Fromm-und-fremdend.pdf

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(file: @@Fromm-und-fremdend.pdf@@)8 Urech tritt als Präsident zurück VERWALTUNGSGERICHT Der erste Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, der Berner Hans Urech, tritt aus gesundheitlichen Gründen per sofort von seinem Amt zurück. Der Rücktritt kommt mitten in der Aufbauphase für das neue Gericht, das seine Tätigkeit 2007 aufnehmen wird. Urech ist Gemeindepräsident von Ins und SVP-Mitglied. Wie die provisorische Leitung des Bundesverwaltungsgerichts am Freitag mitteilte, betrifft der Rücktritt von Urech nur seine Funktion als Präsident. Sein Amt als künftiger Richter am Bundesverwaltungsgericht wolle er beibehalten. Die Gerichtsleitung bedaure den Rücktritt. Die Tagesgeschäfte werden interimistisch von Vizepräsident Philippe Weissenberger übernommen, wie dessen Büro auf Anfrage mitteilte. Der 54-jährige Urech war am 5. Oktober 2005 zum ersten Präsidenten des neuen Gerichts gewählt worden. Aktuell präsidiert er die Rekurskommission EVD und Wettbewerbsfragen. (sda) SCHWEIZ SAMSTAG, 11. MÄRZ 2006 ZUR SACHE: Sandro Cattacin ist Direktor des Soziologischen Instituts der Universität Genf und erforscht das Thema Menschenfeindlichkeit in der Schweiz. Die Muslime im Jassklub «BUND»: Religiöse sind menschenfeindlicher. Diese verkürzte Aussage setzt sich bei der Durchsicht Ihrer Forschungsergebnisse fest. SANDRO CATTACIN: Ja, die Aussage ist grundsätzlich richtig. Es gibt eine Korrelation zwischen Religiosität und Menschenfeindlichkeit. Der wissenschaftliche Befund zur Religionslandschaft: Kirchgang schützt nicht vor Fremdenfeindlichkeit. VALÉRIE CHÉTELAT Gilt auch der provokative Umkehrschluss: Atheisten sichern in der Schweiz den religiösen Frieden? Auch dafür finden wir deutliche Indizien. Allerdings reden wir nicht explizit von Atheisten, sondern generell von Nichtreligiösen, von jenen, die sich von der Kirche abgewandt und ein sehr pragmatisches Weltbild haben. Atheisten verneinen die Spiritualität ganz. Andere Nichtreligiöse haben trotz allem ein mystisches Weltbild. So stimmt die Grundaussage: Nichtreligiöse sind generell toleranter. Sie argumentieren, die festgestellte Menschenfeindlichkeit sei die unausweichliche Folge der sehr bewahrenden Haltung jeder Kirche. Die Kirchen sind und bleiben wichtige Institutionen, die Halt und Orientierung geben. Die Frage ist nur, welche Kirchen wir in Zukunft haben werden. Gelingt es den Kirchen, Wesentliches zum Verständnis für die Verschiedenheit in der Gesellschaft beizutragen? Gelingt es, das eigene Selbstverständnis zu relativieren und einzuräumen, dass die eigene eine von mehreren tragenden Religionen ist? Politische Parteien – zuletzt wars die CVP – fordern die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Islam. Ist diese Debatte überhaupt nötig? Lohnend ist mindestens ein Ansatz: Es ist sicher nötig, deutlicher Stellung zu nehmen zur religiösen und kulturellen Vielfalt in der Schweiz. Meine These ist, dass die Schweiz nur wegen ihrer Vielfalt lebt. Dieser Vielfalt mit blosser innerer Abschottungspolitik zu begegnen ist schlecht, weil so das Innovationspotenzial der Gesellschaft einfach negiert wird. Somit orten Sie die potenziellen Konflikte gar nicht bei den Muslimen selbst, die inzwischen die drittgrösste Religionsgemeinschaft in der Schweiz bilden? Es ist einfach auffallend, dass sich die während der explorativen Forschung befragten Muslime gegenüber Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften kaum abschotten. Sie haben überdurchschnittlich viele freundschaftliche Kontakte zu Menschen anderen Glaubens. Zum einen belegt das