Gutachten-Pfarrerbesoldung.pdf
(file: @@Gutachten-Pfarrerbesoldung.pdf@@)Markus Müller / Kaspar Sutter
Der Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung im Kanton Bern
Gutachten zuhanden der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern
Bern, den 30. März 2012
Prof. Dr. Markus Müller Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht Dr. Kaspar Sutter Wissenschaftlicher Mitarbeiter Departement für öffentliches Recht Schanzeneckstrasse 1 Postfach 8573 CH-3001 Bern
Tel. +41 (0)31 631 88 94 (Sekretariat) E-Mail: markus.mueller@oefre.unibe.ch Tel. +41 (0)31 631 88 97 E-Mail: kaspar.sutter@oefre.unibe.ch Internet: http://www.oefre.unibe.ch Fax +41 (0)31 631 38 83
Inhaltsverzeichnis
I. Auftrag II. Historisch begründete Rechtspositionen im geltenden Recht 1. Die Verfassungsordnung als Grundlage des Rechts a. Grundsatz b. In Bezug auf die heutige Besoldungsordnung … c. … und allfälliger «vorkonstitutioneller» Besoldungsansprüche 2. Mögliche verfassungsrechtliche Grundlagen a. Art. 123 Abs. 3 KV? b. Wohlerworbene Rechte c. Historische Rechtstitel? d. Fazit III. Die wohlerworbenen Rechte 1. Entstehung 2. Kasuistik des Bundesgerichts a. Die vorbestandenen, ehehaften Rechte b. Rechte aus verwaltungsrechtlichen Verträgen und Konzessionen c. Durch Gesetz oder individuelle Zusicherung eingeräumte Ansprüche im öffentlichen Dienstverhältnis d. Vereinzelte weitere (Anwendungs-)Fälle 3. Rechtswirkungen a. Voraussetzungen eines gesetzgeberischen Eingriffs b. Entschädigung aus Eingriffen in wohlerworbene Rechte c. Besonderheiten bei vertraglichen und vertragsähnlichen Ansprüchen 4. Überleitung IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung 1. Ausgangslage a. Argumentation im Gutachten Friederich b. Abgrenzung zum heutigen Untersuchungsgegenstand 2. Das Dekret vom 7. Mai 1804 a. Vertragsähnlicher Charakter? b. Zusicherung? c. Ehehaftes Recht? d. Fazit 3. Exkurs: Rückerstattung des Kirchengutes bzw. Entschädigungspflicht aus anderen Rechtstiteln? 4. Zusicherung im geltenden Kirchengesetz? a. Verfassungsrechtliche Vorgaben (Art. 123 Abs. 2 KV) b. Anerkennung wohlerworbener Ansprüche in Art. 54 Abs. 2 KG c. Fazit V. Ergebnisse Literaturverzeichnis Materialien und Abkürzungen 5 7 7 7 7 8 8 8 9 9 10 11 11 12 12 12 13 13 14 14 16 17 19 19 19 19 20 20 20 25 26 26 27 28 28 29 31 33 35 37
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I.
Auftrag
Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion beauftragte die Unterzeichnenden am 15. Dezember 2011 mit der Erstellung eines Gutachtens betreffend Finanzierung von Pfarrlöhnen durch den Kanton Bern. Hintergrund des Gutachtensauftrags bildet eine im Grossen Rat des Kantons Bern eingereichte Motion1, welche die Finanzierung der Pfarrlöhne über die Kirchensteuern verlangt. Der Motionär fordert mit Blick auf ein Gutachten von Ulrich Friederich aus dem Jahr 1994, erstellt zuhanden des Synodalrates der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern,2 eine kantonseigene Rechtsprüfung seines (politischen) Anliegens. Folgende Schlussfolgerungen im Gutachten Friederich sind dabei mit Blick auf den Gutachtensauftrag von Interesse: – Im Zentrum der rechtlichen Argumentation steht das Dekret vom 7. Mai 1804. Mit ihm verpflichtete sich der Kanton Bern als Gegenleistung für die (zumindest faktische) Übertragung des Eigentums und der Verwaltung der Kirchengüter zur zeitlich unbefristeten Entlöhnung der reformierten Geistlichen sowie zur Übernahme der Baupflicht. Das Dekret habe «vertragsähnlichen Charakter». In bescheidenem Umfang sei der Kanton Bern zudem weitere Verpflichtungen durch Vertrag eingegangen (z.B. Vereinigungsurkunde von 1815: Regelung in Anlehnung an das Dekret von 1804);3 Die erwähnten Rechtstitel würden ein (vertragsähnliches) Dauerschuldverhältnis begründen, das der Kanton wiederholt bestätigt habe und das weder durch Zeitablauf, aufgrund veränderterer Verhältnisse (vgl. «clausula rebus sic stantibus») noch durch Tilgung aufgrund der bisherigen Staatsleistungen dahingefallen sei; 4 Heute obliege dem Kanton Bern eine Besoldungspflicht für sämtliche Pfarrstellen, deren Kirchengut er zufolge des Dekrets vom 7. Mai 1804 oder mit der späteren Übernahme von Patronaten zu Eigentum erhalten habe oder welche Gegenstand entsprechender besonderer Vereinbarungen – namentlich der Vereinigungsurkunde von 1815 (Vereinigung des ehemaligen Bistums Basel mit dem Kanton Bern) – geworden seien; 5 Die Übertragung des Kirchengutes per Dekret vom 7. Mai 1804 habe ein wohlerworbenes Recht der evangelisch-reformierten Landeskirche oder allenfalls der Kirchgemeinden auf staatliche Besoldung der entsprechenden Pfarrstellen begründet. Die eingegangenen Verpflichtungen enthielten die Elemente der Gegenseitigkeit und Dauerhaftigkeit, welche die beidseitige Bindung auf Zeit rechtfertigen und damit ein
Motion Grossrat Adrian Wüthrich vom 1. Dezember 2011 (M-327-2011). Kirchengut und staatliche Pfarrbesoldungen. Gutachten zu historischen Rechtstiteln der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern, Bern 1994 (nachfolgend kurz GUTACHTEN FRIEDERICH). Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 262, S. 234 f. et passim. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 262, S. 234 f. et passim. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 262.
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wohlerworbenes Recht begründen würden.6 Diese Dauerschuld habe zumindest so lange Bestand, wie der Kanton Bern das Eigentum am Kirchengut nicht zurück übertrage (inkl. Entschädigung für nicht mehr vorhandene Vermögenswerte) oder die entsprechenden, historischen Besoldungsansprüche kapitalisiere und der Kirche erstatte. 7 Schliesslich lasse sich ein wohlerworbenes Recht auch aus der seit alters her – d.h. bereits lange vor 1804 – von der Geistlichkeit bzw. der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern übernommenen Aufgabe der Pastoration (seelsorgerische Betreuung) schliessen, die nach dem alten Patronatsrecht zur Inanspruchnahme der Erträge des Kirchengutes berechtigt habe (sog. «ehehaftes» Recht). 8 Das Gutachten von Ulrich Friederich hat unter breitem Einbezug der (rechts-)historischen, staats-, verwaltungs- und kirchenrechtlichen Grundlagen die Problematik umfassend dargestellt. Die vorliegende Expertise kann sich denn auch weitgehend auf die ausgezeichnete Arbeit von Ulrich Friederich stützen. Dabei geht es vorliegend mit Blick auf die Motion Wüthrich primär um die Frage, ob und inwieweit staatliche Besoldungspflichten sich derart verfestigen bzw. «qualifizierte» Bestandeskraft gewinnen können, dass sie auch vom Gesetzgeber nicht oder zumindest nicht entschädigungslos entzogen werden können.
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Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 234 f. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 263. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 237.
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II. Historisch begründete Rechtspositionen im geltenden Recht
1. a. Die Verfassungsordnung als Grundlage des Rechts Grundsatz
Das staatliche Recht findet seine Grundlage in der geltenden Verfassung. Es muss sich m.a.W. stets auf diese zurückführen lassen. 9 Die Verfassung bestimmt nicht nur die Bedingungen, unter welchen im politischen Prozess eine neue Norm Rechtsgeltung erlangt. 10 Sie legt zudem verbindlich fest, inwiefern Rechtspositionen, die unter einer früheren Verfassungsordnung begründet wurden, heute weiterhin Geltung beanspruchen können und allenfalls über eine qualifizierte (Rechts-)Beständigkeit verfügen. Die Frage der Weitergeltung bisherigen Rechts ergibt sich dabei primär aus den Übergangsbestimmungen und dem konkret anwendbaren materiellen Verfassungsrecht.11 Bisweilen können jedoch unabhängig davon auch die allgemeinen Verfassungsgarantien, heute vorweg das Verhältnismässigkeitsgebot12, die Eigentumsgarantie 13 und das Prinzip des Vertrauensschutzes14 verlangen, dass gewisse (historisch begründete) Rechtspositionen Fortbestand haben. Diese können ausnahmsweise über derart qualifizierte Bestandeskraft verfügen, dass sie auch vom Gesetzgeber nicht bzw. zuweilen nur gegen Entschädigung entzogen werden dürfen.15 b. In Bezug auf die heutige Besoldungsordnung …
Die Revision der Kantonsverfassung vom 6. Juni 1993 (Inkrafttreten per 1. Januar 1995) stellte das Verhältnis von Kirche und Staat auf eine neue Grundlage: Diese machte eine Überprüfung bzw. Anpassung der öffentlich-rechtlichen Ansprüche und Pflichten, insbesondere auch bezüglich der Pfarrbesoldung, erforderlich.16 Entsprechend musste der Gesetzgeber die Kirchengesetzgebung anpassen17 und im Rahmen von Art. 123 Abs. 3 KV insbesondere auch die finanziellen Leistungen des Kantons neu regeln. Dabei bestätigte er die bereits unter altem Recht bestehende Pflicht zur staatlichen Besoldung der Pfarrerinnen und Pfarrer. 18 Die konkrete Ausgestaltung dieser Besoldungsverpflichtung
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Vgl. HÄFELIN/HALLER/KELLER, Bundesstaatsrecht, Rz. 21; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, § 1 Rz. 10. TSCHANNEN, Staatsrecht, § 3 Rz. 27 und § 6 Rz. 21; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, § 1 Rz. 48. Vgl. etwa Art. 130 ff. KV. Vgl. Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 36 Abs. 3 BV (bei Grundrechtseingriffen); Art. 28 Abs. 3 KV (bei Grundrechtseingriffen). Vgl. Art. 26 BV; Art. 24 KV. Vgl. Art. 5 Abs. 3 BV; Art. 9 BV; Art. 11 Abs. 2 KV. Zu den wohlerworbenen Rechten hinten III. Vgl. Art. 133 i.V.m. Art. 121 ff. KV. Zur Erforderlichkeit der Anpassung des Kirchengesetzes vgl. Vortrag Kirchengesetz, S. 1. Vgl. Art. 54 Abs. 1 KG; vgl. auch Art. 54 aKG.
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2. Mögliche verfassungsrechtliche Grundlagen
bestimmt sich dabei heute nach den allgemeinen personalrechtlichen Bestimmungen des Kantons. 19 Nach geltendem Gesetzesrecht besteht demnach heute unstreitig eine staatliche Pflicht zur Pfarrbesoldung. Der bereits unter der alten Verfassung bestehende Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung ist damit durch die in der Kirchengesetzgebung geschaffene, am geltenden Verfassungsrecht sich orientierende Besoldungspflicht ersetzt worden. Dies entspricht der «klassischen» Rechtsentwicklung bei einer Verfassungsrevision, welche davon erfasste altrechtliche Ansprüche und Pflichten nach erfolgter Anpassung des Gesetzesrechts – häufig unter Beachtung von Übergangsregelungen – untergehen lassen. c. … und allfälliger «vorkonstitutioneller» Besoldungsansprüche
Nun ist jedoch nach geltendem Verfassungsrecht ausnahmsweise möglich, dass neben der geltenden Besoldungsordnung auch ein altrechtlicher Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung (fort-)besteht, der bereits unter «vorkonstitutionellem» Recht begründet wurde und nicht im Sinn der vorstehenden Ausführungen mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts untergegangen ist. 20 Diesfalls müsste gefragt werden, ob die heutige gesetzlich geregelte Besoldungsordnung einen solchen Anspruch vollständig erfasst oder ob Letzterer allenfalls weiter reicht und unabhängig vom gesetzlichen Entlöhnungsregime durchgesetzt werden könnte. Selbstredend muss auch ein historisch begründeter Rechtsanspruch von der geltenden Verfassungsordnung getragen sein, wie dies im Übrigen auch für die qualifizierte (Gesetzes-)Beständigkeit 21 einer solchen Rechtsposition gilt. 2. a. Mögliche verfassungsrechtliche Grundlagen Art. 123 Abs. 3 KV?
