Themenabend: Streit um Werte

Das Säli des Restaurants Obergass war so voll wie selten sonst an einem der alle zwei Monate stattfindenden Themenabenden. Dies ist nicht verwunderlich, sprach doch die renommierte und weit herum bekannte Philosophin Prof. Dr. Annemarie über Wertewandel in der Gesellschaft, das Jahresthema 2017 der FreidenkerInnen Region Winterthur. Einladung und Organisation übernahm Olivier Braun.

Werte sind für den Zusammenhalt einer menschlichen Gemeinschaft unverzichtbar. Sie binden egoistisches, auf die eigenen Interessen fokussiertes Handeln an allgemein verbindliche Massstäbe, die zu befolgen von jedem Mitglied der Gesellschaft gefordert ist. Je höher Individualität und Pluralität geschätzt werden, desto stärker wächst die Spannung zwischen Ich und Wir. Umso nötiger sind moralische und rechtliche Normen, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln und der Solidarität einer Wertegemeinschaft Rückhalt verschaffen. In einer Wertedebatte sind vorab folgende Fragen zu klären:

Was ist überhaupt ein Wert?

Das Wort «Wert» hat (a) eine materielle und (b) eine immaterielle Bedeutung: (a) Eine Ware, die etwas kostet, muss ihren Preis wert sein. (b) Der Wert einer Person besteht in ihrer Menschenwürde, die weder angeboren noch erworben ist, sondern auf der Einsicht beruht, dass jedes menschliche Wesen als solches gleich viel wert ist.

Woher kommen unsere Wertüberzeugungen?

In der abendländischen Kultur waren über Jahrhunderte die christlichen Werte massgeblich für das Handeln, Werte, die auf den Willen des Schöpfergottes zurückgeführt wurden. Unter naturwissenschaftlicher Perspektive bildet ein Urknall den Anfang der Evolution. Der Prozess der Evolution vollzieht sich zweck- und wertfrei nach dem Zufallsprinzip. Daher wird der Mensch zum Wertschöpfer, der nach Absicht und Plan handelt und so seinem Leben Sinn zu verleihen trachtet – nicht nur im individuellen, sondern auch im kollektiven Umfeld.

Wie gehen wir mit dem Wandel von Wertvorstellungen um, der häufig zu Konflikten zwischen den Generationen führt?

Da das Wertespektrum eng mit dem Freiheitsverständnis verbunden ist, können mit neu erschlossenen Spielräumen von Freiheit traditionelle Werte ihre Orientierungskraft verlieren und entweder (a) durch neue Werte ersetzt oder (b) umgewertet oder (c) ersatzlos gestrichen werden — wovon man sich jeweils ein Plus an Lebensqualität verspricht.

Haben wir gute Gründe, um unsere Werte gegen Wertvorstellungen anderer Kulturen zu verteidigen, oder müssen wir einen Werterelativismus einräumen?

Das abendländische Wertesystem hat sich im Verlauf von Jahrhunderte langen Freiheitskämpfen durch emanzipatorische und aufklärerische Bemühungen herausgebildet und bewährt. Die Freiheitsrechte werden deshalb über alle Grenzen hinweg jedem menschlichen Wesen zuerkannt, unabhängig davon, ob der universell für die Menschenrechte erhobene Geltungsanspruch de facto von allen geteilt wird oder nicht.

Welche Werte erachten wir in einer demokratisch verfassten Gesellschaft als unabdingbar für ein gutes Leben?

In westlichen Gesellschaften besteht ein weit gehender Konsens hinsichtlich des auf den Wert der Menschenwürde gegründeten Wertsystems. Dieses lässt sich in drei Gruppen von Werten unterteilen, die voneinander abhängig sind und in einer Prioritätenordnung von oben nach unten stehen. Die ethisch-demokratischen Grundwerte fundieren die moralischen und die ökonomischen Werte. Keine der drei Wertgruppen darf von den anderen beiden isoliert und absolut gesetzt werden. Sonst entsteht entweder (a) ein Fundamentalismus, der fanatisch das vermeintlich für alle Gute mit Gewalt durchzusetzen versucht; oder (b) ein rigoroser Moralismus, der den individuellen und nationalen Egoismus radikalisiert; oder (c) ein hemmungsloser Ökonomismus, der sich grenzenloser Profitsteigerung auf Kosten des sozialen Wohles breiter Bevölkerungsschichten verschreibt.

Werte