Cathérine Fourest: Unterschiede anerkennen und überschreiten

Es handelt sich bei dem nachfolgenden Text um das Vorwort aus Caroline Fourests letztem Buch "La dernière utopie" (Grasset, Paris, 287 Seiten, 20 Euro), in dem die Autorin den Zerfall der Idee allgemeiner Menschenrechte im Zeichen der Religion (besonders des Islams) und des Multikulturalismus analysiert. Fourest macht in diesem Buch kein Hehl daraus, dass ihr am abstrakten Begriff der Menschenrechte aus der französischen Tradition liegt. Mehr zu dem Buch im Blog der Autorin. Wir danken ihr für die Nachdruckgenehmigung. (Redaktion Perlentaucher)

Eine Utopie stirbt - die Utopie der Menschenrechte, die Perspektive einer Welt, in der alle menschlichen Wesen frei und gleich wären, ohne Unterschied. Ein Traum, der vom ersten Atemzug an in jedem Menschen lebt, dessen Spuren in allen Zivilisationen und Kulturen zu finden sind. Vor sechzig Jahren wurde dieses Ziel in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UN formuliert. Fast ein Wunder. Vielleicht eine Illusion. Denn so ausgelaugt scheint uns die Ambition jener Epoche heute, so umstellt von Feindschaft.

Dank der neuen Technologien und der sozialen Netze schafft sich der Mensch immer weitere Horizonte und immer mehr Kontakte. So gesehen lässt sich die Globalisierung als ein Sprung in Richtung mehr Universalismus sehen - vor allem dann, wenn die Vernetzung dazu dient, die Propaganda von Diktaturen auszuspielen und auf der Basis eines gemeinsamen Ideals Solidarität zwischen Demokraten der ganzen Welt zu schaffen. Allerdings muss man mit dieser Unendlichkeit umgehen lernen. Die Globalisierung der Information bedeutet auch eine Globalisierung von Ängsten und Leidenschaften. Einige Ereignisse wie der 11. September oder der Nahostkonflikt lösen starke Reizreaktionen aus. Je schneller man in dieser Welt reagieren muss, desto unreflektierter, irrationaler sind die Reaktionen.

In der Flut der Nachrichten und Kommunikationsangebote hat der Bürger - der zugleich zappt und surft - Schwierigkeiten, eine Wahl zu treffen. Es ist immer leichter, Kontakte zu dem zu knüpfen, was einem ähnelt. Die Lektüre verliert sich. Wir bekommen Informationen durch das Prisma der Videos im Internet, aus Gruppen, denen wir uns zugehörig fühlen, aus Kanälen, die wir abonnieren. Die Arena der Debatte implodiert durch die Explosion der Medien.

Es handelt sich sicher nur um eine Übergangszeit, die wir brauchen, um diese Unendlichkeit zu fassen. Aber in dieser Zeit weht der Wind gegen den Idealismus. Auf der Tagesordnung stehen nicht mehr die großen Entwürfe, sondern eher der Rückzug: ins Regionale, in die Community, den Clan, den Stamm, die Familie. Staatsnationen lösen sich auf, Balkanisierung droht. Und Joseph de Maistre, der konterrevolutionäre Philosoph bekommt seine Revanche. Er hatte sich bekanntlich über die Idee der universellen Menschenrechte lustig gemacht, die er zu abstrakt fand: "Der Mensch existiert nicht, ich habe nie einen gesehen... Ich habe in meinem Leben Franzosen, Russen, Italiener gesehen... Dank Montesquieu weiß ich sogar, dass man Perser sein kann." Diese Tirade zeigt, wo Universalismus immer schon am akutesten bedroht war: in der Überschätzung äußerlicher Unterschiede. Ob sie nun regional, sexuell, kulturell oder religiös sind. Nicht dass der Universalismus diese Unterschiede leugnet - er will sie überschreiten.

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