Rechtsgutachten zur Kündigung des Walliser Lehrers

Das ausführliche Gutachten, welches dem Kantonsgericht zugestellt wurde, wird auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wer das Gutachten durchliest, muss feststellen, dass nicht allein die Kündigung von Valentin Abgottspon in missbräuchlicher Art geschehen ist, sondern dass verschiedene Praktiken im Kanton Wallis gegen die Verfassung verstossen.

Rechtsgutachten

Gutachten Abgottspon.pdf verfasst von Prof. Dr. M. Schefer, Uni Basel, Januar 2011

Das Gutachten erwägt einerseits, wie es um die Verfassungsmässigkeit der Anbringung von religiösen Symbolen in Räumen öffentlicher Schulen und Kultushandlungen an öffentlichen Schulen bestellt ist, andererseits geht es der Frage nach, ob in den Aussagen von Valentin Abgottspon eine Verletzung der Treuepflicht vorliegt.

Art. 3 UG ist nicht verfassungskonform

Das Gutachten kommt zum Schluss, dass Artikel 3 des Unterrichtsgesetzes des Kanton Wallis keine Grundlage bietet dafür, einem Lehrer das Aufhängen eines Kruzifixes vorzuschreiben.

Neutralitätsgebot verträgt sich nicht mit religiösen Symbolen

Das Bundesgericht wie auch internationale Gerichte und höchstrichterliche Rechtsprechung des Auslands sind sich einig, dass das Anbringen eines Kruzifixes in einem Unterrichtsraum einer öffentlichen Schule eine einseitige Parteinahme des Gemeinwesens zugunsten des Christentums darstellt. Dadurch wird die Neutralitätspflicht des Staates verletzt. Nach Ansicht der Gutachter ist es im vorliegenden auch Fall nicht zulässig, im Lehrerzimmer der OS Stalden ein Kruzifix aufzuhängen.

Neutralitätsgebot verträgt sich nicht mit Vorbereitungshandlungen für Kultushandlungen

Im Hinblick auf den in Art. 15 Abs. 4 BV enthaltenen Kerngehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist festzuhalten, dass die Teilnahme an Kultushandlungen, beispielsweise der Schulmesse, auf keinen Fall verlangt werden darf. Blosse Vorbereitungshandlungen, beispielsweise das Bestimmen von Messdienern und Lektoren für die Schulmesse, stellen nach Ansicht der Gutachter jedoch nur einen leichten Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit von Lehrpersonen dar. Diese bedürften hinsichtlich des besonderen Rechtsverhältnisses von Lehrpersonen zum Gemeinwesen keiner expliziten gesetzlichen Grundlage. In anderem Licht erscheint die Verpflichtung zur Auswahl von Messdienern und Lektoren aus Sicht der Pflicht des Staates zu religiöser Neutralität. Diese einseitige religiöse Einbindung des Lehrers vermag allenfalls Interessen administrativer Einfachheit zu fördern. Dies genügt jedoch nicht, um die Pflicht zu religiöser Neutralität zu relativeren.

Treuepflicht ist nicht verletzt

Die von Herrn Abgottspon in verschiedenen Medien gemachten Äusserungen fallen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Unter Beachtung der genannten Voraussetzungen an Form und Inhalt der Äusserungen verletzen sie die Treuepflicht nicht. Die von Valentin Abgottspon gemachten Äusserungen sind geschützt durch die Meinungsfreiheit.

Aufgrund der klaren Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Unzulässigkeit von Kruzifixen in Unterrichtsräumen öffentlicher Grundschulen war es für Herrn Abgottspon offensichtlich, dass die Anordnung, das Kruzifix wieder aufzuhängen, rechtswidrig war. Es kann somit Herr Abgottspon nicht als Verletzung seiner Treuepflicht angelastet werden, dass er der Anweisung, das Kruzifix wieder in seinem Unterrichtszimmer anzubringen, nicht umgehend nachgekommen ist. Zudem hat Herr Abgottspon diese Anordnung nicht einfach eigenmächtig missachtet, sondern, indem er eine anfechtbare Verfügung verlangte, deutlich gemacht, dass er die zur Klärung der rechtlichen Situation offenstehenden Verfahren einzuschlagen gedachte. Darin liegt keine Verletzung der Treuepflicht.

