FD-1-2011.pdf

PDF download

(file: @@FD-1-2011.pdf@@)Freidenker-Vereinigung der Schweiz „Mündig ist der Mensch, wenn er die Lebensgläubigkeit ohne Glaubenslüge lebendig zu erhalten weiss. Er soll lernen, ohne sogenannte Wahrheit zu leben, damit er in Wahrhaftigkeit leben kann.” Robert Mächler (1909–1996) Seite 11 1 I 2011 Das Kreuz mit dem Kreuz Seite 4 „Landeskirchen” Finanzierung Sozialverhalten Gene und Moral Der Untergang des Abendlandes denkfest Festival der Wissenschaft Seite 6 Seite 8 Seite 10 Seite 12 F 2 I Inhalt Die FreidenkerInnen haben Abschied genommen von In memoriam Jürg L. Caspar ............................... 2 Reta Caspar Auf ein gutes Neues! ......................................... 3 FVS aktuell Das Kreuz mit dem Kreuz ................................. 4 frei gedacht Piraten für Transparenz und Laizität ................ 5 NFP 58: Kirchenfinanzierung .............................. 6 FVS-Thesen gegen die Kirchensteuer juristischer Personen ........................................... 7 Maja Strasser Sozialverhalten, Gene und Moral ..................... 8 Lars Habermann Neujahrsrede für das Jahr 20XX ......................... 9 Fiona Lorenz Der Untergang des Abendlandes .................... 10 Dominik Riedo „Arme Teufel sind wir alle” ............................. 11 denkfest 2011 Subskriptions-Tickets für Mitglieder ............... 12 Debatte Sterbehilfe und Palliativpflege? ...................... 14 Debatte Mission/Entwicklungshilfe? ............................. 14 Debatte Trennung von Religion und Staat? ................. 15 Podiumsdiskussion Ethik und Moral? .............................................. 15 Agenda ............................................................. 15 Adressen ........................................................... 16 Jürg L. Caspar 7.3.1931 – 1.12.2010 Während mehr als 20 Jahren hat Jürg die Geschicke der FVS mitgeprägt. Nachdem seine Frau Sonja 1985 Zentralsekretärin geworden war, nahm er neben dem Präsidium der Sektion Winterthur auch Einsitz im Zentralvorstand der FVS. Sein Bemühen galt dem inneren Zusammenhalt in den Wirren der 80er-Jahre. 1995 bis 2000 wirkte er im Triumvirat als Zentralpräsident, und betreute nach dem Tod seiner Frau vorübergehend auch das Zentralsekretariat. 2000 bis 2007 war er als Zentralpräsident Garant für Stabilität und Augenmass beim Aufbruch in die Zukunft der FVS. Dank seiner Debattierfreudigkeit hat er für die FVS etliche interessante Veranstaltungen organisiert und auch die internationalen Kontakte gepflegt. Sein Herz schlug aber vor allem für seine Sektion und für seine Tätigkeit als Abdankungsredner. Gerne hat er seine Erfahrungen geteilt, Trauernden Zuspruch gegeben und ein Stück Orientierung in einer Zeit der Krise. Nur wenige Wochen vor seinem Tod hat er die letzte Abdankung gehalten – die 252. soll es gewesen sein. Ein reich erfülltes Leben – auch als Spediteur und Berater, als Familienmensch, Lebenspartner, Vater und Grossvater, als Musiker, Tänzer und Schauspieler, als passionierter Auto- und Motorradfahrer, als Menschen-, Pudel- und Katzenfreund – hat im eigenen Zuhause, umsorgt von seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern, seinen Abschluss gefunden. Die Abschiedsfeier in Winterthur wurde von Christian Grichting gestaltet, Kurt Schmid (Präs. Sektion Winterthur) und Vivian Aldridge (Vizepräsident FVS bis 2008) haben die Verdienste des Verstorbenen