Zur Wahnvorstellung einer islamischen Landeskirche

Vollverschleierte Muslima und Schweizer Briefkasten
Picture: selezione.ch

Von Claude Fankhauser

«Wahnsinn ist, wenn man immer wieder dieselben Dinge tut, aber jedes Mal ein anderes Ergebnis erwartet.» Auch wenn dieses Zitat – wie im Internet behauptet wird – nicht von Albert Einstein stammt, kann es doch als Gradmesser dafür dienen, ob eine Idee realitätstauglich ist. Setzt man dieses Werkzeug ans SP-Positionspapier zum Islam an, welches muslimische Gemeinschaften öffentlich-rechtlich anerkennen will und von ihnen im Gegenzug Modernisierungsschritte verlangt, muss man zum Schluss kommen, dass die SP-Spitze zumindest in diesem Fall den Bereich der Zurechnungsfähigkeit verlassen hat. Entsprechend schlägt ihr auch Kritik aus der Basis entgegen, insbesondere von der Riehener SP-Delegierten Stephanie Siegrist und ihrer Gruppe «Integra Universell».

Im Papier ist «der Islam» eine einheitliche Weltanschauung, tatsächlich ist die zweitgrösste Schriftreligion der Welt aber in zahlreiche Gruppen, Richtungen und Sekten aufgespalten, die sich
untereinander oft spinnefeind sind: Schiitische Iraner und sunnitische Iraker anerkennen sich gegenseitig nicht als «richtige» Muslime, meinen kosovarischen Kumpel würden keine zehn Pferde in eine pakistanische Moschee bringen, Sufis sowie Ahmadiyya-Muslime werden von allen anderen Muslimen im besten Fall zähneknirschend geduldet und nach wie vor werden überwiegend Muslime zu Opfern islamistischen Terrors. Dass sich die SP-Spitze vor diesem Hintergrund zutraut, einen helvetischen Islam zu konstruieren, der in der Lage ist, diese jahrhundertealten Konflikte aufzuheben, spricht einerseits für die Imaginationsfähigkeit der Parteileitung, andererseits aber gegen ihre Klarsicht.

Über einen Kamm geschert

Im Positionspapier werden Menschen mit muslimischem Hintergrund als Kollektiv wahrgenommen. Entsprechend fordert es einen «Dialog» mit den muslimischen Verbänden in der Schweiz, obwohl diese oft einen konservativen, fundamentalistischen Islam vertreten und nur 15 Prozent der hiesigen Muslime repräsentieren. Die SP verabschiedet sich hier von ihrer emanzipatorischen Idee und biedert sich homo-, frauen-, demokratie- und aufklärungsfeindlichen Kräften an. Anstatt Integration auf individueller Basis zu fordern, werden alle Menschen aus islamischen Herkunftsländern über einen Kamm geschert, wird ihnen eine religiöse Identität verordnet, die ihre Rechte als BürgerInnen überstrahlt. Das ist weder sozial noch demokratisch, sondern spiegelt ein Identitätsdenken wider, das man eher aus der völkisch-braunen Ecke erwarten würde.

Integration dank Religion?

Ignoriert wird im Papier auch, dass Menschen aus muslimischen Ländern nicht automatisch praktizierende Muslime sind. Zahlreiche Menschen flüchten, gerade weil sie mit der herrschenden Religion in ihren Heimatländern nichts mehr zu tun haben wollen. Wird der Islam in der Schweiz zu einer Art «Staatsreligion light» (denn das sind die Landeskirchen letztlich), macht man es damit denjenigen Menschen unnötig schwer, die sich bereits aus der Religion verabschiedet haben und die mit der Erwartung hier ankommen, im säkularen Land Schweiz endlich geschützt vor verordneter Religiosität zu sein. Unverständlich am Positionspapier ist auch, dass Integration in eine moderne, säkulare Gesellschaft ausgerechnet mittels einer 1300 Jahre alten Religion geschehen soll. Das gescheiterte Experiment «christliche Landeskirchen» zeigt klar auf, dass dies primär zu einer argumentativen Immunisierung («was der Staat gutheisst, kann nicht falsch sein») der Tonangebenden und keineswegs zu einer Modernisierung führt. Auch in der Schweiz sind aus muslimischen Ländern stammende Menschen einem starken Druck von islamistischen Predigern ausgesetzt. Dieser Druck würde mit einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung steigen, da so auch fundamentalistisch-islamische Positionen als in der Schweiz gesellschaftlich akzeptiert wahrgenommen würden.

Dogmen sind keine Leitsätze

Geradezu naiv ist die Erwartung an eine künftige islamische Landeskirche, sie modernisiere und säkularisiere sich, wenn man sie nur mit genügend Privilegien überhäufe. Das hat bei den christlichen Landeskirchen nicht geklappt, und es wird auch beim Islam scheitern. Im Papier wird ignoriert, dass religiöse Dogmen nicht simple Leitsätze sind, die man, ähnlich einem Parteiprogramm, in demokratischen Prozessen um- oder abbauen kann. Homofeindliche Ideologien wird man nicht mit öffentlich-rechtlicher Anerkennung verändern können (siehe katholische Kirche), und wer Frauen als minderwertig ansieht, wird diese Haltung auch nicht wegen eines mit Steuergeldern finanzierten, an einer schweizerischen Universität ausgebildeten Predigers ändern (dito).

Ich kann als aussenstehender Beobachter (und trotz allem SP-Wähler) ja gut verstehen, dass die SP-Spitze Muslime als Zielgruppe entdeckt, schliesslich wird der Partei gerade das Proletariat wegdigitalisiert. Trotzdem kann das Positionspapier zum Islam nur als trauriges Beispiel dafür dienen, warum es eben Wahnsinn ist, wenn man mit den immer gleichen, immer gleich falschen Massnahmen immer wieder neue Ergebnisse erwartet.

Erstveröffentlichung: frei denken 3/2018