Gemäss Art. 123 Abs. 3 KV bestreiten die Landeskirchen ihren Aufwand durch die Beiträge ihrer Kirchgemeinden und durch die vom Gesetz bezeichneten Leistungen des Kantons. Bereits der Wortlaut der Bestimmung weist darauf hin, dass sich die Pfarrbesoldung nach der Gesetzgebung bestimmen soll. Der Verfassungsgeber wollte die verfassungsweise Anerkennung eines Rechtsanspruchs vermeiden. Dies bestätigen die Materialien zu Art. 123 Abs. 3 KV: In der Verfassungskommission wurde eine explizite Besoldungspflicht des Kantons Bern 22 ausdrücklich verworfen. Ob überhaupt und bejahendenfalls in welchem Umfang bzw. in welcher Form die Pfarrerinnen und Pfarrer des Kantons Bern unterstützt werden sollten, wurde bewusst dem Gesetzgeber überlassen. Damit wollte der Verfassungsgeber insbesondere vermeiden, dass der Kanton Bern sich mittelbzw. langfristig die Möglichkeit nimmt, die finanziellen Belange im Verhältnis zwischen
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Vgl. hierzu auch hinten IV/4/b. Einen solchen Anspruch bejaht das GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 262: «[…] Die Verpflichtung besteht, unabhängig von Art. 54 KG [aKG vom 6. Mai 1945], heute noch.» Ein solcher Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung der evangelisch-reformierten Pfarrerinnen und Pfarrer soll dabei bereits im Rahmen des bernischen Säkularisierungsprozesses zu Beginn bzw. Mitte des 19. Jahrhunderts begründet worden sein (vgl. vorne I). Vgl. zu den wohlerworbenen Rechten hinten III. Vgl. Art. 119 Abs. 3 Vernehmlassungsentwurf der Verfassungskommission vom 9. April 1991: Der Kanton besoldet die Geistlichen der Kirchgemeinden, Anstalten und Regionalpfarrämter.
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II. Historisch begründete Rechtspositionen im geltenden Recht
Kirche und Staat einer Neuordnung bzw. einer Entflechtung zuzuführen. Inwieweit bestimmte finanzielle Leistungen des Staates als wohlerworbene und insofern (gesetzes-)beständige Rechte gelten sollten, liess der Verfassungsgeber bewusst offen.23 b. Wohlerworbene Rechte
Die geltende Verfassung steht jedoch der Anerkennung eines staatlichen, «vorkonstitutionellen» und allenfalls gesetzesbeständigen Anspruchs auf Pfarrbesoldung nicht grundsätzlich entgegen. 24 Das Bundesgericht und mit ihr die bernische Verwaltungsjustiz anerkennen in ständiger Praxis, dass gestützt auf die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) bzw. den Anspruch auf Treu und Glauben (Art. 9 BV) sog. wohlerworbene Rechte begründet werden können. Diese kennzeichnen sich durch eine besondere (Gesetzes-)Beständigkeit und erfassen insbesondere auch Rechtspositionen, die unter einer früheren, «historischen» Rechtsordnung entstanden sind. 25 c. Historische Rechtstitel?
Bisweilen wird vertreten, bestimmte öffentlich-rechtliche Ansprüche und Pflichten bestünden aufgrund sog. historischer Rechtstitel. Sowohl über Bestand wie auch Tragweite des Begriffs herrscht indes Unklarheit. Ulrich Friederich stellt die «historischen Rechtstitel» in den Zusammenhang mit den klassischen Rechtsquellen des öffentlichen Rechts (Verfügung, Vertrag, Rechtssatz etc.) und behandelt sie offenbar als selbständige, anspruchsbegründende Kategorie.26 Definitorisch sei darunter der «rechtliche Anlass» zu verstehen, der unter einer im wesentlichen überholten Rechtsordnung einer Person ein «subjektives Recht» eingeräumt habe, das heute weiterhin (fort-)bestehe. 27 Demgegenüber werden die «historischen Rechtstitel» häufig in einem engeren Begriffsverständnis lediglich im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Staatsbeiträge für öffentlich-rechtlich anerkannte Kirchen erwähnt, die aus der Zeit des Staatskirchentums und der Säkularisation des Kirchenguts stammen.28 Wie bereits erwähnt ist auf der Grundlage der geltenden Verfassungsordnung zu bestimmen, inwiefern historisch begründete öffentlich-rechtliche Ansprüche und Pflichten Geltung beanspruchen können. 29 Eine konkrete (Global-)Anerkennung sämtlicher Rechtspositionen, die in einem bestimmten «vorkonstitutionellen» Sachverhalt – hier der Säkularisierung der Kirchengüter – gründen, kennt das geltende Verfassungsrecht gerade nicht. Zudem finden sich in der Verfassung auch keine Hinweise, wonach gewisse historische Sachverhalte sog. «historische Rechtstitel» zu begründen vermöchten, die unter geltendem Recht ohne weiteres, d.h. als autonome «Erzeugerin» von Verwaltungsrechts-
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Hierzu ausführlich hinten IV/4/a. Dies liess der Verfassungsgeber ausdrücklich offen (vgl. hierzu hinten IV/4/a in fine). Hierzu ausführlich hinten III. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 52 ff. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 50 ff., insbes. S. 55. So offenbar etwa CAVELTI/KLEY, BV-Kommentar, Art. 15 Rz. 27; CAVELTI, Bewegung im Verhältnis von Kirche und Staat, AJP 2001, S. 768 f.; RÖHL, Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung, Art. 145 Rz. 2 ff. Vgl. vorne II/1.
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2. Mögliche verfassungsrechtliche Grundlagen
rechtsverhältnissen,30 Geltung beanspruchen könnten. Für die untersuchten Ansprüche auf Pfarrbesoldung weist die (Verfassungs-)Rechtslage gerade in eine andere Richtung: Aus Art. 123 Abs. 3 KV ist zu schliessen, dass auf Verfassungsstufe keine bestimmten, historisch begründeten Ansprüche anerkannt werden sollen. Vielmehr soll es dem Gesetzgeber – gerade auch bezüglich eines Anspruchs auf staatliche Pfarrbesoldung – überlassen bleiben, die Leistungen an die Kirche im Einzelnen autonom und unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat festzulegen.31 Die Verwendung des unklaren Begriffs der «historischen Rechtstitel» führt im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter. Eine separate Kategorie solcher Rechtstitel, die allenfalls sogar über eine besondere (Gesetzes-)Beständigkeit verfügen, ist heute nicht nachweisbar. 32 Dies schliesst freilich nach geltendem Verfassungsrecht nicht aus, dass bestimmte historisch begründete öffentlich-rechtliche Ansprüche heute als wohlerworbene Rechte anerkannt und vom Gesetzgeber beachtet werden müssen.33 Daneben bestehen aber keine anderen Rechtspositionen, die a priori gegenüber neuem, einschränkendem Gesetzesrecht resistent wären. 34 d. Fazit
Das geltende Verfassungsrecht regelt nicht explizit, ob nebst dem geltenden gesetzlichen Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung ein solcher mit besonderer (Gesetzes-)Beständigkeit auch aus historischen, d.h. «vorkonstitutionellen» Rechtspositionen abgeleitet werden kann oder nicht. Eine konkrete verfassungsrechtliche Anerkennung eines solchen Anspruchs will der Verfassungsgeber umgekehrt gerade vermeiden. Für die erwähnten historisch begründeten Ansprüche kann sich einzig aus der Praxis zu den wohlerworbenen Rechten ergeben, ob und inwieweit diese im Einzelfall fortwirken und zugleich den Staat bzw. den Gesetzgeber heute noch (qualifiziert) zu binden vermögen.
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Allgemein zur Entstehung von Verwaltungsrechtsverhältnissen vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/ MÜLLER, Verwaltungsrecht, § 43 N. 16 ff. Vgl. vorne II/2/a. Aus diesem Grund wird auf die Verwendung des Begriffs der «historischen Rechtstitel» im Nachfolgenden bewusst verzichtet. In diesem Zusammenhang wird bisweilen ebenfalls von historischen Rechten gesprochen (vgl. RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 2; ARTHUR MEIER-HAYOZ, in: MeierHayoz Arthur (Hrsg.), Berner Kommentar, Zivilgesetzbuch: Das Sachenrecht, 1. Abteilung, 1. Teilband (Art. 641-654 ZGB), 5. Auflage, Bern 1981, Rz. 448; KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, S. 179; HERMANN LAIM, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II (Art. 457-977 ZGB), 4. Auflage, Basel 2011, Art. 655 ZGB Rz. 20; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, S. 1014). Von einer entsprechenden (Unter-)Kategorie historisch begründeter, wohlerworbener Rechtspositionen scheint auch das Bundesgericht auszugehen, wenn es in seiner Praxis – freilich äusserst zurückhaltend – Gebrauch vom Begriff des «historischen Rechtstitels» macht (vgl. etwa BGE 131 I 321, E. 5.3; BGE 132 I 270, E. 6.1; BGE 132 II 485, E. 9.5 spricht von «historischen Titeln»; BGer 2P.295/2004, E. 5.4; BGer 1P.349/2006, E. 6.1 [wobei es hier von Privatrechten spricht]). Zur Praxis dieser Kategorie von wohlerworbenen Rechten im Einzelnen hinten III/2/a. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 70; so offenbar auch GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 234. Solche vermag insbesondere auch Art. 54 Abs. 2 KG nicht zu schaffen, wenn er von historischen Rechtstiteln spricht.
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III. Die wohlerworbenen Rechte Der Schutz der wohlerworbenen Rechte reicht dabei stets nur so weit, wie sich ein solcher aus bestehenden allgemeinen Verfassungsnormen (insbes. Vertrauensschutz, Eigentumsgarantie und Verhältnismässigkeitsprinzip) ableiten lässt. Darüber hinaus existiert keine spezifische Verfassungsgarantie, die solchen wohlerworbenen Rechten oder anderen Rechtspositionen, insbesondere auch nicht den historisch bzw. «vorkonstitutionell» begründeten, eine Sonderstellung im Sinne eines (absoluten) Schutzes vor gesetzgeberischen Eingriffen oder eines obligatorischen Entschädigungsanspruchs einräumen würde. 35
III. Die wohlerworbenen Rechte
1. Entstehung
Als wohlerworbene Rechten gelten bestimmte vermögenswerte Ansprüche, die aufgrund der Art und Weise wie sie zustande gekommen sind, einen besonderen Bestandesschutz geniessen. 36 Nachdem dieser lange Zeit einzig aus der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV, Art. 24 KV) geschlossen wurde, wird heute vermehrt das Prinzip des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV, Art. 11 Abs. 2 KV) angerufen. 37 Nach der bundesgerichtlichen Praxis soll je nachdem, ob die sachenrechtliche Fixierung oder aber die vertrauensbildende Beziehung zwischen Bürger und Staat im Vordergrund steht, das eine oder das andere verfassungsmässige Recht primär einschlägig sein.38 Selbstredend sind jeweils auch weitere Verfassungsprinzipien, insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot, das Willkürverbot und das Verhältnismässigkeitsprinzip, mit zu berücksichtigen. 39 Die Berufung auf diese unterschiedlichen Verfassungsgarantien impliziert letztlich, dass «wohlerworbene Rechte» einzig aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ex post Anerkennung finden können. 40 Dabei ist das Rechtssicherheits- bzw. Vertrauensinteresse des Rechtsinhabers nach den heutigen (verfassungsrechtlichen) Verhältnissen zu gewichten und gegen die von der neuen Regelung verfolgten öffentlichen Interessen abzuwägen. 41 Die Praxis setzt für die Anerkennung wohlerworbener Rechte m.a.W. voraus, dass das besondere Vertrauen in den Fortbestand und die Dauerhaftigkeit der Rechtsposition gegenüber den widerstreitenden öffentlichen Interessen an der Rechtsänderung überwiegt.
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Vgl. auch RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 109 und S. 70. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Verwaltungsrecht, § 45 N. 43. Zu dieser Entwicklung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vgl. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 49 ff. Vgl. BGer vom 10. April 1985 (I. Öffentlichrechtliche Abteilung), in: ZBl 1985, S. 498 E. 2c S. 501; GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 43 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, S. 1015; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008. Vgl. RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 20. Wie dies im Übrigen typischerweise für verwaltungsrechtliche Verhältnisse zutrifft. So bereits KLETT, Verfassungsrechtlicher Schutz, Rz. 146 und 250 ff.; RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 8, der von einer – von ihm befürworteten – «Verabschiedung der wohlerworbenen Rechte im öffentlichen Recht» spricht; VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. 23; so wohl auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008e; vgl. nunmehr ausdrücklich BGE 127 II 69, E. 5a.
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2. Kasuistik des Bundesgerichts
2.