Offenheit. Zum andern ist es die Folge des Integrationsdruckes. Nützlich für die Koexistenz wäre es nun, grundsätzlich alle Türen zu öffnen, die sich öffnen lassen. Ich denke da besonders auch an politische Kommissionen, aber eben nicht nur an jene für Ausländerfragen, sondern etwa auch an Kommissionen, die im Gesundheitsbereich oder im Bildungswesen wirken. Bleiben die Türen verschlossen, verstärkt sich die Neigung, halt doch getrennte Wege zu gehen. Ist Ihr Befund ein Hinweis darauf, dass in der Schweiz keine konfliktuöse Parallelgesellschaft entsteht wie beispielsweise in Frankreich? Es existieren und entstehen laufend zahllose Parallelgesellschaften. Die Frage ist nur, ob diese miteinander kommunizieren können. Bildhaft ausgedrückt: Sobald jemand in der Schweiz sowohl Muslim als auch gleichzeitig Mitglied des Jassklubs sein kann, entsteht soziales Kapital und wird das Auseinanderdriften der Parallelgesellschaften verhindert. Interview: Marc Lettau KURZ Schutz vor Passivrauchen ARBEITSPLATZ Der Bundesrat will Fromm und fremdend Forschungsprojekt stellt Religiosität und Menschenfeindlichkeit in inneren Zusammenhang Die Nichtreligiösen tragen womöglich mehr zum religiösen Frieden in der Schweiz bei als all die Religiösen, die sich ihrer Nächstenliebe rühmen: Es gibt klare Indizien für den Zusammenhang zwischen Religiosität und allgemeiner Menschenfeindlichkeit, sagt ein nationales Forschungsprojekt. M A R C L E T TA U die Bevölkerung besser vor dem gesundheitsgefährdenden Passivrauchen schützen. Dabei liebäugelt er auch mit Rauchverboten in öffentlichen Räumen und am Arbeitsplatz. Solche Verbote seien ein wirksames und auch wirtschaftsfreundliches Mittel. Über konkrete Massnahmen will die Regierung aber erst später entscheiden. (ap) Kein Referendum der SVP KOHÄSIONSMILLIARDE Die SVP will kein Referendum gegen die Schweizer Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten ergreifen. «Unter uns Gewählten gibt es solche, welche die Idee nicht aufgeben wollen. Doch ich bin sicher, dass wir darauf verzichten werden, das Versprechen, das Bern an Brüssel machte, anzugreifen», sagte SVP-Präsident Ueli Maurer in Interviews mit Westschweizer Zeitungen. Maurer schätzt, dass nicht mehr als die Hälfte der SVP-Wähler ein solches Vorhaben unterstützen würden. (sda) wohl in Bezug auf Religion, Gleichstellung, gesellschaftlich «toleranzgefährdete» Gruppen wie Homosexuelle und soziale Randgruppen wie Bettler und Obdachlose. Sandro Cattacin: «Nichtreligiöse sind klar weniger rassistisch, weniger sexistisch, weniger homophob, weniger xenophob.» Nur ein Schluss sei übereilt: «Man darf davon nicht ableiten, dass jeder Nichtreligiöse tolerant ist.» Beunruhigender Antisemitismus Fokussiert auf die Frage, wer den religiösen Frieden in der Schweiz stützt und wer ihn gefährdet, liefert die Studie die unangenehme Bestätigung einer antisemitischen Grundströmung innerhalb aller grossen religiösen Gruppen. So denkt jeder vierte Katholik und jeder vierte Protestant, die Juden seien für ihre Verfolgung grundsätzlich selber verantwortlich. Und jeder Fünfte findet, Juden – sie machen einen Bevölkerungsanteil von 0,25 Prozent aus – verfügten in der Schweiz über zu viel Macht. Das seien «beunruhigend hohe Zahlen», urteilt Cattacin, ähnlich hohe Zahlen wie in Deutschland. Missbrauch nicht belegbar VERBANDSBESCHWERDE 16 Schwei- zer Umweltverbände haben sich im 40. Jahr des Verbandsbeschwerderechts gegen den Vorwurf des Missbrauchs dieses Rechts gewehrt. Letztes Jahr bekamen sie in gut drei von vier Fällen Recht. So mussten in 78 Prozent von 244 Verfahren Korrekturen zugunsten der Natur vorgenommen