SFTV: "Leiden am Kreuz"

Sendungskritik zur Sternstunde vom 26.12.2010

http://www.videoportal.sf.tv/video?id=042e1a9e-9bc1-4d17-b5cd-c957087c0166;c=white

Natürlich haben wir die Sternstunde vom 26. Dezember 2010 aufmerksam verfolgt und finden es richtig, dass solche Themen in diesem Sendegefäss zur Sprache kommen. Wir sind bestrebt, wenigstens bei JournalistInnen und ExpertInnen genaueres Denken zu fördern und weisen die Beteiligten deshalb darauf hin, dass

1. in der Sendung zuwenig klar getrennt wurde zwischen der Frage des Kruzifixes im Schulzimmer und der Frage von religösen Symbolen im öffentlichen Raum. Herr Kley hat zwar auf die gebotene staatliche Neutralität in Verwaltungsgebäuden etc. gesprochen. Die Nachfragen von Frau Rotach haben gezeigt, dass sie das nicht verstanden hat, geschweige dann wohl das durchschnittliche Publikum. Dasselbe, wenn im gleichen Satz ohne Differenzierung vom Kopftuch der Schülerin und jenem einer Lehrerin gesprochen wird, da werden die rechtlichen Unterscheidungen verwischt statt geklärt. Es wäre schon zu wünschen, dass die Medien - welche ja jeweils keinen unbedeutenden Beitrag zur Skandalisierung leisten - wenigstens in Gefässen wie der Sternstunde mehr in die Tiefe gehen würden und soweit möglich Klarheit zu schaffen versuchen.

2. die Freidenker von Frau Rotach nur im Zusammenhang mit "Verboten" genannt wurden. Scheinbar hat auch Frau Rotach nur die Schlagzeilen der Medien gelesen. Die Freidenker haben sich in den Fällen Stalden und Triengen lediglich auf den Bundesgerichtsentscheid im Fall Cadro berufen. Da wird kein Symbolverbot gefordert, sondern staatliche Neutralität in öffentlichen Schulen. Valentin Abgottspon hat das Kreuz in den Walliser Schulstuben auch nicht "entdeckt", wie Herr Kley meint, sondern ist im Wallis aufgewachsen und hat als Lehrer die Erfahrung gemacht, dass im Wallis an den Volksschulen die Religionsfreiheit der Nichtkatholiken und die gebotene staatliche Neutralität kaum beachtet wird. Er leistet aus unserer Sicht Aufklärungsarbeit, die dringend nötig ist, und hat dabei nicht "nicht Unrecht" - wie Herr Kley leider wiederholt öffentlich sagte -  sondern er hat gemäss Bundesgerichtsurteil von 1990 Recht.

3. das Kernanliegen der Freidenker-Vereinigung, die Trennung von Staat und Kirche, absurderweise nirgends genannt wurde. Auch von Herrn Kley nicht, der immerhin als Jurist feststellen müsste, dass diese Trennung in den Schweizer Kantonen sehr unterschiedlich verwirklicht ist und im Fall Wallis tatsächlich noch ein Schulgesetz besteht, in dem der staatlichen Schule die Aufgabe auferlegt wird, die Kinder auf ihr "Leben als Christ" vorzubereiten. Diese Diskrepanz zwischen verfassungsmässig garantierter Religionsfreiheit und kantonaler Kompetenz im Verhältnis Staat-Kirche wäre urgeigenstes Gebiet des Staats- und Verfassungsrechtlers, weniger wohl seine Ausführungen zur "Herabsetzung von Symbolen" und der "Gefahr der religiösen Indifferenz".

4. der Fall Cadro eigentlich ein Stichwort wäre für den Staatsrechtler zu erklären, was das Bundesgericht jeweils genau macht und weshalb ein Bundesgerichtsentscheid für die schweizer Lebenspraxis nur dann relevant wird, wenn sich jemand vor Gericht darauf beruft. Auch die Frage der Schutzfunktion der Religionsfreiheit wäre ergiebig gewesen: Schutz des Individuums, der Gruppe, oder der ideologischen Inhalte? Schutz der Minderheit oder der Mehrheit?

5. die Frage der ideellen Immissionen nicht so schnell vom Tisch gewischt werden können. Festzustellen wäre etwa gewesen, dass die Lärmschutzverordnung des Bundes für Kirchenglockenlärm keine Grenzwerte setzt, diese quasi als naturgegebene Immission behandelt, die im Einzelfall beurteilt werden muss - das wäre angesichts der Verbreitung von Kirchenglocken immerhin zu diskutieren. Wenn Herr Kley sagt, dass der Gestörte sich selber stört, weil er sich ja einfach nicht aufregen müsse, da muss wohl jede/r JuristIn etwas schmunzeln ... Es ist doch gerade Aufgabe des öffentlichen Rechts zu klären, wieviel an Störung die BürgerInnen zu akzeptieren haben. Da wird es dann klar, dass die BürgerInnen nicht erwarten können, dass sie vor dem Anblick religiöser Symbole geschützt werden. Beim Lärm und auch beim Aufstellen von religiösen Symbolen abseites von eigentlichen Kultusstätten (wie zum Beispiel auf Berggipfeln)  würde es dann aber schon einer Güterabwägung bedürfen darüber, wie weit die Religionsfreiheit den ständigen gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Raumes rechtfertigen kann.

6. die Sendung eine Chance vergeben hat zu zeigen, dass die religionsrechtliche Situation in der Schweiz historisch geschaffen wurde, um innerchristliche konfessionelle Konflikte zu reduzieren. In Zeiten stetiger religiöser Differenzierung und auch Indifferenzierung muss u. E. wohl die Religionsfreiheit vermehrt als Spezialfall der Meinungsäusserungsfreiheit verstanden und die religiöse Praxis im öffentlichen Raum zu Gunsten des öffentlichen Friedens eher zurückhaltend bewilligt werden. Da wären wir dann bei den Baubewilligungen für Gipfelkreuze angelangt und bei Werbebeschränkungen für religöse Zwecke (wie z.B. für politische Zwecke) - ein grosses Feld für den Juristen.

7. auch die Freidenker es schätzen würden, wenn sie selber zu solchen Fragen zu Wort kommen könnten, weil wir die Wissensdefizite der BürgerInnen und JournalistInnen aus unserer Arbeit bestens kennen.

8. die Anmoderation nicht korrekt war: der 26. Dezember ist nicht einfach ein "christlicher Feiertag" - er ist zwar im Kanton Zürich ein öffentlicher Feiertag, in katholischen Kantonen aber gerade nicht. Die nichtmediale Welt ist halt einfach etwas komplizierter...

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