Kasuistik des Bundesgerichts
Bei den «wohlerworbenen Rechten» handelt es sich um ein von der höchstrichterlichen Kasuistik geprägtes Institut. Dabei hat das Bundesgericht stets festgehalten, dass wohlerwobene Rechte nur mit Zurückhaltung angenommen werden können 42 und sich um eine Eingrenzung anhand bestimmter Kategorien bemüht.43 a. Die vorbestandenen, ehehaften Rechte
Als solche gelten Rechte, die ihren Ursprung in einer heute nicht mehr bestehenden Rechtsordnung haben und nach geltendem Recht nicht mehr entstehen können, jedoch Weiterbestand haben dürfen. 44 Dabei handelt es sich typischerweise um solche Rechte, die vormals dem Privatrecht zugeordnet wurden und heute eigentlich dem öffentlichen Recht zuzuweisen wären, sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht richtig in dieses einordnen lassen.45 Zu dieser Kategorie zählen etwa die ehehaften Tavernenrechte, die Wasserbezugsrechte an öffentlichen Gewässern 46, private Fischenzen an öffentlichen Gewässern47 sowie Weidnutzungsrechte48. b. Rechte aus verwaltungsrechtlichen Verträgen und Konzessionen
Die aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag fliessenden vermögenswerten Rechte gelten grundsätzlich als wohlerworben.49 Wesentlich erscheint dabei, dass die Ansprüche nicht unmittelbar aus der Gesetzgebung fliessen, sondern Resultat «freier» Übereinkunft zwischen Staat und Privatem bilden.50 Einzig eine solche Vereinbarung vermag den qualifizierten Vertrauensschutz und damit letztlich die Wohlerworbenheit des Rechts zu begründen. Das Bundesgericht qualifiziert zudem gewisse Rechte mit vertragsähnlichem Charakter als wohlerworben, wobei die Praxis hier bis heute einzig Ansprüche aus Konzessionsverhältnissen 51 anerkannt hat. Auch hier sind jedoch nur diejenigen Bestandteile der Konzession
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Vgl. BGer vom 10. April 1985 (I. Öffentlichrechtliche Abteilung), in: ZBl 1985, S. 498 E. 2b S. 500; vgl. auch VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. 21. Vgl. BGer vom 10. April 1985 (I. Öffentlichrechtliche Abteilung), in: ZBl 1985, S. 498 E. 2b S. 500. Vgl. BGE 131 I 321, E. 5.1.2; RIVA, Wohlerworbenen Rechte, S. 47 f. Ausführlicher hierzu KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, S. 179, der plastisch von «Zeugen unbewältigter juristischer Vergangenheit» spricht; vgl. auch RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 2 f.; GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 42; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Vol. II, S. 21 f. BGE 131 I 321, E. 5.1.2 und E. 5.3; BGer 2P.256/2002 vom 24. März 2003, E. 3. Vgl. BGE 97 II 25, E. 2b. Vgl. BGE 117 Ia 35, E. 2. Vgl. BGE 122 I 328, E. 7a; MÄCHLER, Vertrag, § 4 N. 20 (mit weiteren Hinweisen); RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 48. Vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008b. Auch diese wurden vormals als (dingliche) Privatrechte verstanden und sollen unter der geltenden Rechtsordnung Fortbestand haben.
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III. Die wohlerworbenen Rechte
betroffen, die aufgrund freier Übereinkunft zustande gekommen sind, also nicht durch den Gesetzgeber determiniert werden.52 c. Durch Gesetz oder individuelle Zusicherung eingeräumte Ansprüche im öffentlichen Dienstverhältnis
Schliesslich werden im öffentlichen Dienstverhältnis gewisse Besoldungs- und Pensionsansprüche als wohlerworbene Rechte eingestuft. Dies trifft nach der bundesgerichtlichen Praxis auf spezifische Ausnahmefälle zu, in welchen «das Gesetz die entsprechenden Beziehungen ein für allemal festlegt und von den Einwirkungen der gesetzlichen Entwicklung ausnimmt, oder wenn bestimmte, mit einem einzelnen Anstellungsverhältnis verbundene Zusicherungen abgegeben werden.»53 Auch in anderen Rechtsgebieten können bisweilen gesetzliche oder behördliche Zusicherungen die Wohlerworbenheit eines Rechts begründen. So anerkennt etwa Art. 43 Abs. 1 WRG 54 die konzessionierten Wassernutzungsrechte ausdrücklich als wohlerworbene Rechte. d. Vereinzelte weitere (Anwendungs-)Fälle
Ferner hat das Bundesgericht vereinzelt weitere Ansprüche als wohlerworben qualifiziert. Die Kasuistik erscheint bisweilen disparat und dogmatisch oft nur schwer nachvollziehbar. So schützte es als wohlerworbenes Recht etwa eine Einfuhrbewilligung, für die – nach deren Vollzug – eine höhere Importgebühr festgelegt werden sollte. 55 Weiter etwa eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit, die in einem als «definitiv» bezeichneten behördlichen Bescheid als nicht bewilligungspflichtig erklärt worden war.56 Ferner erachtete es die Zusicherung einer Subvention als wohlerworbenes Recht.57 Und schliesslich stufte das Bundesgericht auch eine in Anwendung der (steuer-)gesetzlichen Grundlagen gewährte Steuerbefreiung als wohlerworbenes Recht ein.58
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Vgl. BGer vom 10. April 1985 (I. Öffentlichrechtliche Abteilung), in: ZBl 1985 (S. 498 ff.), E. 2b (S. 500); BGE 127 II 69, E. 5a; RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 4; VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. 22; TANQUEREL, Droit administratif, Rz. 762. BGE 134 I 23, E. 7.1 und 7.2 (mit weiteren Hinweisen auf die Praxis); BGer 1C_230/2007 vom 11. März 2008, E. 4.1; so in Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis auch die Rechtslage im Kanton Bern: vgl. VGE vom 20. Dezember 2006, BVR 2007, S. 241 E. 3.3; Entscheid RR vom 20. Juni 2007, BVR 2008, S. 289 E. 5.5; vgl. auch KÄMPFER, Gesetzesbeständigkeit, S. 357; KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, S. 183; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz, S. 277; RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 48 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008a; VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 N. 24; TANQUEREL, Droit administratif, Rz. 759; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Vol. II, S. 23. Bundesgesetz vom 22. Dezember 1916 über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (Wasserrechtsgesetz, WRG; SR 721.80). Vgl. BGE 92 I 226, E. 5e. Vgl. BGE 83 I 317, E. 4. Vgl. BGE 93 I 666, E. 4, wobei hierbei sogar in allgemeiner Weise behauptet wurde, dass «eine anspruchsbegründende Verwaltungsverfügung dem Empfänger ein wohlerworbes Recht verschafft.» (vgl. E. 4). Vgl. BGE 94 I 446, E. 2.
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3. Rechtswirkungen
3. a.
Rechtswirkungen Voraussetzungen eines gesetzgeberischen Eingriffs
Das Verbindende der wohlerworbenen Rechte bezieht sich auf deren Rechtsfolge, d.h. die erhöhte Bestandeskraft im Vergleich zu «normalen» öffentlich-rechtlichen Ansprüchen. Damit ist jedoch zugleich gesagt, dass dieser Schutz kein absoluter ist: Weder die Eigentumsgarantie noch das Vertrauensschutzprinzip vermögen einen uneingeschränkten Schutz bestimmter Rechte zu gewährleisten.59 Wohlerworbene Rechte bleiben demnach stets durch den Gesetzgeber einschränkbar und können von diesem entzogen werden, bisweilen jedoch nur unter restriktiven Voraussetzungen. Bis heute ist jedoch unklar, unter welchen konkreten Bedingungen eine Beschränkung bzw. ein Entzug wohlerworbener Rechte möglich ist. Dem Grundsatz nach soll dies aufgrund der massgeblichen Verfassungsprinzipien, welche jeweils das wohlerworbene Recht begründen (vgl. insbes. Eigentumsgarantie und/oder Prinzip von Treu und Glauben), zu bestimmen sein. 60 Entsprechend scheint das Bundesgericht auch hier darauf abzustellen, ob im Einzelfall die sachenrechtliche Fixierung (dann: Eigentumsgarantie) oder die vertrauensbildende Beziehung zwischen Staat und Privatem (dann: Prinzip von Treu und Glauben) im Vordergrund steht. 61 So hat das Bundesgericht für ein altrechtliches Wasserbezugsrecht dafür gehalten, dass es sich bei diesem, soweit es dem Bereich des öffentlichen Rechts zuzuordnen wäre, 62 um ein wohlerworbenes Recht handeln würde, bei dem die sachenrechtliche Fixierung und damit die Eigentumsgarantie im Vordergrund stünde. 63 Für Ansprüche aus dem öffentlichen Dienstverhältnis 64 hat das Bundesgericht umgekehrt festgehalten, dass hier der Schutz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) im Zentrum stehe. 65 Das gleiche gilt nach einem jüngeren höchstrichterlichen Urteil für die als vertragsähnlich eingestuften vermögenswerten Ansprüche aus Konzessionen. 66
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Vgl. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 90; vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008 f. Vgl. zum Ganzen auch vorne II/2/d in fine. Vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Verwaltungsrecht, § 45 N. 44; in diesem Sinn auch BGer 2P.295/2004 vom 6. Juni 2005, E. 5.4 und E. 5.5; BGE 132 II 485, E. 9.5. Vgl. BGer vom 10. April 1985 (I. Öffentlichrechtliche Abteilung), in: ZBl 1985, S. 498 E. 2c S. 501; BGer 2P.295/2004 vom 6. Juni 2005, E. 5.4, E. 5.5 und E. 5.8; BGE 132 II 485, E. 9.5; vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 43 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008. Das Bundesgericht ist bei der Qualifikation vage geblieben (obiter dictum). Vgl. BGE 131 I 321, E. 5.3. Zu diesen vorne III/2/b. Vgl. BGE 101 Ia 443, E. 2a; BGer 1C_230/2007 vom 11. März 2008, E. 4.1; KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, S. 183; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz, S. 64, die im Übrigen bei den wohlerworbenen Rechten im Allgemeinen – und insbesondere bei Zusicherungen (so auch MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, S. 1016) – primär das Prinzip des Vertrauensschutzes betroffen sieht (vgl. S. 65) und die wohlerworbenen Rechte als überholte, antiquierte Figur einstuft (DIESELBE, S. 65 ff. und S. 160 f.). Vgl. BGE 132 II 485, E. 9.5. ENRICO RIVA (Wohlerworbene Rechte, S. 53) will jedoch aus älteren bundesgerichtlichen Urteilen herauslesen, dass die Praxis im Falle eines gezielten Eingriffs in den Bestand von Konzessionen auch diese dem Recht der formellen Enteignung zu unterstellen gedenkt.
14
III. Die wohlerworbenen Rechte
Auch in den vorerwähnten Angelegenheiten, bei welchen ein bestimmtes Grundrecht nach der Praxis im Vordergrund stehen soll, fehlt es indes an klaren Massstäben zur Beurteilung eines Eingriffs ins wohlerworbene Recht. Die tatsächliche Bedeutung der beiden Grundrechte und ihr Verhältnis zueinander bleiben weitgehend unklar. Insbesondere lässt sich bis heute aus der Praxis nicht schliessen, ob und inwieweit für das betroffene wohlerworbene Recht jeweils die Voraussetzungen des einen oder anderen Grundrechts zu berücksichtigen sind.67 In der Doktrin wird häufig vertreten, Eingriffe in wohlerworbene Rechte dürften stets nur unter den Voraussetzungen der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) erfolgen, insbesondere unter Gewährung einer Entschädigung nach Massgabe der formellen und materiellen Enteignung. 68 Für die wohlerworbenen Ansprüche aus Vertrag wird zudem oft dafür gehalten, diese könnten gar stets nur nach den Grundsätzen der formellen Enteignung, d.h. gegen volle vorgängige Entschädigung, entzogen werden. 69 Für sämtliche Verkürzungen von wohlerworbenen Rechten muss jedenfalls – als allgemeine Bedingung des Staatshandelns (vgl. Art. 5 BV) – vorausgesetzt werden, dass der Eingriff auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und sich als verhältnismässig erweist. 70 Die hierbei erforderliche Interessenabwägung erlaubt dabei insbesondere, die vorerwähnten Verfassungsrechte entsprechend ihrer unterschiedlichen Bedeutung im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Sowohl der Vertrauensschutz (Art. 9 BV) wie auch die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) können bisweilen nach einem besonders gewichtigen öffentlichen Interesse rufen, andernfalls sich die Einschränkung bzw. der Entzug eines wohlerworbenen Rechts nicht rechtfertigen lässt.71 Dabei wird insbesondere der Zweck des staatlichen Eingriffs massgeblich zu berücksichtigen sein. Erfolgt dieser etwa einzig aufgrund eigener fiskalischer Staatsinteressen,72 wird ein Eingriff nur unter restriktiven Bedingungen zulässig sein, allenfalls nur gegen vorgängige volle Entschädigung nach den Grundsätzen der formellen Enteignung. 73 Eher rechtfertigen müsste sich ein Eingriff in wohlerworbene Rechte hingegen dann, wenn ein solcher zwingend mit einer im öffentlichen Interesse liegenden staatlichen Rechtsgestal67
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Entsprechend verhält es sich betreffend der Frage einer Entschädigung bei Eingriffen in wohlerworbene Rechte (hierzu hinten III/3/b). Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 47; VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. 25; so wohl auch RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 17; TANQUEREL, Droit administratif, Rz. 764, der jedoch der Kategorie der wohlerworbenen Rechte kritisch gegenüber steht (vgl. Rz. 765). Zur Frage der Entschädigung vgl. hinten III/3/b. Vgl. IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 1958, S. 101a; RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte, S. 17; VOGEL, Clausula rebus sic stantibus, S. 304; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Verwaltungsrecht, § 35 N. 13; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Vol. II, S. 481 (zumindest bei unilateraler Vertragsauflösung); in diese Richtung scheint auch die Praxis des Bundesgerichts zu weisen: vgl. etwa BGE 103 Ia 31, E. 2c, BGE 122 I 328, E. 7a. Vgl. zu diesen Ansprüchen auch hinten III/3/c. Vgl. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 98; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008f; Vgl. zur Berücksichtigung des Vertrauensschutzes bei der Interessenabwägung HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008f. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 97 ff., spricht von gezielten staatlichen Eingriffen zur Güterbeschaffung und unterscheidet diese von den staatlichen Regulierungsmassnahmen (Staat als «Gestalter der Rechtsordnung»). So etwa RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 98.