Kommentar

Laizität - nicht Verbote

Dass sich der Staat den verschiedenen Religionsgemeinschaften gegenüber möglichst neutral zu verhalten hat, kommt nicht etwa einem Verbot der einzelnen Religionen gleich. Ganz im Gegenteil, eine laizitäre Grundeinstellung bei den Staatsbürgern und ein säkulares Staatswesen sind wichtige Voraussetzungen für den religiösen Frieden und Toleranz unter den verschiedenen Weltanschauungen. Der Staat darf sich nur schon deshalb nicht mit einer einzelnen Konfession oder Religion identifizieren und diese bevorzugen, weil diese Bevorzugung einer Diskriminierung und schlechteren Bewertung der anderen Weltanschauungen gleich kommt. Zudem könnte von nahezu jeder Religionsgemeinschaft dieselbe Behandlung eingefordert werden.

Laizität als Antwort auf die pluralistische Gesellschaft

Die Antwort auf die Herausforderungen in einem pluralistischen Staatswesen ist nicht die Bevorzugung einer bestimmten Religion (hier des Christentums in seiner römisch-katholischen Ausprägung), sondern ein sich neutral verhaltender Staat. Mit Religion dürfen keinesfalls Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt werden. Ein Staat, welcher das Neutralitätsgebot in Sachen Religion jedoch selber missachtet verliert in gewissem Masse an Glaubwürdigkeit. Wie kann er von seinen Staatsbürgern die Einhaltung der Grundregeln (z.B. der Menschenrechte) verlangen, wenn er selber die Gebote der Gleichbehandlung nicht befolgt?

Kt. Wallis muss verfassungskonforme Zustände herstellen

Das Gutachten macht nicht nur klar, dass das Kantonsgericht und der Staatsrat im konkreten Fall Entscheidungen vorzunehmen haben, sondern ebenfalls, dass Legislative und Exekutive des Kantons Wallis nun unverzüglich daran arbeiten müssen, an sämtlichen öffentlichen Schulen verfassungskonforme Zustände herzustellen.

Antragslösung leistet Repressalien Vorschub

Dass an öffentlichen Schulen keine religiösen Symbole angebracht werden, ist ein Gebot der Neutralitätspflicht, an die sich der Staat zu halten hat. Mitnichten ist dieser Zustand erst dann herzustellen, wenn sich eine Person durch die fehlende Neutralität gestört fühlt und diese einfordert. Einerseits kann es nicht angehen, dass ein Kanton einen mit der Verfassung nicht konformen Zustand als Normalfall in Kauf nimmt, andererseits darf es auch nicht sein, dass Neutralität von Staatsbürgern jeweils eingefordert werden muss. Die einfordernde Person setzt sich dadurch dem Risiko der Diskriminierung und Repressalien aus. Es darf nicht sein, dass die einfordernde Person den sozialen Tod zu gewärtigen hat, wenn sie ihre verfassungsmässig zustehenden Rechte einfordert. Die grundsätzliche und durchgehende, flächendeckende Herstellung verfassungskonformer Zustände ist auch geboten, weil sich gezeigt hat, dass regionale Behörden in solchen Fragen überfordert reagieren können und zu unangemessenen Handlungen greifen können. Nicht nur die Präsenz religiöser Symbole, auch die Vorbereitung von Kultushandlungen (Schulmessen) ist höchst problematisch und die gängige Praxis wohl nicht nur zu hinterfragen, sondern auch zu ändern.

Forderung: Transparenz in der Kirchenfinanzierung

Auch in Sachen Transparenz und System der Kirchenfinanzierung (Kirchensteuern usw.) im Wallis wäre dringend eine auskunftsfreudigere Einstellung der Behörden wünschenswert. Seit der Sektionsgründung im Mai arbeiten die Walliser Freidenker an Informationsbeschaffung, versuchen Transparenz herzustellen, Auskünfte einzuholen. Die Sektion hat bis anhin vornehmlich Steine in den Weg gelegt bekommen. Auf Anfragen wurde teils gar nicht, oftmals erst auf mehrfaches Nachfragen und Drängen geantwortet. Es ist unseres Erachtens ein sehr unbefriedigendes Steuersystem, wenn der Staatsbürger nicht weiss (und auch nicht herausbekommen kann!), wie viel seines Geldes tatsächlich in die Unterstützung von Religionsgemeinschaften gesteckt wird. Der auf Verlangen zurückerstattete ‚ordentliche Betrag’ der Kultuskosten stimmt unseres Erachtens nicht überein mit den tatsächlichen Aufwendungen und Ausgaben.