Buchbesprechung: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit von Mai Thi Nguyen-Kim

Wie können wir wissen, was ist? Das neue Buch von Mai Thi Nguyen-Kim liefert Antworten.

Von Andreas Kyriacou

Was wissen wir über die Welt? Welchen Aussagen können wir vertrauen? Wie können wir wissenschaftliche Befunde einordnen? Wie erkennen wir, ob wir einer Schlagzeile zu einer Studie, die dieses oder jenes herausgefunden haben will, Beachtung schenken sollen? Solchen Fragen geht die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem neuen Buch «Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit» nach.

Schwierige Wahrheitsfindung

Die Autorin und Doktorin der Chemie erläutert anhand von Themen, die öffentlich breit debattiert werden, wie schwierig es oft ist, die Wahrheit zu ergründen. Sie zeigt beispielsweise auf, welche Argumente für oder gegen Drogenliberalisierung vorgebracht oder wie die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern erklärt werden. Dabei verdeutlicht sie, dass die Antwort meist ehrlicherweise «es ist kompliziert» lauten muss. Studien beleuchten oft nur Einzelaspekte komplexer Themenfelder und längst nicht jede Forschungsarbeit ist ergebnisoffen konzipiert und auch sonst qualitativ gut gemacht.

Studien-Aussagekraft überprüfen

Nguyen-Kim zeigt aber auf, dass man sich in dem scheinbar unzugänglichen Dickicht von Behauptungen, die sich auf «die Wissenschaft» stützen, durchaus zurechtfinden kann. Sie stellt anhand gut nachvollziehbarer Beispiele dar, wie man Studien auf ihre Aussagekraft überprüfen kann und welches wichtige Fragestellungen sind.

Plädoyer für ein gemeinsames Verständnis

Ihr Buch ist ein Plädoyer für ein gemeinsames Verständnis von Tatsachen. Ohne Einigung, was wirklich ist, scheitert jede Debatte. Die Autorin führt am Beispiel der Aussage, dass 97 Prozent der Klimaforscher davon ausgehen, dass der Klimawandel menschengemacht ist, aus, wie wissenschaftlicher Konsens überhaupt zustande kommt und wieso die Beweislast bei denjenigen liegt, die dem Konsens widersprechen. Nguyen-Kim stellt aber gleichzeitig klar, dass Aussagen, die nahelegen, dass Konsensfindung in der Wissenschaft über Mehrheitsentscheide erfolgten, Quatsch sind. Mai Thi Nguyen-Kim schliesst mit Ausführungen zu wissenschaftlichem Denken, zu wissenschaftlichen Methoden und zur Fehler- und Debattenkultur in der Wissenschaft.

Es gelingt der Autorin – auch dank gut erfassbaren Illustrationen von Ivonne Schulze – ihre Ausführungen in Buchform ebenso verständlich rüberzubringen wie als YouTuberin. Wer die Hörbuchvariante bevorzugt, kann die Illustrationen beim Argon-Verlag gratis beziehen.

 

Buchumschlag Kleinste gemeinsame Wirklichkeit

Mai Thi Nguyen-Kim

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel – die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft

Erschienen am 01.03.2021, 368 Seiten, Droemer Knaur Verlag ISBN 978-3-426-27822-2


Diese Besprechung ist ein Vorabdruck aus der Sommerausgabe unseres Magazins frei denken. Sie erscheint Anfang Juni. Ein Probeabo (2 Ausgaben) kann gratis bei gs@frei-denken.ch bestellt werden.