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3. Rechtswirkungen
tung einher geht. Stets wird sich die Verhältnismässigkeit des Entzugs eines wohlerworbenen Rechts, wie dies auch diebundesgerichtliche Praxis zu erkennen gibt,74 nicht losgelöst von den im Einzelfall vorgesehenen «Modalitäten» des staatlichen Eingriffs bestimmen lassen. 75 Nebst diesen allgemeinen verfassungsrechtlichen Bedingungen eines Eingriffs in wohlerworbene Rechte ist zudem eine vom Bundesgericht zu diesen Rechten entwickelte, spezifische Praxislinie zu berücksichtigen. Demnach soll stets nur der Eingriff in die Substanz des wohlerworbenen Rechts verfassungsrechtlich, nicht jedoch in dessen Ausübung, wie sie durch die jeweilige Rechtsordnung bestimmt wird, geschützt sein. 76 So hat das Bundesgericht etwa befunden, dass eine zeitlich unbefristete Konzessionsdauer nicht zur Substanz des Konzessionsverhältnisses zählt und nachträglich – selbstverständlich von ihrer Ausgestaltung her mässig ausgestaltet (vgl. Übergangsfristen) – befristet werden kann. 77 b. Entschädigung aus Eingriffen in wohlerworbene Rechte
Ebenfalls äusserst unsicher bleibt bis heute die (Rechts-)Frage, ob und inwieweit Eingriffe in wohlerworbene Rechte einen Entschädigungsanspruch des betroffenen Privaten begründen. Bisweilen findet sich die Auffassung, es müsse stets volle Entschädigung nach Massgabe der formellen oder materiellen Enteignung gewährleistet werden.78 Soweit ein Eingriff einer Enteignung gleichkommt, wäre demnach die enteignete Person stets so zu stellen, dass ihr weder ein Gewinn noch ein Verlust entsteht, 79 ihr also primär der volle Verkehrswert des Rechts ersetzt werden müsste.80 Zudem wird für die Gruppe der vertraglichen Ansprüche oft dafür gehalten, ein Entzug derselben sei stets voll zu entschädigen. 81 Nach einer Gegenauffassung steht jeweils lediglich eine Entschädigung des Vertrauensschadens (Grundsatz von Treu und Glauben) im Vordergrund; eine weitergehende Ersatzpflicht soll sich nur ausnahmsweise rechtfertigen.82
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Vgl. etwa BGE 127 II 69, E. 6; BGE 134 I 23, E. 7.6.1. Ähnlich KLETT, Verfassungsrechtlicher Schutz, S. 147. BGE 107 Ib 140, E. 3b; BGE 110 Ib 160, E. 5a; BGE 131 I 321, E. 5.3; BGer 2P.256/2002 vom 24. März 2003, E. 3; BGer 2P.295/2004 vom 6. Juni 2005, E. 5.4; entsprechend die Praxis im Kanton Bern: vgl. VGE vom 22. Oktober 2009, BVR 2010, S. 66 E. 2.3; RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 51 f.; VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1008g. Vgl. BGE 127 II 69, E. 5b, E. 5c und E. 6; vgl. auch BGer 2P.295/2004 vom 6. Juni 2005, E. 5.4; BGE 131 I 321, E. 5.5. Vgl. aus der Doktrin vorne Fn. 68. Aus der Praxis: vgl. etwa BGE 117 Ia 35, E. 3b; vgl. zudem RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 125 f. (m.w.H. auf die Rechtsprechung), mit dem Hinweis, dass es sich dabei um obiter dicta des Bundesgerichts handle. So LUDWIG, Enteignungsrecht, N. 27. Vgl. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 110, spricht insofern von einem «Doppelgesicht» des Substanzkriteriums, da es sowohl als Zulässigkeits- wie als Entschädigungskriterium verwendet wird. Vgl. BGE 122 I 328, E. 7a; TANQUEREL, Droit administratif, Rz. 764. Bisweilen wird zudem vertreten, ein solcher entschädigungspflichtiger Eingriff dürfe stets nur nach den Grundsätzen der formellen Enteignung erfolgen (vgl. hierzu vorne Fn. 76). WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz, S. 227; so im Ergebnis auch RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 95 ff. Für eine Beurteilung der Entschädigungsansprüche nach dem Grundsatz von Treu und Glauben spricht sich auch ALFRED KÖLZ (Intertemporales Verwaltungsrecht, S. 190) aus, wobei jedoch aufgrund des Grundsatzes «pacta sunt servanda» jede Vertragsverletzung eine Entschädigung nach sich ziehen müsse.
16
III. Die wohlerworbenen Rechte
In einer zusätzlichen, «parallel» zu berücksichtigenden Praxislinie scheint das Bundesgericht die Entschädigung – wie für die Zulässigkeit eines Eingriffs ins Recht – 83 zudem davon abhängig zu machen, ob ein Eingriff in die Substanz des Rechts vorliegt. 84 Diesfalls enthält die Praxis jeweils den kursorischen, nicht weiter begründeten Hinweis, in ein solches Recht könne (nur) gegen Entschädigung nachträglich eingegriffen werden.85 Im Einzelnen bleibt auch hier vieles unklar und von einer gefestigten Entschädigungspraxis mit klaren Konturen kann nicht gesprochen werden.86 Eine klare, allgemeine Regelung der Entschädigungsfrage dürfte einzig eine differenzierende Betrachtungsweise bringen, die jeweils im Einzelfall eine umfassende Berücksichtigung der aus dem Verfassungsrecht fliessenden, privaten und öffentlichen Interessen ermöglicht. Nur unter diesen Bedingungen erscheint heute eine Entschädigungspflicht verfassungsrechtlich hinlänglich verankert, d.h. wird den jeweils betroffenen Verfassungsrechten 87 und den allgemeinen Grundsätzen der Haftung bei rechtmässiger Staats- bzw. Legislativtätigkeit 88 tatsächlich gerecht. Dabei wird ein staatlicher Eingriff in eigenem, etwa finanziellem Interesse, eher für eine volle Entschädigung nach den Grundsätzen des Enteignungsrechts sprechen. Hingegen dürften die primär im allgemeinen, öffentlichen Interessen liegenden, regulatorischen Verkürzungen nur ausnahmsweise eine Entschädigungspflicht auslösen; etwa wenn ein Eingriff besonders schwer wiegt oder ein Sonderopfer vorliegt. Dabei wird jeweils zu prüfen bleiben, ob volle Entschädigung nach den Grundsätzen des Enteignungsrechts oder nur der Ersatz des Vertrauensschadens gerechtfertigt erscheint. 89 c. Besonderheiten bei vertraglichen und vertragsähnlichen Ansprüchen
Staatliche Eingriffe in vertragliche oder vertragsähnliche vermögenswerte Ansprüche werden im öffentlichen Recht nicht einzig nach den Grundsätzen zu den wohlerworbenen Rechten beurteilt. Vielmehr bestehen weitere (Rechts-)Institute, die bisweilen Voraussetzungen und Wirkungen einer Verkürzung ebenfalls zu regeln beanspruchen. Das
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Vgl. vorne III/3/a. Vgl. BGE 107 Ib 140, E. 3b; BGE 119 Ib 254, E. 5a; BGE 127 II 69, E. 5.4; BGE 131 I 321, E. 5.3; Vgl. BGE 127 II 69, E. 5.4; BGE 131 I 321, E. 5.3; BGer 2P.295/2004 vom 6. Juni 2005, E. 5.4; VGE vom 22. Oktober 2009, BVR 2010, S. 66 E. 2.3. So auch RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 110, der darauf hinweist, dass die Praxis bislang einzig auf Wassernutzungsrechte angewendet worden sei. Insbes. dem Grundsatz von Treu und Glauben, der Eigentumsgarantie und dem Verhältnismässigkeitsprinzip. Vgl. hierzu RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 108 f. Vgl. RIVA, Wohlerworbene Recht, S. 125 f. und S. 98 f.; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Verwaltungsrecht, §64 Rz. 14; ähnlich MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte, S. 1029, die zutreffend darauf hinweisen, dass die Unterscheidung zwischen «staatlichem Eigeninteresse» und Gemeinwohl jeweils schwierig ist.
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3. Rechtswirkungen
Bundesgericht stützt sich je nach Streitlage pragmatisch auf das eine oder andere Institut: 90 ! Dabei sind vorweg die aus dem Privatrecht auf öffentlich-rechtliche Vertragsverhältnisse adaptierten Institute zu erwähnen. Vertragliche Verpflichtungen sind nach dem Prinzip der Vertragstreue einzuhalten (pacta sunt servanda) und nur ausnahmsweise kann vom Vereinbarten abgewichen werden.91 Ein solches Abweichen von den Vertragspflichten ist dabei insbesondere nach den Grundsätzen der «clausula rebus sic stantibus» möglich: Demnach können Ansprüche aufgehoben bzw. angepasst werden, wenn sich ein Festhalten an den vertraglichen Verpflichtungen aufgrund wesentlich veränderter Verhältnisse, die nicht von den Parteien zu vertreten sind, als geradezu rechtsmissbräuchlich erweisen würde. 92 Die «clausula rebus sic stantibus» unterliegt im öffentlichen Recht weniger hohen Anforderungen als im Privatrecht, weil der Staat nicht einzig an das Prinzip von Treu und Glauben, sondern auch an weitere (Verfassungs-)Grundsätze gebunden ist.93 Auch die «clausula» verlangt stets eine umfassende Interessenabwägung94 der öffentlichen Interessen des Staates auf Anpassung der Rechtslage an die geänderten Verhältnisse mit denjenigen des Privaten auf Einhaltung der vertraglichen Pflichten. Schliesslich hat das Bundesgericht für vertragliche bzw. vertragsähnliche Rechtsverhältnisse den «Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt» entwickelt, der insbesondere der Entstehung obligatorischer Vertragsrechte auf «ewige» Zeiten entgegensteht. 95 Für die altrechtlichen Verhältnisse, d.h. für solche Verträge, die sich noch auf das kantonale Recht abgestützt haben, schliesst es dieses Prinzip aus Art. 2 SchlT ZGB.96 Wie das höchste Gericht richtig andeutet, muss der «Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt» als ein allgemeines, der gesamten Rechtsordnung inhärentes (Treue-)Prinzip aufgefasst werden. 97 Als Rechtsfolge verlangt es für die erwähnten, auf «ewige» Zeit abgeschlossenen Verträge, dass diese nachIn einem Entscheid vom 21. April 2009, ZBl 2010, S. 56, hat etwa das Bundesgericht einen (verwaltungs-)vertraglichen Anspruch einzig nach dem Grundsatz pacta sunt servanda beurteilt. Häufig wird in der Lehre dafür gehalten, auf die wohlerworbenen Rechte sei zu verzichten und die Verkürzung entsprechender Rechte sei einzig nach der «clausula rebus sic stantibus» zu beurteilen (so etwa MOOR/POLTIER, Droit administratif, Vol. II, S. 24). Vgl. VOGEL, Clausula rebus sic stantibus, S. 299; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Vol. II, S. 477. Vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Verwaltungsrecht, § 35 N. 12; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1125. STEFAN VOGEL (Clausula rebus sic stantibus, S. 305 ff.) spricht sich zudem dafür aus, die «clausula rebus sic stantibus» entgegen einer in Praxis und Lehre weit verbreiteten Auffassung auch auf Rechtsänderungen anzuwenden (vgl. hierzu auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1127 ff.). Vgl. VOGEL, Clausula rebus sic stantibus, S. 307 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Verwaltungsrecht, Rz. 1124. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 196; KLEIN, Fehlerhafter Vertrag, S. 210 f.; MÄCHLER, Vertrag, S. 344; VOGEL, Clausula rebus sic stantibus, S. 307 f.; VGE vom 29. September 2006, BVR 2007, S. 87 E. 5.3. Vgl. BGE 127 II 69, E. 4c und 5b; BGE 131 I 321, E. 5.5. Vgl. BGE 127 II 69, E. 5b. Vgl. BGE 127 II 69, E. 5b. Den Grundsatz ebenfalls befürwortend VALLENDER, BV-Kommentar, Art. 26 Rz. 23.
