Grosse Fragen nach dem Sein

Was wäre, wenn wir ewig leben würden? Wie geht man mit der Angst vor dem Nichts um, wie mit dem Verlust einer uns nahestehenden Person? Gedanken über den Tod, das Sterben und das Danach von Mitgliedern der Freidenkenden und Zugewandten.

 

Jan-Niklas Runge (31)

Ich habe keine Angst vor meinem Tod, aber durchaus vor dem Sterben und den damit verbundenen Umständen. Da ich nicht an die Existenz einer Seele glaube, muss ich mir keine Gedanken über meine Situation nach meinem eigenen Tod machen, da ich eine gute Vorstellung davon habe, dass der Tod das Ende ist. Grössere Sorgen bereitet mir dagegen der potenzielle Verlust der eigenen Gesundheit, da man diesen miterlebt und aktiv erleidet. Die Tatsache, dass das eigene Leben unausweichlich endet, erfüllt mich dagegen eher mit der Motivation, das Beste aus dieser Endlichkeit zu machen, und ist für mich – zumindest derzeit – nicht mit Leid verknüpft.


Marianne Erni (65)

Wir alle fürchten den Verlust eines nahestehenden Menschen durch den Tod. Hilft da der Gedanke an ein Paradies? Mir nicht. Ich bin in einem protestantischen Elternhaus aufgewachsen mit einer gläubigen Mutter und einem skeptischen Vater. Hölle und Paradies oder ein ewiges Leben waren kein Thema. Heute sind sie für mich ein Ausdruck der Angst vor dem Nichts.

Als mein Vater vor Jahren starb und vor wenigen Jahren meine Mutter, spürte ich Trauer, aber auch Erleichterung, dass ihr Leiden nach langer Krankheit ein Ende hatte. Mir bleibt die Erinnerung an die schönen Momente mit ihnen. Ich will aber nicht an Vergangenem festhalten. Die Gegenwart bietet so viel Spannendes. Und ich habe liebe Menschen um mich. Das ist das Wichtigste für mich.


Olivier Braun (73)

Was wäre, wenn wir ewig lebten? Um es vorwegzunehmen: Ewig zu leben ist für mich gar nicht erstrebenswert. Ich hätte auf die Dauer alles gesehen, al- les kennengelernt, jede mögliche Erfahrung gemacht – was könnte mir die ewige Zukunft noch bringen, über das ich mich freuen könnte?

In der Natur gilt für jedes Lebewesen ein Prozess des Werdens und Vergehens. Dazu gehört auch das Sterben. Glücklicherweise gilt dies auch für Menschen, die sich im Laufe ihres Lebens viel Reichtum und Macht angehäuft haben und die meinen, das Geschehen auf dieser Welt nach ihren Vorstellungen bestimmen zu können. Das Prinzip des Werdens und Vergehens stellt sicher, dass sich junge Menschen mit neuen Ideen in der Gesellschaft einbringen können. So kann Neues entstehen, das hoffentlich dazu beiträgt, die Welt zu verbessern.


Melanie Hartmann (35)

Wenn jemand Nahes stirbt, fühle ich den Schmerz des Verlusts, Bedauern und die Grenzen meines Wissens. Ich lasse diesen Schmerz ganz bewusst als Form meiner Zuneigung für diese Person zu, um das Mass meiner Leidensbereitschaft für diesen Menschen zu begreifen. Je mehr ich es bedauere, Gelegenheiten ungenutzt gelassen zu haben, während die Person noch ge- lebt hat, umso mehr schäme ich mich dafür, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Es ist mir peinlich, wie sehr ich in der Illusion der Kontrolle gelebt habe («das hat noch Zeit»), aber auch, dass ich so egozentrisch bin und mich auf «ungenutzte Optionen» konzentriere statt auf die Person an sich. Ich werde überwältigt von den grossen Fragen nach dem Sein und Nicht-Sein. Statt mit diesen Fragen zu ringen, setze ich mich in das Auge dieses inneren Wirbelsturms der Theorien und verhar- re dort, ohne mich mitreissen zu lassen. Es tröstet mich, dazu in der Lage zu sein, zu existieren – ohne zu verstehen, wie das überhaupt möglich ist.