gewürdigt. Danke, Jürg! Zentralvorstand FVS Impressum Eine Spende – nach der Jahreswende? Mit der Umstellung auf das vierteljährliche Erscheinen entfiel 2010 erstmals die Dezembernummer mit dem traditionellen Spendenaufruf zur Jahreswende. Wir legen nun dieser Nummer einen Spendenschein bei in der Hoffnung, dass Sie ihn im Laufe des Jahres für einen Extrabeitrag verwenden. Wir nehmen ihn entgegen als Zeichen der Anerkennung des Geleisteten und Geplanten. Herausgeberin: Freidenker-Vereinigung der Schweiz Geschäftsstelle Postfach 3001 Bern 031 371 65 67 www.frei-denken.ch Erscheinungsweise: vierteljährlich Redaktionsschluss: 10. des Vormonats Auflage: 2200 Redaktion: Reta Caspar redaktion@frei-denken.ch Jahresabonnement: Schweiz: Fr. 30.–, Ausland: Fr. 35.– (B-Post) Zweitabonnement für Mitglieder aus der Romandie und dem Tessin: Fr. 10.– Probeabonnement: 2 Nummern gratis Korrektorat: Petra Meyer www.korrektorium.ch Druck und Spedition: Printoset Flurstrasse 93 8047 Zürich www.printoset.ch ISSN 1662-9043 96. Jahrgang Namentlich gekennzeichnete Beiträge können, aber müssen nicht mit der Ansicht der Redaktion übereinstimmen. Herzlichen Dank! Postkonto: 84-4452-6 Spenden ab Fr. 100.- werden automatisch verdankt, kleinere auf Anfrage. frei denken. 1 I 2011 Editorial I 3 Winterthurer Freidenker Jürg L. Caspar zum Gedenken Im Herbst 1981 hatte die Sektion Winterthur der Freidenker in der Lokalpresse eine Inseratekampagne lanciert. Die Schlagzeile lautete: „Auch Sie sind aus der Kirche ausgetreten?” Das Inserat sollte konfessionsfreie Personen auf die Freidenker aufmerksam machen. Auf dieses Inserat hin meldete sich unter anderen auch ein Ehepaar aus Rickenbach, Sonja und Jürg Caspar. Sie gaben den Beitritt zu den Freidenkern und nahmen von Anfang an intensiv am Leben der Sektion teil. Es war nur folgerichtig, dass Jürg sich an der Generalversammlung 1982 in den Vorstand der Sektion wählen liess und ein Jahr später das Präsidium übernahm. Die Sektion war damals proletarisch geprägt. Der grosse Teil der Mitglieder hatten mit dem wissenschaftlichen Sozialismus ohnehin schon ein solides weltanschauliches Rüstzeug. Da es sich bei den Mitgliedern also um mehr oder weniger „sattelfeste” Atheisten handelte, war der Bedarf nach einem breiteren Veranstaltungsprogramm gering. Neben der Generalversammlung im Frühling gab es allenfalls einen internen Vortrag im Herbst oder zum Anlass der Winter-Sonnwende. Im Übrigen war den Mitgliedern wichtig, dass die Sektion einen funktionierenden weltlichen Familiendienst bietet, der von kirchlichen Dienstleistungen unabhängig machte. Mit Jürg Caspar als Präsident wurden in der Sektion wesentliche Neuerungen eingeführt. Der Veranstaltungskalender wurde dichter. Legendär wurden die „Freidenker-Zmorge”, die sonntags im 2-Monate-Rhythmus stattfanden und über lange Zeit zur festen Institution bei den Winterthurer Freidenkern gehörten. Die Sonnwendfeier wurde von einem Vortragsabend zu einem ausgedehnten Sonntagsanlass mit Bankett und Unterhaltung. Damit einher ging eine gewisse Öffnung der Sektion, die zu einer bürgerlicher geprägten Mitgliederschaft führte, was sich bald auch in der Mitgliederentwicklung niederschlug. Vereinzelte öffentliche Veranstaltungen mit teilweise sehr prominenten Referenten wie dem Kirchenkritiker Karl-Heinz Deschner, der rebellischen Theologin Uta Ranke-Heinemann, der Kommunistin Lydia Woog oder der Sprachfeministin