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
träglich befristet werden dürfen. Dies ohne dass damit nach der bundesgerichtlichen Praxis in wohlerworbene Rechte eingegriffen wird bzw. werden könnte.98 4. Überleitung
Vor dem Hintergrund der vorangehenden Darlegungen stellt sich nun die Frage, ob bzw. inwieweit heute historisch begründete oder nach geltender Kirchengesetzgebung bestehende Besoldungsansprüche als wohlerworbene Rechte anerkannt werden können. Obwohl Ulrich Friederich darin zuzustimmen ist, dass der kasuistischen Praxis keine «‹autoritative› Antwort» zu entnehmen ist, 99 erlaubt die vorliegende Rechts- und Tatsachenlage diesbezüglich doch relativ klare Schlüsse.
IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
1. a. Ausgangslage Argumentation im Gutachten Friederich
Im Gutachten Friederich wird dafür gehalten, das Dekret vom 7. Mai 1804 könne zwar nicht als eigentlicher Vertrag bezeichnet werden, weise aber «vertragsähnlichen Charakter» auf. Die «Geistlichkeit» habe dem Staat die Verwaltung, allenfalls sogar das Eigentum der bisher kirchlich verwalteten Pfrundstiftungen überlassen und sich hierfür als Gegenleistung ausbedungen, die Geistlichen «in Zukunft dauernd zu besolden».100 Unter Berücksichtigung der Regelung des Dekrets sowie der Umstände, die zu seinem Erlass geführt haben, seien die Elemente der Gegenseitigkeit und Dauerhaftigkeit erfüllt, welche die beiderseitige Bindung auf Zeit rechtfertigen würden. Damit sei ein wohlerworbenes Recht begründet. Zudem wird vertreten, auf ein wohlerworbenes Recht lasse sich auch aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu den Zusicherungen im Beamtenrecht schliessen. Eine solche Zusicherung könne denn auch dem Dekret vom 7. Mai 1804 entnommen werden. Es handle sich bei der staatlichen Pfarrbesoldung um eine Dauerschuld, die bis zur reellen Herausgabe des Kirchenguts Bestand habe und damit um eine durch den Gesetzgeber festgelegte, als unabänderlich zugesicherte Leistung. Auch insofern lasse sich das Bestehen eines wohlerworbenen Rechts begründen.101 Schliesslich wird ein ehehaftes wohlerworbenes Recht daraus geschlossen, dass die «‹Geistlichkeit› bzw. die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Bern schon lange vor 1804 ebenso wie heute ihrer Aufgabe der Pastoration nachkam bzw. nach-
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Vgl. BGE 127 II 69, E. 5c; BGE 131 I 321, E. 5.5. Nach PIERRE MOOR/ETIENNE POLTIER (Droit administratif, Vol. II, S. 478) lässt sich die Zulässigkeit einer solchen Befristung aus der «clausula rebus sic stantibus» schliessen. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 28. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 234 f. Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 235.
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2. Das Dekret vom 7. Mai 1804
kommt und dafür nach der Regel des alten Patronatsrechts stets die Erträge des Kirchenguts – heute gewissermassen ‹in gewandelter Form› – in Anspruch nehmen durfte». 102 b. Abgrenzung zum heutigen Untersuchungsgegenstand
Das Gutachten von Ulrich Friederich ist zu Beginn der 1990er Jahre geschrieben worden. Es konnte deshalb weder die neuste Entwicklung der Rechtsprechung zu den wohlerworbenen Rechten, noch – zumindest nicht umfassend – die Revision der Staatsverfassung des Kantons Bern und die nachfolgende Revision der Kirchengesetzgebung berücksichtigen. Wie zu zeigen sein wird, ist für die Begründung eines wohlerworbenen Rechts auf staatliche Pfarrbesoldung gerade die Revision der Kirchengesetzgebung aus dem Jahr 1995 von erheblicher Bedeutung. Aufgrund der rechtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten rund zwanzig Jahre werden einige (Rechts-)Erkenntnisse von damals heute neu zu beurteilen sein. 2. a. Das Dekret vom 7. Mai 1804 Vertragsähnlicher Charakter?
Zunächst erscheint zweifelhaft, dass das Dekret vom 7. Mai 1804 über einen vertragsähnlichen Charakter verfügt, der einen wohlerworbenen Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung zu begründen vermöchte. Fraglich ist bereits, ob der Nachweis erbracht werden könnte, dass eine «freie Übereinkunft» zwischen zwei Vertragsparteien vorliegt, wie dies die bundesgerichtliche Praxis zur Anerkennung wohlerworbener Rechte bei Konzessionsverhältnissen103 verlangt. Die Mediation führte zur Wiederherstellung der alten Kantone, womit letzteren auch das Kirchenwesen überlassen wurde. 104 Im Kanton Bern hatte dies eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1798 zur Folge, die durch eine enge Verflechtung von Kirche und Staat entsprechend dem alten Staatskirchen-Verständnis gekennzeichnet war. 105 Als oberste Behörde in Kirchenangelegenheiten amtete der «Kleine Rath», die damalige Exekutive im Kanton Bern. Ihm standen weitreichende Regelungs- und Aufsichtsbefugnisse in sämtlichen Kirchensachen zu, wobei die Geistlichkeit ihre Mitwirkung unmittelbar in staatlichen, vorberatenden Behörden, insbesondere dem «Kirchen- und Schulrath», ausübte.106
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Vgl. GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 237. Hierzu vorne III/2/b. Vgl. DELLSBERGER, Staat, Kirche und Politik, S. 150. Vgl. Art. 21 der Mediationsverfassung vom 19. Februar 1803: «Die Verfassung leistet für die im Canton bestehende Confession Gewähr.»; vgl. STETTLER, Staats- und Rechtsgeschichte, S. 174; DELLSBERGER, Staat, Kirche und Politik, S. 150 f.; WEBER, Kirchliche Autonomie, S. 45, nach dem es jedenfalls bis 1831 niemandem eingefallen wäre, die evangelisch-reformierte Kirche als nicht identisch mit der offiziellen Staatskirche zu betrachten (DERSELBE, S. 70). In der Folgezeit setzte der lange Prozess hin zu einem autonomeren Verständnis der Kirche und schliesslich zu einem «Verhältnis solidarisch-kritischer Partnerschaft» ein (vgl. DELLSBERGER, Staat, Kirche und Politik, S. 146 ff., insbes. S. 147). Ausführlich zur damaligen staatsorganisatorischen Regelung der Kirchenverhältnisse STETTLER, Staats- und Rechtsgeschichte, S. 174 ff.
20
IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
Die Mitwirkung der Geistlichkeit bei der Entstehung des Dekrets vom 7. Mai 1804 war weitreichend, 107 was insbesondere auch darin Ausdruck findet, dass es gemäss ausdrücklichem Wortlaut von § 1 des Dekrets dem «Wunsch der Geistlichkeit» entsprach, die Verwaltung des Kirchengutes an den Staat zu übertragen und hierfür zugunsten der (betroffenen) Geistlichen den gesetzlich vorgesehenen Besoldungsanspruch zu gewährleisten. 108 Aufgrund der damaligen organischen Einbindung der Kirche in den Staat liegt es näher, das Dekret vom 7. Mai 1804 als «einheitlichen» – von der (Staats-)Kirche mitgetragenen – gesetzgeberischen Akt zu verstehen, als ihn – wegen seiner vermeintlichen «Doppelnatur» – zugleich als «vertragsähnlichen», konsensualen Akt zu qualifizieren.109 Die Annahme einer «freien Übereinkunft» zwischen zwei unabhängigen, d.h. voneinander zu unterscheidenden (Vertrags-)Parteien, dem Staat einerseits und der Geistlichkeit andererseits, lag damals fern. Auch lässt sich zur damaligen Zeit auf der Seite der Geistlichkeit bzw. der Kirche kein (Vertrags-)Partner mit Rechtspersönlichkeit, der Träger von Rechten und Pflichten hätte sein können, ausmachen. 110 Das besondere vertrauensbildende Verhalten des Staates, das die Wohlerworbenheit rechtfertigen könnte, qualifiziert sich aber gerade durch ein solches vertragsähnliches Verhältnis unabhängiger Rechtssubjekte, wie es typischerweise zwischen dem Staat und Privaten angenommen wird. 111 Bis heute ist zudem höchst umstritten, ob ein derart mit dem Staat verbundenes «Subjekt», bzw. – aufgrund einer allfälligen späteren Rechtsübertragung – heute eine öffentlichrechtliche Körperschaft 112, überhaupt als Grundrechtsträgerin und damit als Inhaberin
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Vgl. zur Entstehungsgeschichte GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 120 ff., wobei er zum Schluss kommt, die Regelungen im Dekret seien nicht einseitig auf den Staat zurückzuführen, sondern auf Unterhandlungen mit der Geistlichkeit. Gleichzeitig wird jedoch unter Hinweis auf die staatskirchliche Organisation zur damaligen Zeit eingeräumt, dass «nicht immer ohne weiteres zwischen staatlichen und kirchlichen Behörden zu unterscheiden» gewesen sei (DERSELBE, S. 122). Vgl. § 1 des Dekrets vom 7. Mai 1804. Jedenfalls lässt sich zur Begründung der vertragsähnlichen Natur die heutige Dogmatik zur Abgrenzung von Verwaltungsakt und Vertrag nicht unbesehen auf die Verhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts übertragen (so aber offenbar das GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 171 f.). Andernfalls fiele im Übrigen nach heutigem kantonalem Rechtsverständnis der Abschluss eines Vertrages zum vornherein ausser Betracht, da damals eine vertragliche Regelung gesetzlich nicht vorgesehen war bzw. der staatliche Hoheitsakt hätte Vorrang haben müssen (vgl. zur heutigen Rechtslage im Kanton Bern M. MÜLLER, Bernische Verwaltungsrechtspflege, S. 215). Wie ULRICH FRIEDERICH (Gutachten, S. 168 ff., insbes. S. 170) richtig bemerkt, verfügte weder die Geistlichkeit noch die evangelisch-reformierte Landeskirche über Rechtspersönlichkeit. Ihm zufolge soll es sich bei der «Geistlichkeit» oder der «Kirche» jedoch um «eine zumindest faktisch fassbare Partnerin» gehandelt haben, weshalb die Fähigkeit zum Abschluss einer Vereinbarung betreffend Besoldung «unter Umständen durchaus zu bejahen» sei (DERSELBE, S. 170). Zur Frage der Grundrechtsträgerschaft sogleich nachfolgend. Dass das Dekret später häufig kursorisch und jeweils ohne vertiefte Begründung als vertraglich oder vertragsähnlich bezeichnet wurde (hierzu ausführlich GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 166 ff.), ist wenig aussagekräftig (soweit behördliche Qualifikationen in Frage stehen, lässt sich auch nicht ein [wohlerworbener] Anspruch kraft behördlicher Zusicherung begründen: hierzu hinten IV/2/b). Der vertragsähnliche Charakter müsste in einem Verfahren aufgrund der konkreten Umstände nachgewiesen werden, was nach den vorstehenden Ausführungen nur schwer möglich sein wird. D.h. die Kirchgemeinden (Art. 107 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Bst. d KV) oder die evangelisch-reformierte Landeskirche (vgl. Art. 121 Abs. 2 KV).
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2. Das Dekret vom 7. Mai 1804
wohlerworbener Rechte in Frage kommt. 113 Die Entstehung eines solchen Rechts wird denn auch gerade dort kritisch beurteilt, wo sich ein allfälliger Rechtsträger nur schwer vom Staat unterscheiden lässt.114 Jedenfalls müssten sich die öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen – gewissermassen als grundrechtsbezogene «Sachwalter» – auf die Religionsfreiheit berufen können. 115 Im Übrigen findet sich, gerade auch bezüglich der Eigentumsgarantie, 116 die Auffassung, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft könne dann Grundrechtsträgerin sein, wenn sie «wie ein Privater» betroffen sei. Dabei wird zur Beurteilung des letzteren Kriteriums etwa darauf abgestellt, ob eine öffentlich-rechtliche Aufgabe betroffen sei oder eine «freie», nicht näher geregelte Aufgabe in Frage stehe. 117 Ob dies hinsichtlich des staatlichen Anspruchs auf Pfarrbesoldung gegeben ist, erscheint aufgrund der umfassenden gesetzlichen Regelung des Anstellungs- und Besoldungsverhältnisses (äussere Angelegenheit), welcher Regelungshoheit sich die Kirche mit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung im Übrigen freiwillig unterwirft, zumindest zweifelhaft. 118 Insofern liegen die Verhältnisse – auch hier – gerade anders als beim direkt betroffenen Privaten, der jedenfalls dem Grundsatze nach Rechtsträger der betroffenen Grundrechte und damit auch Inhaber eines wohlerworbenen Besoldungsanspruchs sein kann. Ein wohlerworbenes Rechts mit vertragsähnlichem Charakter der evangelisch-reformierten Kirche scheint demnach sowohl seinem Inhalt nach wie auch mit Bezug auf die Frage der Rechtsträgerschaft – freilich aus jeweils ähnlichen Gründen – nicht zu bestehen. 119 Selbst wenn jedoch die Regelung gemäss Dekret vom 7. Mai 1804 aufgrund eines vertragsähnlichen Charakters ein wohlerworbenes Recht auf staatliche Pfarrbesoldung begründen sollte, dürfte dieses seinem Inhalt bzw. Umfang nach einer gesetzgeberischen Ablösung – jedenfalls nach Ablauf einer angemessenen Übergangsfrist – nicht prinzipiell entgegenstehen:
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Zu dieser äusserst umstrittenen Frage grundlegend YVO HANGARTNER, Verfassungsmässige Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts, in: Haller/Müller/Kölz/Tührer, Festschrift für Ulrich Häfelin zum 65. Geburtstag, Zürich 1989, S. 111 ff.; GIOVANNI BIAGGINI, Sind öffentliche Unternehmen grundrechtsberechtigt?, in: von der Crone/Weber/Zäch/Zobl, Neuere Tendenzen im Gesellschaftsrecht, Festschrift für Peter Forstmoser zum 60. Geburtstag, Zürich 2003, S. 623 ff. Vgl. zu diesem aus dem deutschen Recht stammenden sog. Konfusionsargument PHILIPP HÄSLER, Geltung der Grundrechte für öffentliche Unternehmen, Bern 2005, S. 164. Vgl. insbesondere YVO HANGARTNER, Verfassungsmässige Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts, in: Haller/Müller/Kölz/Tührer, Festschrift für Ulrich Häfelin zum 65. Geburtstag, Zürich 1989, S. 122 ff., insbes. S. 121 f. Vgl. BBl 1997 I 173; WALTER KÄLIN/REGINA KIENER, Grundrechte, Bern 2007, S. 185; mit dem Beispiel der Ausübung von Eigentumsbefugnissen im Bereich des Finanzvermögens. Vgl. YVO HANGARTNER, Verfassungsmässige Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts, in: Haller/Müller/Kölz/Tührer, Festschrift für Ulrich Häfelin zum 65. Geburtstag, Zürich 1989, S. 122 ff., insbes. S. 121; PHILIPP HÄSLER, Geltung der Grundrechte für öffentliche Unternehmen, Bern 2005, S. 162. Bejahend GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 231, jedoch offen gelassen, ob sich «auch die höchstrichterliche Rechtssprechung dieser Ansicht anzuschliessen vermag.» Wie bereits erwähnt ist nicht auszuschliessen, dass die einzelnen, vom Dekret vom 7. Mai 1804 betroffenen Geistlichen sich auf einen wohlerworbenen Besoldungsanspruch berufen konnten.
