Zürcher Kirchenstudie: Quantität vor Qualität
Beim Versuch, das Verhältnis zwischen Kanton und Religionen weiterzuentwickeln verlässt sich der Kanton Zürich auf eine ungeeignete Studie. Sie winkt viel missionierendes Verhalten als «nicht kultisch» durch.
Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich hat zusammen mit den evangelischen und katholischen Landeskirchen das Institut für Politikwissenschaft der Uni Zürich mit einer Studie über «kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich» beauftragt. Die StudienautorInnen haben sich mutmasslich an die Aufgabenstellung gehalten. Das zentrale Problem ist nur: Die mit der Studie zu klärenden Fragen erscheinen nicht passend, angesichts des Zwecks, den die Studie fortan erfüllen sollte. Siehe hierzu auch: «Der Kanton Zürich weiss immer noch nicht, wofür er den Kirchen jährlich 50 Mio. zahlt».
Wenn man keine Messwerte für die Qualität oder Effizienz einer Dienstleistung hat oder keine festlegen will, und wenn man die potentiell unerwünschten Auswirkungen ausklammern möchte, greift man zu einer rein quantitativen Erhebung. Die ermittelt im vorliegenden Fall nur, ob viel gemacht wird. Anders gesagt: Es wurde in der Studie nur gemessen, ob die Kirchen für ihr Geld eine angemessene Anzahl Tätigkeiten unter dem Label «mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung» durchführen. Schönfärberisch wirkt es zudem, wenn überwiegend missionarische Tätigkeiten noch als «nicht kultisch» gerechnet werden. Schauen wir uns die Zahlen bzw. Messverfahren genauer an.
Black-Box-Problem
Die Datenerhebung der Kirchenstudie verlangte eine Klassifizierung jeder Tätigkeit in eine von vier Kategorien: kultisch, nicht kultisch, gesamtgesellschaftlich bedeutend oder nicht von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Die Studie erfasste insgesamt etwa 85'000 Einträge, welche die reformierten und katholischen Kirchgemeinden Zürichs von Herbst 2015 bis Herbst 2016 notiert haben. Ein Problem dabei: Der Datensatz, auf dem die gesamte Studie basiert, ist nicht öffentlich. Es gibt also keinerlei Kontrollmöglichkeiten darüber, um welche Tätigkeiten es sich genau handelte und ob diese korrekt in das Schema der vier Kategorien eingeordnet worden sind. Ein paar in der Studie genannte Beispiele reichen nicht für eine korrekte Beurteilung. Die erhoffte Beantwortung der Frage darüber, welche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung die Kirchen nun ausüben, bleibt weiterhin aus.
Zahlenschieberei: «kultisch» vs «nicht kultisch»
Die Kirchgemeinden haben viele Tätigkeiten erfasst. Die Beurteilung erfolgte durch die Kirchen selbst, wobei schon diese Selbstdeklaration heikel ist: Wie hoch war der kultische (klar religiös geprägte) Anteil bei einem Angebot? Hat es sich an die ganze Bevölkerung gerichtet oder primär an Kirchenmitglieder? Und haben eher Mitglieder oder auch Nichtmitglieder das Angebot wahrgenommen?
Wenn sich eine Tätigkeit an Kirchenmitglieder wendete (etwa Gottesdienste, Taufe usw.), hat man diese als kultisch oder «ohne gesamtgesellschaftliche Bedeutung» eingeordnet. Bei den kulturellen, sozialen oder Bildungsangeboten, hat man eher zur Einordnung in «nicht kultisch» und «von gesellschaftlicher Bedeutung» gegriffen. Für die Studie wurden allerdings sehr sonderbare Schwellenwerte angewendet, die sich kaum nachvollziehen lassen.
Stirnrunzeln bei den Schwellenwerten: Die Studie hat alles als «gesamtgesellschaftlich bedeutend» gewertet, wenn der Anteil an Kirchenmitgliedern unter den Nutzenden weniger als 60% betrug. Woher kommen die 60%? Betrachtet man die tatsächlichen Mitgliederzahlen der reformierten oder katholischen Kirche im Kanton Zürich, dürfte dieser Schwellenwert höchstens bei 27% (bei Angeboten der katholischen Kirche) liegen und bei 33% bei jenen der reformierten. Es ist, als habe man für diese Zahl schlicht beiderlei Sorten Kirchenmitglieder in einen Topf geworfen.
Noch schwerer verständlich wird es, wenn man sich den Schwellenwert für «kultisch» bzw. «nicht kultisch» anschaut. Dieser oszilliert nämlich zwischen 50 und 60% - und nicht etwa zwischen 0 und 10%. Bei einem «nicht kultischen» Angebot würde man keinerlei kultische Inhalte erwarten. Es fehlte eine Kategorie «teilweise kultisch». Der Schwellenwert wurde aber für die meisten Tätigkeiten auf 50% gesetzt. Angebote, die bis zu 49% religiöse Inhalte transportierten, gelten in der Studie als nicht kultisch. Das steigert sich noch weiter beim Schwellenwert bei allem, was besonders anfällige und gefährdete Menschen betrifft, nämlich bei der Bewertung der Angebote für Suchtkranke, für Armutsbetroffene oder Stellenlose. Da durfte der religiöse Inhalt bis zu 59% betragen, um noch als «nicht kultisch» durchzugehen. Dies klingt nach einem idealen Umfeld für einen Dogma-Spillover, den wir im anderen Artikel «Der Kanton Zürich weiss immer noch nicht, wofür er den Kirchen jährlich 50 Mio. zahlt» erklären.
Darf man also unter den Schwächsten der Gesellschaft missionieren und dennoch als «nicht-kultisch» durchgehen, solange man nur knapp zwei Drittel eines Gesprächs mit dem Missionieren verschwendet? So jedenfalls können die Ergebnisse aus der Studie «kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich» gelesen werden.
(Analyse der Studie: Marko Kovic, ars cognitionis; Text: Gabriela Salvisberg, FreidenkerInnen Zürich)