werden. (ap) Luzern nun voll dabei UNIVERSITÄTSKONFERENZ Die Misanthropie: Bei diesem Stichwort denkt Professor Sandro Cattacin, Direktor des soziologischen Instituts der Universität Genf, nicht in erster Linie an Molière. Misanthropie ist für ihn einfach die allgemeine Ausdrucksform für die breite Palette menschenfeindlicher Haltungen, zu denen etwa religiöse Intoleranz, Antisemitismus, Xenophobie und Sexismus zählen. Cattacin sucht derzeit mit seinem Forscherteam nach Möglichkeiten, das Mass an Misanthropie in der schweizerischen Gesellschaft – respektive deren Pluralismustoleranz – zu messen. Ein Anlass für die künftige Messarbeit: Weil die Schweiz auf allen Ebenen viel in Integrationsbemühungen investiere, stelle sich auch die Frage, ob die Fremdenfeindlichkeit tatsächlich abnehme und die Pluralismustoleranz tatsächlich wachse. Verbreitete religiöse Intoleranz Das «Messgerät» selbst existiert noch nicht. Erste Ergebnisse der explorativen Forschung des Genfer Professors über den gegenwärtigen Zustand der Nation in Sachen Toleranz liegen aber vor, vorab zum Bereich Religion und Menschenfeindlichkeit. Brisant sind diese Ergebnisse vor allem vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte in der Schweiz über die Koexistenz mit Menschen islamischen Glaubens, über den religiösen Frieden generell und über die Folgen der Multikulturalität für die Gesellschaft. Die auffälligste Aussage des nationalen Forschungsprojekts: Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Religiosität und Menschenfeindlichkeit. Das wiederum heisst, dass jene Schweizerinnen und Schweizer, die sich selber als nicht religiös verstehen, der Vielfalt in der Gesellschaft grundsätzlich mit mehr Toleranz begegnen – und zwar so- Punkto Fremdenfeindlichkeit stellen die Forscher den Protestanten schlechtere Noten aus als den Katholiken. Doch dafür liegt eine Erklärung bereit: Der Anteil der Katholiken kann sich hauptsächlich wegen der Zuwanderung aus dem Ausland halten. Da ist etwas weniger Fremdenfeindlichkeit die logische Folge, argumentieren die Forscher. Anderseits orten sie bei den Katholiken in einem anderen Entfaltungsgebiet der Nächstenliebe markante Schwächen: Die statistisch erhöhte feindliche Einstellung gegen Frauen sei deutlich ablesbar. Der «traditionelle Sexismus» – die Haltung «Frauen hinter den Herd» – tauche bei Nichtreligiösen nur etwa halb so häufig auf. Muslime im Anerkennungskampf Differenzierte Aussagen macht Cattacin zur antisemitischen Einstellung hiesiger Muslime. Deren Haltung zur «Schuldfrage» weiche nur minim ab von jener der Christen in der Schweiz. Hingegen hätten Muslime viel stärker das Gefühl, Juden verfügten über zu viel Macht in Wirtschaft und Gesellschaft. Das wiederum spiegle die Tatsache, wie sehr die inzwischen drittgrösste Religionsgruppe in der Schweiz gegenwärtig in einem Anerkennungskampf stehe. Veränderter Auftrag Aus der Sicht des deutschen Sozialpsychologen Andreas Zick, der sich im nördlichen Nachbarland mit vergleichbaren Fragestellungen befasst, bestätigen die Ergebnisse aus der Schweiz eines ganz klar: «Religiosität macht – unabhängig von der Religion – vorurteilsbereiter.» Darauf zu reagieren sei angesichts der vielerorts vermuteten «Rückkehr des Religiösen» unabdingbar. Heisst das salopp resümiert, dass es der Schweiz ohne Religion und Kirche besser ginge? Cattacin wiegelt ab: «Eine pluralistische Gesellschaft braucht nebst Pragmatismus auch eine sinnstiftenden Referenz.» Die Kirchen verhielten sich aber häufig als «Bastion gegen die Moderne» und seien «gefangen» durch die Ansprüchen ihrer Klientel: «Die Leute kommen ja nicht, um etwas Neues zu