Luise Pusch lösten grosses Echo aus. Die Liste der Referierenden legt ein beredtes Zeugnis ab von der toleranten Grundhaltung Jürg Caspars und seiner Sympathie für quer liegende Meinungen, auch wenn er sie nicht teilte. Einen grossen Beitrag zur Prosperität der Sektion leistete Jürg zusammen mit Sonja, indem sie bei sich zu Hause ein leistungsfähiges Sekretariat aufbauten. Es wurde zur bewährten Anlaufstelle für die Mitglieder und alle Interessierten. Kein Wunder, dass die nationale Vereinigung bald auf die gute Infrastruktur der Winterthurer aufmerksam wurde und sie auch für die FreidenkerVereinigung der Schweiz zu nutzen begann. Damit ging einher, dass Jürgs Aktivitäten den lokalen Rahmen zu sprengen begannen. Auf sein Engagement und seine Durchsetzungkraft wollte man im Zentralvorstand und dann später auch als Zentralpräsident nicht verzichten. Das Leben Jürg Caspars als Mitglied der Winterthurer Freidenker wäre nicht ausreichend gewürdigt, wenn nicht auf seine Laufbahn als viel verlangter Abdankungsredner hingewiesen würde. Bis ins hohe Alter wurde er engagiert, um konfessionsfreie Mitbürgerinnen und Mitbürger, Mitglieder wie Nichtmitglieder, auf ihrem letzten Gang geziemend zu begleiten. Er verstand es dabei wie nur wenige, die verstorbene Person vor den Trauernden in der Erinnerung noch einmal lebendig werden zu lassen und ihr so zu einem ungeschminkten, aber würdevollen Andenken zu verhelfen. Jürgs grosse Anerkennung als Redner für Trauerfeiern spiegelt sich auch darin, dass er weit herum im Land dafür engagiert wurde. Und nicht zuletzt hat Jürg Caspar mit seiner überzeugenden Art, Trauerfeiern durchzuführen, zahlreiche Menschen zum Beitritt zur Freidenker-Vereinigung bewegt. Die Winterthurer Freidenker entbieten ihrem Ehrenpräsidenten Jürg Caspar für sein unermüdliches Schaffen zugunsten der Sektion wie auch der ganzen Freidenker-Bewegung und der Interessen der Konfessionsfreien, aber auch für die Kameradschaft, die ihre Mitglieder von ihm erfahren durften, einen letzten Dank. Vorstand Winterthurer Freidenker Auf ein gutes Neues ... Ein bewegtes Jahr 2010 liegt hinter uns. Kaum war die Minarett-Debatte abgeflaut, beherrschten die Missbrauchsskandale in kirchlichen Institutionen während Wochen die Medien in ganz Europa. Im Spätsommer folgte Tilo Sarrazins Diagnose der gescheiterten Integration und kurz darauf die Symbol-Debatten rund um Kreuze und Kruzifixe im In- und Ausland. Alle Themen haben das Kernanliegen der FVS, die Trennung von Staat und Kirche, in der Öffentlichkeit direkt oder indirekt zum Thema gemacht. Die Politik bewegt sich jedoch nur langsam: In der Schweiz hat die Piratenpartei die Laizität ins Parteiprogramm aufgenommen, und auch in anderen Jungparteien ist das Thema heute nicht mehr tabu. Eine utopisch-optimistische Neujahrsrede zur laizitären Schweiz nimmt in diesem Heft die Zukunft schon mal vorweg. Die Kirchenfinanzierung wurde im Herbst zuerst in Deutschland ein Thema, nachdem Carsten Frerk im „Violettbuch Kirchenfinanzen” für Deutschland festgestellt hat, dass die Zuwendungen aus allgemeinen Steuergeldern die direkten Steuereinnahmen der Kirchen übertreffen. Eine Studie im Rahmen des NFP 58 kommt für die Schweiz zu ganz anderen Zahlen, die aber mit gebührender Vorsicht zu geniessen sind. Im Herbst 2011 sollten die ersten Ergebnisse der Volkszählung 2010 anfallen. Die Religionszugehörigkeit gehört zu den mit Spannung