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
1. Vorweg lässt sich mit guten Gründen argumentieren, die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich seit der Übereinkunft mit vertragsähnlichem Charakter aus dem Jahr 1804 grundlegend verändert; eine Anpassung der (Vertrags-)Pflichten nach den Grundsätzen der «clausula rebus sic stantibus» sei daher zwingend: Die Entwicklung der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten und insbesondere das Verhältnis von Kirche und Staat dürften für die vermeintlichen «Vertragspartner» von 1804 fern jeglicher Vorstellung gelegen haben. Insbesondere die im 20. Jahrhundert einsetzende religiöse und weltanschauliche Pluralisierung120 und die bereits erwähnte schrittweise Verselbständigung bzw. Emanzipation der Kirche hin zu einem kritisch-konstruktiven, partnerschaftlichen Verhältnis gegenüber dem Staat haben völlig neue tatsächliche Voraussetzungen des Zusammenwirkens geschaffen. Historisch weiter zurückliegende «Marksteine» in der Entwicklung der Beziehungen, die zu einer gänzlich neuen Ausgangslage (mit-)beitragen, wie insbesondere die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Kirche 121 und der Verkauf des Kirchengutes durch den Staat sowie die Ablösung der mit dem Dekret vom 7. Mai 1804 auf den Staat übergegangenen 122 Zehntenpflicht und der Grundzinsen, 123 müssten ebenfalls (mit-)berücksichtigt werden. Ein striktes Festhalten an angeblichen «vertragsähnlichen» Verpflichtungen gemäss Dekret vom 7. Mai 1804, insbesondere einer zwingend direkten Finanzierung der Pfarrlöhne durch den Kanton Bern,124 erscheint unter diesen Umständen schwer haltbar. 125 Die hier erforderliche umfassende Interessenabwä120
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Nach neuster Praxis hat jedoch der Einzelne gestützt auf die Glaubensfreiheit heute keinen Anspruch darauf, von der Kantonssteuer befreit zu werden, weil die Steuereinnahmen (auch) zur Besoldung von Geistlichen verwendet werden (vgl. VGE vom 11. März 2010, Nr. 100.2009.169 und BGer 2C_360/2010 vom 22. November 2011 in der gleichen Sache). Mit dieser Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft unterwirft sich diese den Rechten und Pflichten, wie sie die Gesetzgebung vorsieht. Die Kirche hat m.a.W. die Möglichkeit, sich öffentlich-rechtlich anerkennen zu lassen, muss jedoch insofern gewärtigen, dass der Staat die Finanzierung der Kirche als äussere Angelegenheit autonom und unter Berücksichtigung seiner eigenen Staats- bzw. Finanzierungsgrundsätze zu regeln beansprucht. Vgl. § 1 des Dekrets vom 7. Mai 1804; STETTLER, Staats- und Rechtsgeschichte, S. 172; WEBER, Kirchliche Autonomie, S. 42 f. Dem Staat die Argumentation über den Verkauf von Kirchengut und die Ablösung der Zehntenpflicht zum vornherein versagen zu wollen, weil der Kanton Bern dies selbst verursacht habe und er damit gegen das Vertrauensprinzip verstossen würde, ist nicht haltbar (so aber GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 196 f., der wohl auch einzig unter dieser Prämisse von einer noch heute bestehenden «Leistungsäquivalenz» von Ertrag aus dem Kirchengut und staatlicher Besoldung ausgeht, vgl. S. 194). § 6 des Dekrets vom 7. Mai 1804 behält dem Kanton Bern ausdrücklich das Recht vor, «die zweckmässigen Abänderungen in Betreff der Pfarrgüter, deren Verkauf oder Abtausch treffen zu können.» Zudem garantierte Art. 22 der Mediationsverfassung explizit das Recht, Zehnten und Grundzinsen abzukaufen. So das GUTACHTEN FRIEDERICH (vgl. S. 262 et passim), in dem offenbar zwingend von einer Besoldungspflicht des Kantons als vertragsähnliche Gegenleistung für die Beanspruchung des Kirchengutes ausgegangen wird. Dieser «vertragsähnlichen» Pflicht müsste demnach etwa die Finanzierung der Pfarrlöhne über jährliche Kostenbeiträge an die Kirchen oder über die Kirchensteuer widersprechen. Das Dekret vom 7. Mai 1804 (vgl. insbesondere § 5, § 7 und § 11 betreffend Gehaltshöhe, Bezahlungsform [Naturalleistungen] und Berücksichtigung der einzelnen Pfarreien) mit dem entsprechenden Ausführungsdekret vom 12. Herbstmonat machen jedenfalls klar, dass es bereits damals weitgehend dem Kanton Bern bzw. dem «Kleinen Rath» vorbehalten blieb, die Modalitäten der Erfüllung des Besoldungsanspruchs in der Höhe von insgesamt Liv. 275‘000 selbst zu bestimmen
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2. Das Dekret vom 7. Mai 1804
gung 126 dürfte umgekehrt eher einer Anpassung an die heutigen Verhältnisse das Wort reden. Dies wird selbstredend umso mehr gelten, je weitgehender der Gesetzgeber die evangelisch-reformierte Kirche nach Ablösung der staatlichen Besoldungspflicht auch weiterhin, wenn auch in anderer Form, 127 finanziell zu unterstützen gedenken sollte. 2. Unabhängig von der Frage einer allfälligen (richterlichen) Anpassung der vertraglichen Pflichten nach den Regeln der «clausula rebus sic stantibus» können wohlerworbene Rechte mit vertragsähnlichem Charakter jedenfalls nicht auf «ewige Zeiten» (Fort-)Bestand haben.128 Dies widerspräche dem Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt. 129 In solchen Fällen ist es dem Staat bzw. dem Gesetzgeber erlaubt, entsprechende Ansprüche unter Einhaltung einer angemessenen Übergangsfrist abzulösen. 130 Damit kann kein Eingriff in wohlerworbene Rechte verbunden sein: Der Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt schliesst zum vornherein die unbefristete Bindung des Staates aus und wird hier dem Richter auferlegen, Rechte bzw. Pflichten, die diesem übergeordneten Rechtsgrundsatz widersprechen, einschränkend zu interpretieren.131 Insofern lässt sich eine auf unbestimmte Zeit eingegangene, vertragsähnliche Verpflichtung des Staates aufgrund des Dekrets vom 7. Mai 1804, wonach sich der Kanton Bern – jedenfalls bis zu einer allfälligen Rückübertragung des Kirchengutes – zur fortwährenden Besoldung verpflichtet haben sollte, nicht begründen. 132 Eine in zeitlicher Hinsicht mässige Ablösung 133 dieser Ansprüche würde demnach nicht in einen allfälligen wohlerworbenen Besoldungsanspruch mit vertragsähnlichem Charakter eingreifen und damit auch keinen Entschädigungsanspruch auslösen. 134
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bzw. den veränderten Verhältnissen anzupassen. Insofern dürfte jedenfalls eine staatliche Neufinanzierung der Pfarrlöhne, etwa über staatliche Pauschalbeiträge sowie (teilweise) die Kirchensteuer, nicht in vertrauenswidriger Weise allfällige vertragsähnliche Verpflichtungen im Dekret von 1804 tangieren. Vgl. vorne III/3/a. Z.B. Gewährung von jährlichen Kostenbeiträgen (etwa als Pauschalbeiträge) und Festhalten an der Kirchensteuer. Ob die «Formulierungen des Dekrets» und die «Umstände seines Erlasses» nur den Schluss zulassen, dass sich der Kanton Bern auf unbestimmte Zeit, evtl. bis zur Rückübertragung des Kirchengutes, verpflichten wollte (so GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 193), was selbstverständlich ebenfalls konkret nachzuweisen wäre, kann insofern offen bleiben. Hierzu vorne III/3/c in fine. Vgl. zu einer solchen angemessenen, allfällige wohlerworbene Rechte wahrenden Übergangsregelung hinten IV/4/b in fine. Hierzu ausführlich vorne III/3/c in fine. Das bernische Verwaltungsgericht hat die bundesgerichtliche Praxis zur «Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt» in einem neueren Urteil übernommen (vgl. VGE vom 22. Oktober 2009, BVR 2010, S. 66 E. 6.3). A.A. offenbar FRIEDERICH (Gutachten, S. 191 f. et passim, insbes. S. 193), obwohl auch er davon ausgeht, dass Verträge nicht auf ewige Zeiten abgeschlossen werden können (DERSELBE, S. 211). Hierzu hinten IV/4/b in fine. Nach hier vertretener Auffassung liesse sich bei einer solchen Ablösung auch nur schwer ein rechtlicher Anspruch auf Rückübertragung des Kirchenguts begründen (hierzu hinten IV/3).
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
b.
Zusicherung?
Die bundesgerichtlichen Praxis zu den wohlerworbenen Besoldungs- und Pensionsansprüchen von öffentlich-rechtlichen Angestellten anerkennt nur in einem äusserst engen Rahmen wohlerworbene Rechte aufgrund von Zusicherungen. Dabei wird verlangt, dass entweder der Gesetzgeber eine (Rechts-)Beziehung «ein für allemal» festgelegt und von Einwirkungen der gesetzlichen Entwicklung ausnimmt oder aber, dass im Zusammenhang mit einem bestimmten Anstellungsverhältnis konkrete Zusicherungen abgegeben werden. 135 Dies trifft etwa zu, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich festhält, dass ein vermögenswerter Anspruch für die derzeitigen Staatsangestellten unabänderlich sei bzw. keiner Änderung unterliege oder wenn der Staat einer bestimmten Person einen konkret bezifferten Anspruch individuell und verbindlich zusichert. 136 Eine solch qualifizierte, auf bestehende Ansprüche Privater sich beziehende Zusicherung ist im Dekret vom 7. Mai 1804 nicht zu erkennen. Allenfalls liesse sich für die damals im Amt stehenden Geistlichen begründen, diesen sei ein – ziffernmässig bestimmter bzw. ein minimaler 137 – Besoldungsanspruch im erwähnten Sinn zugesichert worden und begründe deshalb ein wohlerworbenes Recht. Hingegen fehlt im Gesetz – auch unter Berücksichtigung von Materialien und allgemeiner Entstehungsgeschichte – eine klare, verdichtete Zusicherung für eine andauernde (zeitlich unbefristete) Besoldungspflicht, die insbesondere auch (unbeschränkt) zukünftige (Pfarr-)Personen erfassen sollte.138 Es scheint zudem fraglich, ob die Praxis eine solche qualitativ neue Kategorie wohlerworbener Rechte, die auch künftige Besoldungsansprüche Privater garantieren soll, überhaupt anerkennen würde. Augenscheinlich liegt hier gerade keine derart verbindliche, individualisierte Vertrauensgrundlage vor, wie sie das Bundesgericht für (qualifizierte) Zusicherungen von persönlichen vermögenswerten Ansprüchen oder Anwartschaften an Private anerkennt; 139 solche also, die sich hinsichtlich der betroffenen Rechtsträger sowie zumeist auch der Höhe140 nach bestimmen lassen. Eine so weitreichende Anerkennung einer fortwährenden Besoldungspflicht141 des Staates scheint der restriktiven Praxis zu den wohlerworbenen Rechten, die sich weitgehend an bestehenden Gruppen von Ansprü-
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Vgl. vorne III/2/c. Vgl. BGE 106 Ia 163. Das Bundesgericht ist noch heute zurückhaltend bezüglich der Anerkennung genereller Vertrauensgrundlagen, nachdem es ursprünglich einzig individuelle Zusicherungen genügen liess (vgl. RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 84 f.; vgl. auch WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz, S. 63; SIMONE WYSS, Das subjektive öffentliche Recht als Begriff des Bundesgerichts. Herkunft, Funktion, Berechtigung, Basel 2009, S. 126). Vgl. zu den einzelnen Besoldungsansprüchen insbes. §5 des Dekrets vom 7. Mai 1804. Auch im GUTACHTEN FRIEDERICH (S. 235 und S. 236) wird keine konkrete Zusicherung vorgebracht. Vielmehr scheint aus den allgemeinen Umständen und der (vermeintlich) vertragsähnlichen Aktnatur des Dekrets vom 7. Mai 1804 ein besonderes Vertrauensverhältnis geschlossen zu werden, wonach sich die Geistlichkeit darauf habe verlassen dürfen, dass der Staat mit Übernahme des Kirchenguts – als Rechtsnachfolger der Pfrundstiftungen – andauernd die Pfarrbesoldung übernehme. Vgl. etwa BGE 136 I 23; BGer 2P.258/201; BGE 118 Ia 245; BGE 106 Ia 163. So anerkannt das Bundesgericht etwa dem Grundsatz nach den Pensionsanspruch von im öffentlichen Dienstverhältnis stehendenden Angestellten (vgl. BGE 134 I 23, E. 7.2). Wenn auch insofern (auflösend) bedingt, als der Staat sich von dieser durch Rückübertragung des Kirchengutes befreien könne.
