NFP 58: Kirchliche Institutionen haben ausgedient

RELIGIOSITÄT IN DER MODERNEN WELT

Bedingungen, Konstruktionen und sozialer Wandel

Zitate

Zusammenfassung aus dem Schlussbericht.pdf

Konfessionsfreie 2011: 25%

"Der Anteil der Konfessionslosen ist in den letzten 40 Jahren von 1% auf heute rund 25% angewachsen. Offizielle Zugehörigkeit zu einer Konfession oder Konfessionslosigkeit sagt jedoch noch nichts über die religiösen Praktiken und Glaubensvorstellungen der betreffenden Individuen. Beispielsweise können Konfessionslose an Gott glauben oder stark alternativ spirituell sein. Ist man an tatsächlicher religiöser Praxis und religiösem Glauben interessiert, muss man verschiedene religiöse Profile unterscheiden"

Neue Typologie religiöser Profile

"Um die Komplexität des religiösen und spirituellen Feldes der Schweiz zu reduzieren, erstellten wir auf der Grundlage der quantitativen und qualitativen Interviews eine neue Typologie religiöser Profile. Sie zeigen, wie sich die Individuen in der Schweiz zu religiösen und spirituellen Glaubensansichten und Praktiken verhalten. Die Typologie ermöglicht uns anschliessend, den religiösen Wandel darzustellen und das Verhältnis zwischen religiösen Profilen und anderen Phänomenen (Werte, Wahrnehmung von Religion, Verhältnis zu Kirchen) genauer zu analysieren. Die Typologie unterscheidet vier Typen:

Institutionelle (17%) sind Personen, denen christlicher Glaube und christliche Praxis im eigenen Leben viel bedeuten.  Institutionelle glauben sehr häufig an einen einzigen, persönlichen und überweltlichen Gott, der sich für jeden Menschen individuell interessiert. Mitglieder der römisch-katholischen und reformierten Kirchen sind nicht alle "Institutionelle". Letztere machen unter Katholiken 23% und unter Reformierten 15% aus. Die grosse Mehrheit der Mitglieder besteht vielmehr aus Distanzierten (Katholiken: 66%, Reformierte: 70%).

Alternative (9%) sind Personen, denen holistisch esoterische Glaubensansichten und Praktiken im Leben viel bedeuten. Alternative sprechen eher von "Spiritualität" als von "Religion", weniger von "Glauben", als vielmehr von "Erfahrung" und "Wissen". Alternative erfahren etwa den Kontakt mit Engeln und Geistern und wissen um die Reinkarnation, das Gesetz des Karma, kosmische Energien, die Wichtigkeit der Chakren, geheime Meister, heilende Kräfte von Steinen, Pflanzen, Kristallen oder Händen.

Distanzierte (64%) glauben nicht nichts, sie haben gewisse religiöse und spirituelle Vorstellungen und Praktiken. Diese sind in ihrem Leben aber häufig nicht besonders wichtig und/oder sie werden nur in seltenen Fällen aktiviert. Distanzierte bezeichnen sich meist als Mitglieder einer der grossen Konfessionen und bezahlen dementsprechend Kirchensteuern - ansonsten bedeutet die Konfessionszugehörigkeit für sie jedoch lebenspraktisch nicht viel oder gar nichts. Säkulare (10%) sind Personen ohne jede religiöse Praxis und ohne religiöse Glaubensüberzeugungen. Idealtypisch lassen sich zwei grössere Gruppen unterscheiden. Zum einen die Indifferenten. Es handelt sich um Personen, welchen Religion, Kirche, Glaube, aber auch Esoterik oder spirituelle Heilung völlig gleichgültig sind. Zum anderen finden wir in dieser Gruppe die Religionsgegner. Sie kritisieren sowohl institutionelle Religion als auch alternative Spiritualität in oft harscher Weise.

Distanzierte überwiegen auch bei den Konfessionsfreien

"Innerhalb der Reformierten und Katholiken finden wir alle vier Religiositätsprofile, wobei die Distanzierten überwiegen. Innerhalb der Freikirchen finden wir mehrheitlich Institutionelle (85%). Unter den Konfessionslosen überwiegen nicht etwa die Säkularen (20%), sondern die Distanzierten (68%)."

Wer austritt sattelt nicht auf andere Religiositäten/Spiritualitäten um

"Die Alternativen sind zwar unter den Konfessionslosen besonders ausgeprägt; Sie rangieren in dieser Gruppe aber weit hinter den Distanzierten und selbst hinter den Säkularen. Es ist also keineswegs so, wie Stark/Bainbridge (1985) vermuteten, dass Personen, die aus den Kirchen austreten, einfach auf andere Religiositäten/Spiritualitäten umsatteln."

Säkularisierung nimmt zu

"In den vergangenen Jahrzehnten sind die Institutionellen klar zurückgegangen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie von den Alternativen beerbt würden. Deren Anteil scheint vielmehr eher konstant. Dies dürfte auch für die Säkularen gelten. Zunehmen werden hingegen die Distanzierten. Während die Abwendung von der Religion eindeutig zu Lasten der Institutionellen geht, profitieren diese nicht in gleicher Weise von Bekehrungen: Wer Religion erst im Lauf seines Lebens für sich entdeckt, muss nicht zwingend dem institutionellen Religiositätsprofil folgen."

Kirche ist für die "anderen"

"Unabhängig vom religiösen Profil und gestützt auf eine breite Mehrheit der Schweizer Bevölkerung wird den Kirchen eine grosse Bedeutung für sozial Benachteiligte zugesprochen Die Bedeutung für das persönliche Leben ist – abgesehen von den Institutionellen – deutlich nachgeordnet."

Die Schweiz ist kein christliches Land

"An der christlichen Prägung der Schweiz scheiden sich die Geister. Wenngleich die Institutionellen diese Auffassung emphatisch vertreten, so sind doch die anderen drei Typen (d.h. der Grossteil der Bevölkerung) diesbezüglich eher zurückhaltend."

Keine Toleranz gegenüber Intoleranten

"Toleranz in religiösen Belangen wird einhellig betont, zumindest solange als sie auf Gegenseitigkeit beruht. Persönlich oder im öffentlichen Raum durch religiöse Präsenz beeinträchtigt zu werden, ruft Widerstände hervor."

Quellen

Schlussbericht

Medienmitteilung

Kommentar

Die "Gretchenfrage" interessiert also die Mehrheit der SchweizerInnen und auch die Mehrheit der Mitglieder der "Landeskirchen" nicht mehr, sie habe Wichtigeres in ihrem Leben. Sie sind aber deshalb auch nicht gegen die Kirchen organisert, weder politisch noch in Vereinen. Sie verkennen dabei, dass die Gretchenfrage eben auch eine politische Seite hat. Solange die Landeskirchen aus Babies finanzwirksam Mitglieder machen können, die dann nur unter Überwindung bürokratischer Hürden und allenfalls sogar mit sozialen oder wirtschaftlichen Nachteilen austreten müssen, werden die realen Verhältnisse verzerrt und reissen sich die "Landeskirchen" im Namen ihrer behaupteten Gemeinnützigkeit weitere Steuergelder unter den Nagel.

Medienberichte

20 Minuten Konfessionslose, Distanzierte, Säkulare, Alternative, Nicht-Christen: Die Landeskirche in der Schweiz hat laut einer Studie ausgedient. Ist die Schweiz trotzdem ein christliches Land?

http://www.20min.ch/news/schweiz/story/Alles-andere-sein-als-glaeubiger-Christ-27717325