erwarteten Daten. Im neuen Jahr soll auch ein weiteres Kernthema der FVS mehr ins Zentrum rücken: Der Grosse Vorstand hat das Budget 2011 verabschiedet und die Defizitgarantie für das „denkfest” gesprochen. Bereits in diesem Heft drucken wir deshalb das weit gediehene Programm ab und rufen zur Unterstützung mittels Billettbestellung zum Sonderpreis für Frühbuchende auf. Ein Fest des Wissens, der optimistischen Skepsis und der Freude am Entdecken neuer Erkenntnisse über den Menschen und seine Möglichkeiten und Grenzen, soll die Grundlagen des säkularen Humanismus in der Schweiz stärken. Das Mitgliederwachstum ist 2010 im ähnlichen Rahmen fortgeschritten wie schon 2009. Im neuen Jahr werden wir wohl erstmals in der Geschichte der FVS die Grenze von 2000 Mitgliedern überschreiten und müssen deshalb auch die Bestrebungen zur Verbesserung der Administration auf allen Ebenen weiter vorantreiben. Die Annäherung der Mitgliederbeiträge und Tarife für die Dienstleistungen der Sektionen muss nun angegangen werden, damit sich die FVS hin zu einem möglichst einheitlichen Erscheinungsbild und Profil entwickeln kann. Von der seit 2010 vertieften Zusammenarbeit mit der IHEU versprechen wir uns neue Impulse für beide Seiten und wertvolle Kontakte für das gemeinsame Ziel einer säkular-humanistisch orientierten Welt. Es gibt viel zu tun – wir leisten unseren Beitrag! Reta Caspar frei denken. 1 I 2011 4 I FVS aktuell Wohl kaum jemand in der Schweiz hat in den letzten Monaten keine Notiz von unserer Vereinigung genommen. Verschiedentlich haben sich aber auch besorgte Mitglieder gemeldet. Deshalb ein kurzer Rapport: Kruzifix-Fall Stalden Mit Begleitung der Geschäftsstelle hat sich der Präsident der 2010 neu gegründeten Sektion Wallis in der Frage von Kirche und Volksschule um Klärung bemüht. Das Ergebnis waren eine beispiellose Machtdemonstration der Walliser Behörden und schliesslich die fristlose Kündigung für den beliebten Oberstufenlehrer. Kruzifix-Fall Triengen David Schlesinger, Mitglied der Sektion Zentralschweiz, hat mit seiner Forderung, das Kruzifix in den Schulzimmern abzuhängen, ebenfalls eine beispiellose Hetzjagd der luzernischen Traditionalisten ausgelöst, welche in Morddrohungen gipfelte. Der Luzerner Mob hat erreicht, was er wollte: Die Familie ist weggezogen. Auch hier haben die Behörden die Eskalation nicht verhindert, sondern gefördert – die Kirchen haben geschwiegen. Traditionalisten gegen Grundrechte Beide Fälle haben sich auf das Bundesgerichtsurteil von 1990 im Fall Cadro berufen – die Katholiken kümmert das wenig. Unter Anführung von Alt-Bundesrichter Giusep Nay wurde das Urteil in Zweifel gezogen und die absurde These ins Land gesetzt, dass das Bundesgericht im Fall eines Kreuzes anders entschieden hätte. Medienschlacht Die NZZ am Sonntag berichtete am 10. Oktober 2010 korrekt. Mit der Erwähnung von Schlesingers Nationalität im Blick ist die Geschichte dann bereits am nächsten Tag in eine mediale Schlacht ausgeartet. Gipfelkreuze Auf eine Journalistenfrage von „Zentralschweiz am Sonntag“ hat die Geschäftsstelle die korrekt wiedergegebene Aussage gemacht, es habe genug Kreuze auf den Schweizer Gipfeln und dass keine neuen Bewilligungen mehr erteilt werden sollten. Eine allfällige politische Initiative zur Abschaffung von Gipfelkreuzen (das wurde rund um die Berichterstattung über den Fribourger Bergführer, der selber Gipfelkreuze abgesägt hatte, diskutiert) würde die FVS unterstützen. Daraus hat der Blick dann seine Schlagzeile gebastelt: „Alle diese schönen Gipfelkreuze sollen weg!