Der doppelte Hintergrund des Luzerner Neins zum Kasernen-Neubau
Der Abstimmungssonntag vom 25. September 2022 begann mit einer Überraschung. Der Kanton Luzern lehnte einen Beitrag von 400 000 Franken an den Neubau der Kaserne für die päpstliche Schweizergarde in Rom ab. Was waren die Gründe, und was könnte folgen?
Von Claude Longchamp, Politikwissenschafter
Knapp 72 Prozent waren dagegen – ein Knaller! Noch lauter wurde er, als alle Zählkreise vorlagen. Von der Stadt Luzern bis in die hinterste Entlebucher Gemeinde wurde die Behördenvorlage abgelehnt.
Doppelte Öffentlichkeit
Ich war in den Tagen vor der Volksabstimmung mehrfach in Luzern, um meine Stadtwanderung zur Eröffnung des «Global Forum on Modern Direct Democracy» vorzubereiten. Trotz wenig Werbung fiel mir die doppelte Öffentlichkeit zur Kasernen-Abstimmung schnell auf: Da war zuerst ein Konflikt unter Politikern und Politikerinnen. Die bürgerliche Regierung, gestützt vom mehrheitlich bürgerlichen Parlament und den bürgerlichen Parteien, warb dafür. SP, Grüne und Grünliberale waren dagegen, unterstützt von den Jungfreisinnigen. Sodann gab es einen Gegensatz zwischen mehrheitlich befürwortenden Presse (die «Luzerner Zeitung» ausgenommen) und der skeptischen Zivilgesellschaft. Die teils lebhaften Diskussionen waren überwiegend von Skepsis geprägt.
Motor hinter allem waren die Freidenkenden der Schweiz. Sie hatten das Referendum ergriffen, um in Luzern mit seiner geringen Trennung von Kirche und Staat der laizistischen Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen.
Eine Hypothese
Da es keine Nachuntersuchung des Abstimmungsresultats gibt, bin ich auf Hypothesen angewiesen, wer wie und warum dafür oder dagegen gestimmt hatte. Eine davon lautet, es habe sich um einen soziokulturellen Konflikt zwischen liberalen Modernisten (dagegen) und konservativen Traditionalisten (dafür) gehandelt. Dabei hätten Personen dazwischen diesmal mehrheitlich mit der Opposition gestimmt.
Zwar bildeten meist junge Menschen und politisch links Mitte / links Stehende die Speerspitze der Opposition. Für eine so klare Mehrheit wie an diesem Abstimmungstag reichte das aber nicht. Es mussten auch das politische Zentrum, die Mittelschichten und Menschen im mittleren Alter mehrheitlich Nein gesagt haben.
Ein Vergleich zeigt das Typische
Ein Vergleich mit der Abstimmung über die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch erhellt weitere Merkmale der Kasernen-Entscheidung. Auch damals überraschte der Kanton Luzern, als er wider Erwarten zustimmte. Doch entschieden sich der urbane und der ländliche Raum 2002 diametral anders: jene dafür, diese dagegen.
Das nährt schliesslich die Vermutung, zwei komplementäre Gründe hätten zur Ablehnung der Kasernen-Vorlage geführt: Da war die prononciert laizistische Staatsauffassung der Modernisten, dort fand sich der Staatsverdruss gewisser Traditionalisten.
Im Abstimmungskampf reichte es, die verbreiteten Grundstimmungen anzusprechen, die der gesellschaftliche respektive politische Wandel schon länger gelegt hatte: Für erstere war die grundsätzliche Kirchenkritik massgeblich, für zweitere die Unzufriedenheit mit wiederholten Sparübungen von der Schule bis zur Polizei.
Beides zusammen führte zum deutlichen Nein, dass sich so unter den Parteien und in den Medien noch nicht abgezeichnet hatte.
Kantonale Entscheidung mit nationalen Folgen
Die Aufmerksamkeit der nationalen Presse für die Luzerner Volksabstimmung zur Finanzierung des Kasernenneubaus in Rom war gross. Deutlich wurde dabei, dass es ausserhalb Luzerns an einer Möglichkeit der direktdemokratischen Entscheidung fehlte. So blieb die Opposition diffus.
Doch könnte sich die Gegnerschaft nun ausdehnen. Denn die Diskussionen über Sinn und Zweck der Beiträge an die Kasernenstiftung und die Verfahren, mit denen dies beschlossen wird, wurde erst mit dem jüngsten Abstimmungssonntag virulent.
Luzern, der eigentliche Geburtsort der päpstlichen Schweizergarde, könnte so eine nationale Auseinandersetzung zu religiös begründeten Institutionen und Sitten auslösen. Die Entscheidung vom Abstimmungssonntag wäre dann tatsächlich historisch, womit niemand gerechnet hatte.
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