hören.» Genau dies – einen neuen Umgang mit Vielfalt – brauche aber die Gesellschaft gegenwärtig. DAS FORSCHUNGSPROJEKT Zürichs offensive Religionskunde Obligatorisch, ohne Abmeldemöglichkeit, dafür wertneutral und alle Weltreligionen einbindend: So soll der neue Religionsunterricht für die Oberstufe aussehen, wie er im Kanton Zürich ab Sommer zunächst als Pilotprojekt geführt wird. Der Unterricht soll darauf abzielen, verschiedene Lebensfragen aus der Sicht der grossen Religionen zu beleuchten. Ausdrücklich nicht Teil des Unterrichts sind künftig Glaubensbekenntnisse oder religiöse Handlungen. In der Unterstufe wiederum soll das Christentum inhaltlicher Schwerpunkt bleiben, allerdings eher als Teil der prägenden Lebenswelt der Kinder. Die Reform ist eine energische Kehrtwende der Zürcher Regierung. Sie wollte das Fach Religion erst ganz streichen. Daraufhin haben aber 50 000 Bürgerinnen und Bürger dessen Wiedereinführung verlangt. (mul) Bern ganz ohne Religionsstunde Während Zürich forsch darauf drängt, einen obligatorischen, überkonfessionellen Religionsunterricht auf den Stundenplan zu setzen und so zum Dialog zwischen den Religionen beizutragen, hat Bern einen diskreten Weg gewählt: Seit 1996 gibt es hier Religion als Schulfach gar nicht mehr. Der Entscheid folgte der Ansicht, dass religiöse Erziehung ohnehin vorab zu Hause stattfinde. Um der real existierenden Multikulturalität aber Rechnung zu tragen, hat das Thema im Fach Natur-Mensch-Mitwelt eine Nische zugewiesen erhalten. Der Erfolg dieses «Outsourcings» ist freilich unklar. Zum einen sind Lehrkräfte ziemlich frei, wie sie das Thema Religionen angehen wollen. Zugleich sind die Vorgaben aber diffus. Unklar ist somit auch, wie viel Zeit explizit für interreligiösen Dialog eingesetzt wird. (mul) Schweizerische Universitätskonferenz (SUK) hat neu zehn Vollmitglieder. Der Kanton Luzern hat am Freitag in Luzern die entsprechenden Vereinbarung, welche die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Hochschulkantonen regelt, unterzeichnet. Bislang hatte Luzern nur den Status eines ständigen Gastes. (sda) Ganze Schweiz betroffen HAUSARZTMANGEL Der Nach- wuchsmangel bei den Hausärzten betrifft die ganze Schweiz, nicht, wie bisher angenommen, nur die ländlichen Regionen. Insbesondere in den grossen Städten wurden in den letzten Jahren kaum HausarztPraxen eröffnet. Das zeigt eine neue Studie. (sda) Massiv höhere Steuern DREHTABAK Die Steuern auf Drehtabak sollen von 9.90 auf 50 Franken pro Kilogramm Tabak angehoben werden, wie es bei der Oberzolldirektion auf Anfrage hiess. (ap) Religion und Rechtsextremismus Die Zahlen zu Religion und Menschenfeindlichkeit sind ein Teilergebnis des Nationalen Forschungsprojekts «Rechtsextremismus». Datengrundlage bilden 3000 Interviews, in denen mit jeweils 90 Fragen das Mass an Toleranz ausgelotet wurden. Zwei Beispiele: Antisemitismus: Die Juden sind schuld an ihrer eigenen Verfolgung finden 26% der Katholiken, 24% der Protestanten, 28% der Muslime – und 18% der Nichtreligiösen. Gleichstellung: Es wurde genug für die Gleichberechtigung der Frau getan finden 43% der Katholiken, 43% der Protestanten, 55% der Muslime – und 29% der Nichtreligiösen. Anteile der Religionen: Das Toleranzverhalten unter den religiösen Gruppen wird auch durch die grösseren Gewichtsverschiebungen beeinflusst. So ist zwischen 1970 und 2000 der Anteil der Protestanten von 46,4% auf 33,0% gesunken, jener der Katholiken von 49,4% auf 41,8%. «Gewinner» sind die Nichtreligiösen mit einem Zuwachs von 1,1% auf 11,1% und die Muslime, die von 0,1% auf 4,3% zulegten. Unverändert klein ist mit 0,25% der Anteil der Juden. (mul)