30 Jahre Terror gegen Salman Rushdie
Heute vor 30 Jahren Jahren rief Schreckensherrscher Ruhollah Khomeini dazu auf, Salman Rushdie zu töten. Weil dieser ein Buch geschrieben hatte. Dies ist auch heute noch ein Skandal.
Saladin und Gibril besteigen in Bombay dasselbe Flugzeug nach London. Sie stammen beide aus muslimischen Familien, ihre Herkunft ist dennoch grundverschieden. Saladin, Sprössling einer wohlhabenden Familie, wuchs mehrheitlich in England auf und verdrängt seine indische Herkunft. Sein Landsmann Gibril, ein aus einfachen Verhältnissen stammender Bollywood-Star, ist unterwegs zu seiner englischen Geliebten. Das Flugzeug wird entführt, und schliesslich über dem Englischen Kanal zum Absturz gebracht. Saladin und Gibril klammern sich aneinander und stürzen hinab. So beginnt Rushdies Roman «Die Satanischen Verse», der in Grossbritannien im September 1988 erschien.
Beide Protagonisten machen während ihres Sturzfluges seltsame Wandlungen durch. Gibril mutiert zum Erzengel Gabriel und beginnt zu halluzinieren, Saladin hingegen nimmt teuflische Züge an. Erstaunlicherweise schaffen sie es beide ans Land. Saladin wird verhaftet und der illegalen Einwanderung bezichtigt, Gibril leistet ihm keine Hilfe. Als Saladin freikommt, will er sich an Gibril rächen – das Schicksal der beiden, die sich im normalen Leben wohl nie begenet wären, verzahnt sich immer mehr.
In diese Rahmenhandlung flocht Rushdie Geschichten aus der Frühzeit des Islam ein. Eine davon gab dem Buch seinen Namen: Der Teufel soll Mohammed verfälschte, polytheistisch inspirierte Inhalte eingeflüstert haben – die satanischen Verse. Rushdies ebenso kenntnisreiche wie satirisch aufgeladenen Abhandlungen der islamischen Religionsgeschichte sorgten innert weniger Wochen nach Erscheinen des Buches für gut orchestrierte Empörung, sein Heimatland Indien verbot den Import auf Druck der muslimischen Minderheit im Oktober 1988, kurz danach zogen Bangladesh, Sudan, Südafrika und Sri Lanka nach. Rushdie argumentierte, es sei kein Buch über den Islam, sondern eines über Migration, Verwandlungen, gespaltene Persönlichkeiten, Liebe, Tod und Bombay.
Doch das Feuer war gelegt. Im englischen Bolton (bei Manchester) demonstrierten im Dezember 1988 7000 Muslime, wenig später organisierten in ihren religiösen Gefühlen Verletzte eine Bücherverbrennung in Bradford. Am 10. Februar 1989 versammelten sich 10’000 Pakistani in Islamabad, ein Teil der Demonstranten attackierten das American Cultural Center und einen American-Express-Bürobau. Es gab mehrere Tote.
Es war zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass mit Hass auf Rushdie bei Fundamentalisten Punkte zu holen waren. Am 14. Februar erliess der selbsternannte geistige Führer der Iraner, Ruhollah Khomeini, eine Fatwa gegen Salman Rushdie, alle Herausgeber, Übersetzer und sonstigen Involvierten, die den Inhalt des Buches kannten.
Muslimische Hardliner bejubelten das Urteil, und zwar nicht nur im Iran und anderen muslimisch beherrschten Ländern. Die Britische Union of Islamic Students' Associations in Europe verkündete öffentlich, sie würden ihrem geistigen Führer zu Diensten stehen. Im Mai 1989 verbrannten 15’000 Muslime in London eine Rushdie-Puppe. Cat Stevens, der einst christliche Schnulzen sang, verkündete in einer Fernsehsendung unter seinem Konvertitennamen Yusuf Islam, dass er Khomeini selbstredend informieren würde, sollte Rushdie bei ihm klingeln. Und auf die Frage, ob er sich am Abbrennen einer Rushdie-Puppe beteiligen würde, antwortete er: «I would have hoped that it'd be the real thing.»
Am 3. Juni 1989 vollbrachte Khomeini endlich eine gute Tat. Er starb. Die Fatwa aber blieb in Kraft. Mit blutigen Folgen. Im Juli 1991 wurde der Italienische Übersetzer lebensgefährlich verletzt und sein japanischer Berufskollege umgebracht. Rushdie musste jahrelang untertauchen und beständig seinen Aufenthaltsort wechseln. 1993 starben bei einem Anschlag auf ein Literaturfestival, an dem der türkische Übersetzer auftrat, weitere 37 Menschen.
Am 24. September 1998 gab der angeblich moderate Staatspräsident Mohammad Khatami bekannt, man würde einen Mordanschlag auf Rushdie weder unterstützen noch verhindern. Am 14. Februar 2006 verkündete die staatliche Iranische Nachrichtenagentur, die Fatwa würde dauerhaft in Kraft bleiben. Sie wurde bis heute nie widerrufen. Dass man dem Iran dies einfach durchlässt, ist und bleibt skandalös.
Einer aber trotzt der Fatwa: Ungeachtet der noch immer lauernden sehr realen Gefahr lässt sich Rushdie nicht mehr in den Untergrund treiben, er lebt heute freiwillig ohne Polizeischutz und tritt auch wieder öffentlich auf. Möge noch viel von ihm zu hören und zu lesen sein.
Andreas Kyriacou