Freidenker-Zeitschrift. Und als die Freidenker nach einer neuen Geschäftsführung suchen, fällt die Wahl auf die frischgebackene Juristin, die sich eigentlich im Verwaltungsrecht hätte beweisen wollen. Doch Caspar bereut ihre Entscheidung nicht. Die Stelle als Geschäftsführerin lässt ihr viele Freiheiten.

Freiheit, das grosse Wort fällt immer wieder. Wie Caspar für die Anerkennung der Freiheit des Nichtglaubens kämpft, so lässt sie den anderen die Freiheit des Glaubens. Der Vater ihrer zwei Kinder war reformiert. Trotz ihrer Kirchenferne willigte Caspar in die Taufe der Kinder ein: «So schlimm ist das bisschen Wasser auf der Stirn nicht.» Auch konfirmieren liessen sich die Söhne; als sie erwachsen sind, treten sie aus der Kirche aus.

Caspar bestreitet nicht, dass Rituale wie Taufe oder Konfirmation wichtige symbolische Akte der Gemeinschaft sein können. Im Gegenteil. Nur findet sie, dass sich diese auch säkular begründen liessen. Die Freidenker bieten Ritualbegleitungen an. Geburt, Hochzeit oder Tod werden ohne religiöses Bekenntnis begangen. Caspar begleitet solche Rituale. Sie versteht sich dabei als Moderatorin, die die Menschen bei der Gestaltung der Feier berät. Den Kern ihrer Rituale müssen die Menschen selber einbringen. Ist es nicht anstrengend, alles neu erfinden zu müssen? Doch, sagt Caspar: «Frei zu denken, ist keine Hängematte.»

Quelle: NZZ 29.6.2010 p. 9
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