Organspende: Zustimmungs- oder Widerspruchslösung?

Eine Volksinitiative schlägt einen Systemwechsel bei Organspenden vor. Wer nach seinem Ableben seine Organe spenden will, soll dies nicht länger mit einem ausgefüllten Organspenderausweis bezeugen müssen. Vielmehr soll sich in ein Register eintragen müssen, wer der Organentnahme widersprechen will.

Swisstransplant-CEO Franz Immer und Medizinethiker Jean-Daniel Strub sind sich über den richtigen Weg uneins.

Für die Widerspruchslösung

von PD Dr. med. Franz Immer

Im Oktober 2017 lancierte die Junge Wirtschaftskammer Riviera eine Volksinitiative, welche auf dem Gebiet der Organspende die Wiedereinführung der vermuteten Zustimmung verlangt. Dies bedeutet, dass bei jeder verstorbenen Person, die für eine Organspende infrage kommt, von deren Einverständnis für eine Spende ausgegangen werden kann – ausser, sie hat zeitlebens in einem Register eingetragen, dass sie nicht spenden möchte, oder die nächsten Angehörigen lehnen die Spende im Gespräch ab.

Die Modalität der vermuteten Zustimmung kommt heute in praktisch allen europäischen Ländern zur Anwendung.

In der Schweiz kannten 17 Kantone das System der vermuteten Zustimmung, welches oft auch als Widerspruchslösung bezeichnet wird. Das System wurde bei der Inkraftsetzung des neuen Transplantationsgesetzes 2007 vereinheitlicht. Seither gilt die explizite Zustimmung.

Swisstransplant befürwortet die Idee der Wiedereinführung der vermuteten Zustimmung: Wer nicht spenden will, kann mit einem Eintrag in ein Register Sicherheit und Klarheit schaffen. Dank dem verbindlichen Registereintrag besteht die Gewissheit, dass der eigene Körper unangetastet bleibt. Eine Sicherheit, die wir heute nicht haben. In über 60 Prozent kennen die Angehörigen den Wunsch des Verstorbenen nicht, wenn die Frage nach einer Spende gestellt wird. Stellvertretend gilt es dann, im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden – ein meist sehr belastender Entscheid.

Fazit: Jeder soll verbindlich über seinen Körper entscheiden können.

Franz Immer ist Facharzt für Herzchirurgie FMH und CEO von Swistransplant, der nationalen Stiftung, die im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit Organspende und Transplantationen koordiniert.


Für die Zustimmungslösung

Von Jean-Daniel Strub

Mein Organspendeausweis hält fest, dass ich der Organentnahme im Todesfall zustimme. Den Entscheid dazu fällte ich aus freien Stücken – und zwar in zwei persönlichkeitsrechtlich zentralen Hinsichten: Erstens entspricht mein Entscheid einer informierten Einwilligung. Dieses zentrale ethische Prinzip schützt unsere Selbstbestimmung in medizinischen Belangen. Während die informierte Einwilligung ein aktives Zutun der entscheidenden Person voraussetzt, vermutet die Widerspruchslösung Zustimmung auch in jenem verbreiteten Fall radikaler Passivität, in dem man sich zur Sache gar nicht äussert. An die Stelle der Selbstbestimmung tritt damit ein eigentümlicher Paternalismus, der uns als Regelfall die Entscheidung abnimmt.

Zweitens habe ich mich zu einem frei gewählten Zeitpunkt mit der Organspende befasst. Mit der Widerspruchslösung dagegen würden wir uns gegenseitig zu einer frühzeitigen und wiederkehrenden Beschäftigung mit dieser höchst persönlichen Frage verpflichten. Denn nur eine Äusserungspflicht böte Gewähr, dass keine Organe entgegen dem Willen einer Person entnommen werden. Eine solche Pflicht steht aber in Widerspruch zur Freiheit, derartige Fragen auszublenden. Es mag klug sein, sich der eigenen Endlichkeit zu stellen; eine Pflicht ist es nicht.

Es ist richtig, darauf hinzuwirken, dass weniger Menschen versterben, weil sie auf ein Spenderorgan warten. Die Widerspruchslösung steht jedoch zu den Prinzipien der Freiheit und der Autonomie in Spannung und ihre Wirkung ist umstritten. Ihr sind andere Massnahmen vorzuziehen.

Jean-Daniel Strub ist Mitgründer und Co-Geschäftsführer von ethix – Lab für Innovationsethik und des Büros Brauer & Strub | Medizin Ethik Politik. Von 2008-2012 leitete er die Geschäftsstelle der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK-CNE). Er vertritt zudem die SP im Gemeinderat der Stadt Zürich.


Die beiden Stellungnahmen erschienen in der Ausgabe 3/18 der Zeitschrift frei denken. Ein kostenloses Probeabo (2 Ausgaben, ohne automatische Verlängerung) kann per Mail an gs@frei-denken.ch bestellt werden.