Braucht es in der Schweiz ein Burkaverbot?


Soll es Frauen in der Schweiz künftig untersagt werden, das Gesicht zu verhüllen? Die die Integrationspädagogin Sevinc Alkan und die feministische Theologin Doris Strahm sind sich in dieser Frage uneins.

Für das Burkaverbot

Sevinc Alkan

Von Sevinc Alkan, Integrationspädagogin und Personal Trainierin

Nach dem Kanton Tessin hat im September nun auch die Bevölkerung des Kantons St. Gallen ein Burkaverbot gutgeheissen, was mich sehr freut. Obwohl einige Kreise die Symbolkraft der religiösen Verschleierung im politischen Islam kulturrelativierend herunterzuspielen versuchen, bin ich überzeugt, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung sehr wohl zwischen dem politischen Islam und dem Islam, welchem sich säkulare Türkinnen wie ich zugehörig fühlen, differenziert. Der Islam gehört nach Europa, aber nicht der politische Islam mit seinen patriarchalischen Strukturen und Symbolen, zu welchem die Burka gehört. Ich stehe für Religionsfreiheit ein. Jeder Mensch soll so leben, wie er will. Eine Burka hat jedoch mit der Religion Islam nichts zu tun. Die Burka ist eine Erfindung von Patriarchen im Umfeld des politischen Islam und dient der herrischen Ordnung in dieser Ideologie. In einer fortschrittlichen und zivilisierten Gesellschaft sollte es keinen Platz für eine Gesinnung geben, die derart unnachgiebig den Körper einer Frau zu eigen macht.

Als säkulare und politisch links orientierte Türkin kann ich sehr gut nachvollziehen, dass gerade muslimisch geprägte Länder die Burka verbieten: Marokko hat die Herstellung und den Handel mit Burkas verboten, und Algerien untersagt das Tragen der Burka bei der Arbeit. Auch säkulare Aktivistinnen wie die aus Ägypten stammende Mona Eltahawy oder Maryam Namazie, die im Iran aufwuchs, fordern als Feministinnen ein Burkaverbot. Wir sollten diesen mutigen Frauen nicht mit falscher Toleranz gegenüber religiöser Misogynie in den Rücken fallen.

Die Burka fördert weder eine Akzeptanz noch eine Integration in unsere hiesige Gesellschaft. Religion soll Privatsache sein und vor allem eine Herzensangelegenheit.

Senvic Alkan engagiert sich beim alevitischen Kulturverein und der türkischen sozialde- mokratischen Partei CHP


Gegen das Burkaverbot

Von Dr. theol. Doris Strahm, Publizistin

Ein Burkaverbot in der Verfassung ist ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, der eines liberalen Rechtsstaats nicht würdig ist. Keiner Frau darf vom Staat oder sonst wem vorgeschrieben werden, wie sie sich zu kleiden hat. Als Feministin bin ich sowohl gegen die Zwangsverschleierung wie auch gegen die Zwangsentschleierung muslimischer Frauen. Das Burkaverbot trifft die Falschen: Im Falle einer Zwangsverschleierung trifft es die «Opfer», das Umfeld hingegen bleibt unbestraft. Zur Verschleierung gezwungene Frauen sollten nicht zusätzlich vom Gesetz bestraft und gebüsst werden. Stattdessen braucht es viel mehr Anlaufstellen und Unterstützungsangebote für betroffene Frauen. Ein Verbot würde die betroffenen Frauen zudem weiter in die Isolation treiben. 

Das Burkaverbot zielt auf ein «Problem», das in der Schweiz de facto kaum existiert. Bei den wenigen Burkaträgerinnen, denen man bei uns begegnet, handelt es sich meist um Touristinnen oder Konvertitinnen – und gerade letztere verhüllen sich freiwillig und aus Überzeugung. Diese Frauen müssen vom Staat nicht befreit werden.
Burkaträgerinnen sind kein Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft. Situationen, in denen die Gesichtserkennung für die eindeutige Identifikation unabdingbar ist, sind bereits rechtlich geregelt.

Ein Burkaverbot ist wie das Minarettverbot reine Symbolpolitik. Es geht den Initianten nicht um den Schutz von Frauenrechten, sondern generell um den Islam und um die Bewirtschaftung muslimfeindlicher Gefühle. Ginge es ihnen um Frauenrechte, dann müssten sie an vorderster Front für die Durchsetzung der Lohngleichheit und gegen sexualisierte Gewalt an Frauen kämpfen.

Doris Strahm ist Mitgründerin und Vizepräsidentin «Interreligiöser Think-Tank»: 8 Gründe für ein NEIN zu einem Burka-Verbot, www.interrelthinktank.ch


Die beiden Stellungnahmen erschienen in der Rubrik «Pro & Kontra» der Ausgabe 4/18 unserer Zeitschrift «frei denken». Ein kostenloses Probeabo (2 Ausgaben, ohne automatische Verlängerung) kann per Mail an gs@frei-denken.ch bestellt werden.