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2. Das Dekret vom 7. Mai 1804
chen und deren Eigenheiten orientiert,142 zuwider zu laufen. Wie bei der Argumentation zu den vertragsähnlichen wohlerworbenen Rechten 143 dürfte jedenfalls auch hier der Nachweis nicht gelingen, dass eine Zusicherung losgelöst jeglicher erheblicher, nicht vorhersehbarer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse abgegeben wurde und diese zugleich mit dem allgemeinen Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt 144 zu vereinbaren sein soll. Aus den gleichen Gründen lässt sich auch in späteren, nach dem Dekret vom 7. Mai 1804 ergangenen behördlichen Akten 145 keine hinreichend qualifizierte Zusicherung finden, die einen solchen fortwährenden Besoldungsanspruch als wohlerworbenes Recht begründen könnte. Insbesondere sind auch historisch Jahrzehnte später vorgenommene Qualifikationen des dekretalen Akts von 1804, etwa die in den Materialien aus dem Jahr 1837 vertretene Auffassung, das Dekret sehe die «fortwährende Verabfolgung» der entsprechenden Besoldungssumme gemäss § 1 vor, 146 mit der gebotenen Zurückhaltung zu werten. Offenbar sollte damit jeweils nicht losgelöst vom Dekret vom 7. Mai 1804 und dessen Qualifikation, wie sie in einem allfälligen künftigen Rechtsverfahren unter umfassender Berücksichtigung sämtlicher Umstände zu erfolgen hat, ein entsprechendes wohlerworbenes Recht anerkannt werden. 147 Die von der Praxis entwickelten Anforderungen an die Bestimmtheit der Zusicherung sind jedenfalls nicht erfüllt. c. Ehehaftes Recht?
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ferner davon auszugehen, dass weder das Dekret vom 7. Mai 1804 noch allfällige andere historisch begründete Rechtstitel, wie etwa der staatliche Erwerb von Patronaten, eine hinreichende Vertrauensgrundlage bilden, um nach der Praxis des Bundesgericht ein ehehaftes und damit wohlerworbenes Recht zu begründen. d. Fazit
Weder das Dekret vom 7. Mai 1804 noch spätere behördliche Akte vermögen ein wohlerworbenes Recht der evangelisch-reformierten Kirche auf fortdauernde Pfarrbesoldung – allenfalls als Gegenleistung zur Inanspruchnahme des Kirchengutes – zu begründen. Eine hinreichend verdichtete bzw. konkretisierte Vertrauensgrundlage, wie sie die bundesgerichtliche Rechtsprechung für die wohlerworbenen Rechte verlangt, liegt gerade nicht vor. Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung die Begründung eines solchen qualifizierten Anspruchs bejaht würde, könnte dieser den Staat bzw. den Ge-
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Vgl. hierzu vorne III/2. Hierzu vorne IV/2/a. Hierzu vorne III/3/c in fine. Zu den einzelnen Akten ausführlich GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 177 ff. und S. 236. Vgl. hierzu GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 193, der zudem etwa eine regierungsrätliche Stellungnahme zur Trennungsinitiative (DERSELBE, S. 188), wonach die Besoldungspflicht auf der Säkularisierung des Kirchenguts beruhe und der vorgeschlagene Verfassungsartikel in wohlerworbene Rechte eingreifen würde, sowie das Votum eines Parlamentariers im Verfassungsrat zur Staatsverfassung von 1804, der im Zusammenhang mit der Säkularisierung des Kirchengutes ebenfalls von wohlerworbenen Rechten sprach, anführt. So wohl auch GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 236 (Ausführungen in ihrem Kontext).
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
setzgeber heute nur noch zeitlich beschränkt binden. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangsfrist 148 wäre ein entsprechendes wohlerworbenes Recht jedenfalls entschädigungslos ablösbar. Aufgrund der heutigen Fakten- bzw. Beweislage dürfte zudem auch ein rechtlicher Anspruch auf Rückerstattung des Kirchengutes bzw. eine entsprechende Entschädigungspflicht, der mit der gesetzgeberischen Ablösung der staatlichen Pfarrbesoldung verbunden sein soll, kaum zu begründen sein. 3. Exkurs: Rückerstattung des Kirchengutes bzw. Entschädigungspflicht aus anderen Rechtstiteln?
Ein historisch begründeter, wohlerworbener Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung scheint nach dem Gesagten nicht zu bestehen. Hieraus lässt sich jedoch nicht ohne weiteres folgern, dass eine allfällige künftige Ablösung des Anspruchs auf staatliche Pfarrbesoldung auch keine Rechtspflicht zur Rückerstattung des Kirchengutes bzw. – da Letzteres nur schwer in Betracht fallen wird (vgl. Veräusserung von Kirchengut bzw. dessen Vermengung mit dem Staatsgut) – eine entsprechende Entschädigungspflicht begründen würde. 149 Unter Berücksichtigung der vorerwähnten Ausführungen ist aufgrund der dürftigen Fakten- bzw. Beweislage bezüglich des Dekrets vom 7. Mai 1804 und dessen Entstehung jedenfalls zu bezweifeln, dass sich ein solcher Anspruch auf der Grundlage eines Vertrages (vgl. Dekret vom 7. Mai 1804) 150 oder eines anderen Rechtstitels (insbesondere wohlerworbenes Recht, 151 Gesetz, historischer Rechtstitel 152) nachweisen lässt. Ähnliche Schwierigkeiten dürften auch bezüglich des staatlichen Erwerbs von Patronaten153 und allfälliger anderer, historisch begründeter Rechtstitel bestehen. Selbst wenn sich jedoch rechtsgültig eine solche – am ehesten wohl vertraglich begründete – Entschädigungspflicht nachweisen liesse, würde diese kaum eine staatliche Pflicht zur fortwährenden («ewigen») Besoldung begründen. Eine entsprechende Verpflichtung widerspräche wiederum dem bereits erwähnten allgemeinen Rechtsgrundsatz der «Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt» bzw. – soweit es sich um einen vertraglichen oder vertragsähnlichen Anspruch handeln sollte – der «clausula rebus sic stantibus». Eine
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Hierzu hinten IV/4/b in fine. So das GUTACHTEN FRIEDERICH (vgl. vorne I). Insbesondere sind hier bereits die wesentlichen Vertragspflichten schwer bestimmbar (Überlassung des Kirchenguts zur Verwaltung oder sogar zu Eigentum?). Zur fraglichen Rechtspersönlichkeit der Kirche sowie zum wohl fehlenden vertraglichen Bindungswillens vgl. im Übrigen vorne IV/2/a. Auch im GUTACHTEN FRIEDERICH (S. 173) wird einzig von einem «vertragsähnlichen Charakter» ausgegangen. Ein solcher vermag gerade keine Vertragspflicht und nach den vorstehenden Ausführungen auch kein wohlerworbenes Recht zu begründen. Nach den vorstehenden Ausführungen lässt sich ein solches weder mit dem vertragsähnlichen Charakter des Dekrets vom 7. Mai 1804 noch mit einer staatlichen Zusicherung (hierzu vorne IV/2) begründen. Hierzu vorne II/2/c. So FLEINER, Trennung von Staat und Kirche, S. 8 f. und 10, der von der patronatsrechtlichen Unterhaltspflicht ohne weiteres auf eine Entschädigungspflicht (in der Höhe eines Kapitals, dessen Erträgnisse zur Besoldung der Geistlichen ausreichen müsse) schliesst, welche mit der Ablösung der staatlichen Pfarrbesoldung begründet werde.
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4. Zusicherung im geltenden Kirchengesetz?
solche Rechtspflicht dürfte auch hier demnach nur einschränkend Bestand haben und bei einer allfälligen künftigen Ablösung des staatlichen Besoldungsanspruchs dann nicht verletzt sein, wenn diese eine angemessene Übergangsregelung im Sinn der nachstehenden Ausführungen 154 vorsähe. Selbstverständlich schliessen die vorstehenden Ausführungen nicht aus, dass der Staat aus Billigkeitsüberlegungen im politischen Prozess beschliesst, die Kirchen – losgelöst von den bestehenden Rechtspflichten – in (erheblich) weiterem Umfang finanziell zu unterstützen. 155 4. a. Zusicherung im geltenden Kirchengesetz? Verfassungsrechtliche Vorgaben (Art. 123 Abs. 2 KV)
Nach der bernischen Kantonsverfassung bestreiten die Landeskirchen ihren Aufwand durch die Beiträge ihrer Kirchgemeinden und durch die vom Gesetz bezeichneten Leistungen des Kantons (Art. 123 Abs. 3 BV). Wie bereits der Wortlaut der Bestimmung erkennen lässt, war der Verfassungsgeber darauf bedacht, die Regelung der staatlichen Leistungen möglichst weitgehend dem Gesetzgeber zu überlassenen. Dieses Verfassungsverständnis findet in den Materialien seine Bestätigung. Der Vortrag zur neuen Verfassung hält insofern bereits unmissverständlich fest: «Heute besoldet der Kanton die Pfarrerinnen und Pfarrer. Die neue Verfassung will hier nichts ändern. Als offenes, auf mittlere Zukunft ausgerichtetes Grundgesetz kann und will es allerdings nicht allzu enge Strukturen fixieren. Die Leistungen des Staates an die Kirchen sollen auf Gesetzesstufe geregelt werden. Die Verfassung begnügt sich demzufolge mit einem Verweis auf das Gesetz (Abs. 3).» 156 Ein Blick in die Vorarbeiten der Verfassungskommission bestätigt dabei diesen verfassungsgeberischen Willen. So ist etwa die im Vernehmlassungsentwurf vom 9. April 1991 vorgesehene, explizite Verankerung eines Besoldungsanspruchs157 wie auch der Antrag, die staatlichen Leistungen auf Beiträge zur Erfüllung sozialer Aufgaben zu beschränken, zugunsten der heutigen, offenen Regelung verworfen worden.158 Damit sollte, wie bei sämtlichen Kirchenartikeln in der Verfassung, die künftige «freie Entwicklung» im Verhältnis zwischen Kirche und Staat ermöglicht werden.159
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Vgl. hinten IV/4/b in fine. Etwa weil er dies aufgrund der historisch engen Verbindung zwischen Kirche und Staat und der fortwährenden Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Kirchen für angebracht erachtet. Vgl. Vortrag der Verfassungskommission zuhanden des Grossen Rates betreffend die Totalrevision der Verfassung vom 31. Januar 1992, S. 21. Vgl. Art. 119 Abs. 3 Entwurf KV: Der Kanton besoldet die Geistlichen der Kirchgemeinden, Anstalten und Regionalpfarrämter. Vgl. hierzu auch GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 29 f. Vgl. Beratungen der Verfassungskommission, Band II, Juni 1990 – Januar 1993, Protokolle, Staatsarchiv des Kantons Bern, St.A.B. A 3.7.18, S. 996 ff., S. 1361 ff.; URS BOLZ, Kommentar zu Art. 125 KV, in: Kälin/Bolz, Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, Art. 125 Rz. 6a. Vgl. Votum STEINLIN (Vizepräsident der Kommission), Beratungen der Verfassungskommission, Band II, Juni 1990 – Januar 1993, Protokolle, Staatsarchiv des Kantons Bern, St.A.B. A 3.7.18, S. 997.
