«Machen statt beten»: C2C-Kreislaufwirtschaft - jetzt!
Der Erhalt der Umwelt für unsere Nachfahren und Mitlebewesen ist ein zentrales humanistisches Anliegen. Nur kreative WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen können den Karren noch aus dem Dreck ziehen - sofern die Wirtschaft mitmacht.
Am Sonntag, dem 15. Dezember 2019 fand der jährliche Jahresend-Brunch für Mitglieder der FreidenkerInnen Zürich und Interessierte statt. Der angenehme Durchführungsort war diesmal die «Kantine im 5i», unweit Zürich Hardbrücke.
Im Rahmen der Veranstaltung haben wir uns für einmal einem ur-humanistischen Anliegen abseits der Religionskritik gewidmet: der Erhaltung der Umwelt für unsere Nachfahren und andere Lebewesen. Das bedeutet nicht nur, CO2-Ausstoss zu reduzieren und PET-Flaschen zu recyceln. Vielmehr müssen die Produkte, die wir verwenden, komplett neu erfunden werden.
Hier setzt «Cradle to Cradle» (C2C) an - kurz: von der Wiege zur Wiege. Es ist nicht bloss ein Buzzword, sondern eine Notwendigkeit und ein Prinzip, das aus wissenschaftlicher Sicht interessant ist, viel Erfindungsgeist und Ingenieurskunst erfordert und mit dem sich die Wirtschaft in aller Welt - auch in der Schweiz wird befassen müssen. Den Vortrag zum spannenden Thema hielt Albin Kälin, CEO der EPEA Switzerland GmbH. Er ist in der Schweiz die Person, die am meisten darüber weiss, wie Produkte neu gedacht werden müssen, damit sie den zwar hohen, aber vernünftigen Anforderungen von C2C entsprechen.
Einige Erkenntnisse aus dem Vortrag
- CO2 ist nicht das einzige Problem, mit dem sich die Menschheit befassen muss. Die Rohstoffe für unsere Produkte - so wie wir sie jetzt herstellen - sind nicht endlos verfügbar.
- Viele der Materialien (z.B. in PET-Flaschen) enthalten schädliche Stoffe, die erstens bei der Herstellung die Umwelt gefährden, zweitens in die Lebensmittel (z.B. Süssgetränke) übergehen und drittens beim so genannten Recycling zu einem eigentlichen Downcycling führen: Der Rohstoff hat nach dem Recycling eine schlechtere Qualität und erhöht die Gefährdung für Mensch und Umwelt noch mehr.
- Die Schweiz rühmt sich als Recycling-Land: Die meisten von uns sammeln ja akribisch Altpapier, Karton, Alttextilien, Altglas, Altmetall und PET - und wer kann, verfüttert Küchenabfälle an einen Komposthaufen oder wenigstens einer Grünabfuhr. Aber trotz dieser Mühen sind wir dennoch Abfall-Weltmeister.
- Die aktuell verwendeten Materialien sind u.A. Verbundstoffe, die sich nicht vernünftig rezyklieren lassen: Schon in scheinbar umweltfreundlichen Nachfüllbeuteln von Seife oder Waschmitteln haben wir verschiedene Kunststoffschichten, oft noch mit einer Aluminiumschicht dazwischen. Das lässt sich nicht recyceln, sondern nur verbrennen.
- Derzeit steht am Ende jedes Produkts nicht dessen Wiederverwertung, sondern die Mülltonne oder - besonders in der Schweiz - der Verbrennungsofen.
- In der Schweiz wird statistisch viel Augenwischerei betrieben, indem man den in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannten Abfall als «Recycling» aufführt, weil ja die dabei entstehende Abwärme für Fernwärme benutzt wird. Mit besten Filteranlagen wird damit vielleicht etwas CO2 eingespart, weil die Haushalte weniger Heizöl verbrennen, aber die verbrannten Rohstoffe verschwinden trotzdem für immer aus dem Kreislauf.
- Anfangs hat man in der Schweiz den «Grünen Punkt» und die gelben Kunststoffsammelsäcke in Deutschland noch belächelt. Heute müssten wir uns eingestehen, dass in Deutschland genau wegen dieser Massnahmen mehr Kunststoffe einen Weg zurück in die Produktion finden als in der Schweiz.
- Die EU ist uns mit dem kürzlich beschlossenen «New Green Deal» voraus. Die Schweiz sollte doch - als Innovationsweltmeisterin in anderen Bereichen - den Anschluss gerade hier nicht verpassen.
- Wir hinken in der Schweiz nicht nur der EU hinterher. In China wurde der Import von Elektronik- und Plastikabfällen bereits verboten. Bald dürfte dort auch ein Verbot der Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren an der Reihe sein.
- «Cradle to Cradle» bedeutet übrigens definitiv nicht, dass auf Kunststoffe verzichtet werden muss. Es sei heute gar nicht mehr möglich, ohne Kunststoffe auszukommen, so Albin Kälin. Aber diese müssen neu gedacht und erfunden werden.
- Und sind zum Teil schon da: Es existieren für verschiedene Zwecke schon Materialien (Polymere), welche die meisten Anforderungen für ein C2C-Label erfüllen: Es werden bei der Produktion keine problematischen Stoffe in die Umwelt gelassen, die Materialien geben während der Nutzung keine Schadstoffe ab (z.B. durch Übertragung an die damit verpackten Nahrungsmittel), sind mehr oder weniger verlustfrei rezyklierbar und/oder sind auch biologisch abbaubar.
Fazit: Man muss es nur endlich machen
Die rege Diskussionsrunde nach Albin Kälins Vortrag zeigte, dass dieses komplexe Thema bei unseren Mitgliedern verstanden wurde und auf viel Neugier und Interesse stiess. Es kann und darf doch nicht sein, dass schon Lösungen da sind, während sich die Wirtschaft nicht darum schert. Die Autorin persönlich interessierte etwa auch die Rolle von Patenten, die in der Vergangenheit eher dazu geführt haben, dass wichtige Innovationen verhindert wurden. EPEA-Switzerland-CEO Albin Kälin sieht dies nicht als Gefahr für die Innovation im Rahmen von C2C: Patente seien etwas für die alte Denkweise.
Die Wirtschaft muss sich lieber früher oder später mit C2C befassen, weil es schlicht nicht mehr anders geht. Und zwar in allen Branchen, die gegenständliche Produkte herstellen und vertreiben, seien es nur beispielsweise Verpackungen in der Nahrungssindustrie, seien es Textilien, Elektronikartikel, Möbel, Spielsachen, Produkte im Baugewerbe und auch in der Papierindustrie und dem Zeitungsdruck.
Es ist damit zu rechnen, dass auch die Politik früher oder später wird Zwang ausüben müssen - Lobbyverbände hin oder her. Jedes Unternehmen, das sich schon vorher für ein Um- bzw. Neudenken der Produkte entscheidet, dürfte wirtschaftlich gegenüber der Konkurrenz die Nase vorne haben.
Niemals waren die Anforderungen an die Wissenschaft und Wirtschaft so hoch wie heute. Andererseits gab es auch niemals ein grösseres, wichtigeres, kreativeres und mutmasslich auch lukrativeres Betätigungsfeld für ChemikerInnen, IngenieurInnen, PhysikerInnen, ProduktdesignerInnen und so weiter. Mit viel Grips und Schaffenskraft ist eine saubere Kreislaufwirtschaft zumindest theoretisch zu schaffen - und sogar in der Praxis, wenn Wirtschaft und Politik aufhören, auf den eigenen Händen zu sitzen.
(Bericht: Gabriela Salvisberg)