Peter Baumgartner (50)*

Drei Jahre ist es her, dass unser Sohn unmittelbar vor der Geburt gestorben ist. Der Verlust war riesig: Mit dem noch ungeborenen Menschen haben nicht nur wir uns bereits innig verbun- den, nein, auch unser ganzer Freun- deskreis. Dieser Freundeskreis war es, der unsere Trauer mittrug. Es kostete Mut, unser Kind nicht «im engsten Kreise der Familie» zu beerdigen, sondern alle Freunde und Bekannten einzuladen zu Beerdigung und Apéro. Die gewaltige Anteilnahme in mündlicher und schriftlicher Form half uns in unserer Trauer und es ergaben sich zahlreiche Gespräche von grosser Tiefe. Es ist erstaunlich, wie viele Men- schen ein Kind oder ein Geschwister verloren haben und einem ihr Herz öffnen, zum Teil erstmals, weil man ih- nen durch den eigenen Verlust und die Offenheit, diesen zu teilen, eine Plattform gibt. Wir hätten es uns anders gewünscht, aber unser Kind, das wir nie lebend in den Händen hielten, hat uns mit wunderbaren Begegnungen beschenkt, und dafür sind wir ihm von Herzen dankbar.

* Name der Redaktion bekannt


Daniel Goldberg (38)

Als Kind wurde das Thema Tod mir gegenüber immer sehr abstrakt und esoterisch geprägt vermittelt. Tod war ein Übergang in eine andere Ebene, in eine andere Sphäre. Ein Gemischtwarenladen an kruden Ideen aus dem schlechtesten der religiösen und esoterischen Konstrukte. Den Rahmen dafür lieferte eine ursprünglich in Egg im Kanton Zürich lebende Schweizerin mit dem bürgerlichen Namen Erika Bertschinger-Eicke, besser bekannt unter ihrem «Künstlernamen» Uriella. In die Arme ihrer Sekte gerieten meine Eltern, als ich vier Jahre alt war. Mit der Welt, die bis heute die Welt meiner Eltern ist, konnte ich nie etwas anfangen. Ich fühlte mich immer fremd, weshalb ich auch kurz vor meinem 17. Geburtstag bei meinen Eltern auszog. Meine wichtigste Bezugsperson und grösste Stütze war meine Grossmutter. Sie stärkte meinen Rücken, wenn ich an den Sektenstrukturen zu zerbrechen drohte. Sie unterstützte mich dabei, mein eigenes Leben zu führen, sie war stets für mich da. Sie war so ziemlich die einzige Person, die meine Eltern in ihre Schranken wies, wenn sie es mit ihren Konstruk- ten übertrieben. Ihr Tod vor rund zehn Jahren ging mir sehr nah. Es brauchte einige Zeit, um zu realisieren, dass ihr Leben geendet hatte. Die Gedanken, die Erinnerungen an sie zaubern mir jedoch stets ein Lächeln ins Gesicht. Ein weiterer Todesfall – fern von mir, aber dennoch äusserst wichtig – war der Tod von Uriella Anfang 2019. Meine Mutter rief mich an und berich- tete mir von ihrem Tod. Emotional wir- belte diese Nachricht vieles in mir auf. Meine Kindheit und Jugend und die Begegnungen mit ihr und anderen Sektenmitgliedern kamen wie in einem schlechten Film an die Oberfläche. Ihr Tod war für mich der Abschluss eines Lebensabschnitts, unter den ich nun endlich auch innerlich einen Schluss- strich ziehen konnte. Fast schon symbolisch vollzog ich diesen Schritt, indem ich einer Journalistin des «Südkuriers», die ich persönlich kenne, damals betätigte, dass Uriella gestorben ist. Einen halben Tag später vermelde- ten sämtliche Schweizer Medien den Tod von Uriella.


Auch FVS-Kommunikationsleiterin Simone Krüsi hat sich Gedanken zum Thema gemacht. Zu lesen in der Freidenkenden-Kolumne auf nau.ch.