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
Der Verfassungsgeber hat demnach dem Gesetzgeber bewusst einen weitreichenden Spielraum gelassen, um die Frage der staatlichen Leistungen an die Kirche autonom und unter Berücksichtigung der weiteren (Fort-)Entwicklung des Kirche-Staat-Verhältnisses zu regeln. Der Gesetzgeber sollte möglichst frei entscheiden können, ob bzw. inwieweit er einen staatlichen Besoldungsanspruch der Geistlichen anerkennt. Dabei verböte das Verfassungsrecht dem kantonalen Gesetzgeber nicht, allenfalls mit einem staatlichen Besoldungsanspruch auch dessen Wohlerworbenheit und damit dessen besondere (Gesetzes-)Beständigkeit anzuerkennen. Insofern ist Art. 123 Abs. 3 KV einzig Ausdruck einer verfassungsgeberischen (Selbst-)Bindung, nicht jedoch einer solchen des Gesetzgebers. 160 b. Anerkennung wohlerworbener Ansprüche in Art. 54 Abs. 2 KG
Mit der Revision des Kirchengesetzes 161 vom 12. September 1995 hat sich der Gesetzgeber dem Grundsatz nach ausdrücklich für die bis anhin geltende staatliche Besoldungspflicht ausgesprochen. Gemäss Art. 54 Abs. 1 KG werden die Geistlichen an den vom Kanton errichteten Pfarrstellen nach gleichen Grundsätzen vom Kanton besoldet.162 Dabei hat der Kanton «insbesondere wohlerworbene Rechte aufgrund historischer Rechtstitel» zu wahren (Art. 54 Abs. 2 KG). Ob bzw. inwieweit der Gesetzgeber damit wohlerworbene Ansprüche «neu» anerkennen wollte, erscheint unklar. Es lassen sich zwei unterschiedliche Normverständnisse auseinander halten, die im Nachfolgenden näher zu prüfen sind. Unter Berücksichtigung des Wortlauts von Art. 54 Abs. 2 KG liegt es nahe, die entsprechende Bestimmung lediglich als «deklaratorischen Verweis» zu verstehen: Der Gesetzgeber gewährleistet historisch begründete Rechte soweit sie nach geltendem Verfassungsrecht als wohlerworbene Rechte Anerkennung finden. 163 Für eine solche Auslegung der Bestimmung scheint auch das höherrangige Verfassungsrecht zu sprechen, soll doch gemäss Art. 123 Abs. 3 KV das Gemeinwesen pro futuro nicht (längerfristig) gebunden werden. 164 Ein Blick in die Materialien bringt ein zweites Normverständnis zum Vorschein. Nach den Ausführungen im Vortrag165 soll die staatliche Besoldung der Geistlichen explizit als wohlerworbener Anspruch anerkannt werden. Dieser lässt sich aber – entgegen der
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Was aus den Materialien ergeht (vgl. Beratungen der Verfassungskommission, Band II, Juni 1990 – Januar 1993, Protokolle, Staatsarchiv des Kantons Bern, St.A.B. A 3.7.18, S. 996 ff., S. 1361 ff.). Gesetz vom 6. Mai 1945 über die bernischen Landeskirchen (Kirchengesetz, KG; BSG 410.11). Als Mitarbeitende des Kantons bestimmt sich das Anstellungs- und Besoldungsverhältnis nach den allgemeinen personalgesetzlichen Bestimmungen des Kantons. Vorbehalten bleiben die spezifischen Regelung des KG sowie der Verordnung vom 19. Oktober 2011 über das Arbeitsverhältnis der Inhaberinnen und Inhaber von Pfarr- und Hilfspfarrstellen (APHV; BSG 414.311) (vgl. Art. 2 Abs. 2 Personalgesetz vom 16. September 2004, PG, BSG 153.01). Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, lassen sich solche historisch begründeten, wohlerworbenen Ansprüche auf staatliche Pfarrbesoldung indes eher nicht begründen bzw. nachweisen. Vgl. hierzu vorne IV/4/a. Weitere Materialien sind nicht vorhanden. Die entsprechende Bestimmung sind ohne weitere Diskussion im Grossen Rat angenommen worden.
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4. Zusicherung im geltenden Kirchengesetz?
Formulierung im Vortrag – 166 nicht auf alte Rechtstitel stützen und die Landeskirche kann nicht Rechtsträger sein. Solche wohlerworbene Rechte wurden weder historisch begründet167 noch lassen sich diese, über das verfassungsrechtliche Institut der wohlerworbenen Rechte hinausgehende Ansprüche durch den heutigen Gesetzgeber zusichern. 168 Vielmehr vermag die Norm, d.h. der Normtext unter Berücksichtigung der Ausführungen im Vortrag, nur bezüglich der einzelnen heute besoldeten Pfarrpersonen eine qualifizierte, individualisierte Vertrauensgrundlage zu schaffen, die nach der bundesgerichtlichen Praxis zu den (gesetzlichen) Zusicherungen in öffentlichen Dienstverhältnissen ein wohlerworbenes Recht begründet. 169 Der wohlerworbene Anspruch gestaltet sich dabei bezüglich Inhalt, Rechtsträgerschaft sowie (Gesetzes-)Beständigkeit wie folgt: ! Das wohlerworbene Recht beschränkt sich auf den staatlichen Besoldungsanspruch als solchen. Er erfasst keine ziffernmässig bestimmte Lohnsumme oder die Regelung der (Besoldungs-)Modalitäten. 170 Der Anspruch entsteht (einzig) ad personam und nicht zugunsten der Landeskirche oder der einzelnen Kirchgemeinden. Hierauf können sich sämtliche vom Kanton heute besoldeten Pfarrerinnen und Pfarrer berufen. Für zukünftige vom Kanton Bern besoldete Geistliche wird dieses wohlerworbene Recht eo ipso mit ihrer Anstellung begründet. Dieser «Automatismus» liesse sich einzig mit einer Revision der Kirchengesetzgebung, d.h. insbesondere von Art. 54 Abs. 2 KG, ausschalten. Eine vollständige Ablösung des Anspruchs auf staatliche Pfarrbesoldung müsste jedoch die unter altem Kirchengesetz (Art. 54 Abs. 2 KG) entstandenen, wohlerworbenen Ansprüche der Pfarrerinnen und Pfarrer wahren. Dies würde ein angemessenes
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Vgl. Vortrag KG, S. 8: «Die Besoldung der Geistlichen durch den Kanton stützt sich auf alte Rechtstitel, welche als wohlerworbene Rechte der Landeskirchen zu werten sind.» und S. 9: «Sollte es einmal zu einer Trennung von Kirche und Staat kommen, würde das ‹wohlerworbene Recht› zugunsten der Landeskirchen hinfällig […]». Vgl. vorne IV/2. Vgl. vorne III/3/a und II/2/d in fine. Die gesetzliche Zusicherung ist hier im Übrigen zu unbestimmt, um einen wohlerworbenen Besoldungsanspruch, wie ihn die Praxis etwa für gesetzliche Zusicherungen im Bereich des öffentlichen Dienstverhältnisses anerkennt, zu begründen (vgl. hierzu vorne III/2/c und IV/2/b). Selbst bei gegenteiliger Auffassung müssten entsprechende wohlerworbene Ansprüche zumindest mittelfristig unter Beachtung eines angemessenen Übergangsregimes ablösbar sein (vgl. auch vorne IV/2/a und b; zu einem entsprechenden Übergangsregime sogleich nachfolgend). Zu den aufgrund gesetzlicher Zusicherung anerkannten wohlerworbenen Rechten im öffentlichen Dienstverhältnis vgl. vorne III/2/c. Ähnlich hat das Bundesgericht den Rentenanspruch aus der beruflichen Vorsorge in einem neueren Urteil als wohlerworben qualifiziert (vgl. BGE 134 I 23, E. 7.2).
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IV. Wohlerworbenheit der staatlichen Pfarrbesoldung
Übergangsregime bedingen, das die altrechtlich begründeten Besoldungsansprüche der Geistlichen bis zu deren Austritt aus dem Staatsdienst respektiert. 171 c. Fazit
Das geltende Kirchenrecht räumt mit Art. 54 Abs. 2 KG sämtlichen vom Kanton Bern heute angestellten Pfarrerinnen und Pfarrern einen wohlerworbenen Besoldungsanspruch ein. Die Wohlerworbenheit bezieht sich einzig auf die staatliche Besoldung als solche, garantiert aber keine ziffernmässig bestimmte Entlöhnung. Die Wohlerworbenheit steht indes einer künftigen Ablösung dieses Anspruchs (bzw. dieser staatlichen Besoldungspflicht) durch den Gesetzgeber nicht grundsätzlich entgegen. In einer Übergangsregelung müsste allerdings gewährleistet werden, dass die staatliche Besoldung für die altrechtlichen Anstellungsverhältnisse – bis zur jeweiligen Beendigung des Dienstverhältnisses – unangetastet bleibt. Nur diesfalls läge kein Eingriff in wohlerworbene Rechte vor und eine entsprechende Neuregelung wäre aus rechtlicher Sicht ohne weiteres zulässig.
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Andernfalls läge bezüglich letzterer Fälle ein Eingriff in wohlerworbene Rechte vor, der – wenn überhaupt – einzig unter der Voraussetzung einer vollen Entschädigung zulässig wäre. Bei Geldleistungen wird bisweilen vertreten, eine Ablösung sei gar nicht möglich, da dies einzig einen sinnlosen Austausch «Geld gegen Geld» zur Folge habe (vgl. BGE 106 Ia 163, E. 1b; RIVA, Wohlerworbene Rechte, S. 98 Fn. 374). Kritisch hierzu GUTACHTEN FRIEDERICH, S. 47.
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V. Ergebnisse
1. Die geltende Verfassung bestimmt abschliessend, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen historisch begründete Rechte «gesetzesbeständig» sind, mithin bei Gesetzesänderungen erhöhten Schutz geniessen. Solchen Schutz erfahren heute nur die sog. wohlerworbenen Rechte. Es stellt sich daher die Frage, ob die hier interessierenden historisch begründeten Besoldungsansprüche wohlerworbene Rechte darstellen. Und falls ja, wieweit sie einen Anspruch vermitteln, der über den «allgemeinen» Lohnanspruch nach geltendem Gesetzesrecht hinaus geht. 2. Wohlerworbene Rechte werden nach ständiger, restriktiver bundesgerichtlicher Praxis aus der Eigentumsgarantie und dem Prinzip von Treu und Glauben abgeleitet. Zu ihnen zählen typischerweise Rechte mit sog. vertragsähnlichem Charakter sowie gesetzlich oder behördlich zugesicherte Ansprüche aus dem öffentlichen Dienstverhältnis. Sowohl die Entstehung wie auch die Beschränkung dieser Rechte lässt sich jeweils nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilen. 3. Weder das Dekret vom 7. Mai 1804 noch andere «historische» Akte des Staates bilden eine hinreichende (Vertrauens-)Grundlage, die ein wohlerworbenes Rechts der Kirche auf staatliche Pfarrbesoldung zu begründen vermöchte. Eine fortwährende («gesetzesbeständige») staatliche Besoldungspflicht lässt sich insofern rechtlich nicht begründen. Kommt hinzu, dass damals (d.h. im Jahre 1804) weder die Kirche noch die Geistlichkeit über eigene Rechtspersönlichkeit verfügten, mithin gar nicht Rechtsträger sein konnten. Sodann wäre auch für die Gegenwart zweifelhaft, ob die heutigen kirchlichen Körperschaften als (Grund-)Rechtsträger und Rechtsnachfolger überhaupt in Frage kämen. 4. Selbst wenn – entgegen den vorangehenden Darlegungen – von einem historisch begründeten wohlerworbenen Besoldungsanspruch der Kirche ausgegangen würde, wäre dieser nicht unantastbar. Nach den beiden Prinzipien der «Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt» sowie der «clausula rebus sic stantibus» könnte er unter Beachtung eines mässigen Übergangsregimes vom Gesetzgeber abgelöst werden. Ob damit gleichzeitig ein Anspruch der Kirche auf Rückübertragung des Kirchengutes – bzw. auf entsprechende finanzielle Entschädigung – verbunden wäre, ist eine Frage, die einer separaten Prüfung bedürfte. Selbst wenn sich jedoch hierfür Rechtstitel (z.B. Vertrag, Gesetz) nachweisen liessen, könnten auch diese nach den erwähnten Prinzipien nur beschränkt Geltung beanspruchen. 5. Ein institutioneller Anspruch, mithin ein wohlerworbenes Besoldungsrecht zugunsten der Kirche, lässt sich nach dem Gesagten somit nicht begründen (Ziff. 13). Indes schafft Art. 52 Abs. 2 KG einen individuellen wohlerworbenen Besoldungsanspruch. Dieser erstreckt sich auf sämtliche Pfarrpersonen, die unter Geltung dieser Vorschrift angestellt wurden bzw. dies in Zukunft noch werden. Sollen künftige Anstellungen von diesem Anspruch nicht mehr profitieren, bedarf es hierzu einer entsprechenden Gesetzesänderung; diese müsste allerdings die altrechtlich entstanden (wohlerworbenen) Ansprüche unberührt lassen.
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