“ Damit war der Aufruhr aber noch nicht zu Ende. Schweizer Kreuz Der Tages-Anzeiger Online hat am 25. Oktober 2010 ein Interview mit Michael Schmidt-Salomon nachgeschoben, in dem er die FVS-Aktionen unterstützte, aber noch einen draufsetzte, indem er sagte, dass man auch auf das Kreuz in der Schweizer Flagge verzichten könnte. Die offizielle Haltung von GS und ZPs war aber, dass sich das symmetrische Kreuz als „Schweizerkreuz“ vom christlichen Zusammenhang emanzipiert und als Zeichen eines freiheitlichen Rechtsstaats etabliert habe und von uns nicht bekämpft werde. Bibelzensur Die Journalisten hatten Blut geleckt und als Nächstes wurde das Thema „Bibelzensur“ durch die Medien gepeitscht, das eine Dreiergruppe von Hindus an die Presse brachte, welche nur gerade zwölf Unterschriften gesammelt hatten, darunter leider auch die von Valentin Abgottspon. Diese Gruppe hat das Medieninteresse geschickt ausgenutzt. Sie haben sich allerdings extrem unfair verhalten, indem sie der Presse sämtliche Namen der Unterzeichnenden überreicht haben. Den Medien wurde klargemacht, dass das keine Aktion der FVS ist. Bibel-/Koranverbrennung Ende Oktober sind dann diese Hindus, die kurz zuvor Mitglied bei der Sektion Wallis geworden waren, ausgetickt und haben eine medienwirksame Bibel-/Koranverbrennung auf dem Bundesplatz ins Auge gefasst. Valentin Abgottspon hat versucht, sie davon abzubringen. Sie haben ihn noch einmal getäuscht und sind am 3. November mit der Aktion an die Presse gelangt, wobei sie nochmals die ganze Liste der zwölf Unterzeichnenden mitlieferten, ohne deren Zustimmung. Der erste Bericht erschien im Aargauer Tagblatt-Online. Valentin Abgottspon hat unverzüglich mit einer Pressemitteilung reagiert und sich von der Aktion distanziert und publiziert, dass die Sektion Wallis jene, die in eigennütziger Absicht kurzfristig Mitglied geworden waren, mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen habe. Das Aargauer Tagblatt hat dann gegen Mittag seinen Bericht korrigiert. Parallel dazu wurden 20 Minuten und Blick bearbeitet, damit sie die Falschmeldung nicht so verbreiten – mit Erfolg. Am 4. November 2010 erschien dann aber im TagesAnzeiger und im Berner Bund die Falschmeldung, dass Freidenker diese Aktion planten. Eine Korrektur erfolgte in den Printausgaben vom 5. November. Im Fall Bund akzeptieren wir die Formulierung, weil er schrieb „anders als gestern gemeldet“, im Fall Tages-Anzeiger haben wir eine Beschwerde beim Presserat eingereicht, weil die Richtigstellung am Tag darauf die Fehlleistung des Tages-Anzeigers nicht einräumte. frei denken. 1 I 2011 frei gedacht I 5 Piraten für Transparenz und Laizität Am Freitag, den 3. Dezember 2010, löste um 10 Uhr eine kleine Twittermeldung einen regelrechten Mediensturm aus: „WikiLeaks moves to Switzerland http://wikileaks.ch/”. Das bedeutet, dass WikiLeaks in die Schweiz umzieht und künftig nicht mehr unter http://wikileaks.org erreichbar ist, sondern unter der Schweizer Adresse http://wikileaks.ch. Es dauerte nicht lange, bis auch die letzte Zeitung herausfand, dass diese Adresse der Piratenpartei der Schweiz (http://piratenpartei.ch) gehört. Hintergrund dieses Wechsels sind zwei vorangehende Ereignisse: Zum einen hat Everynet, der DNS-Anbieter von WikiLeaks, der die Adresse http://wikileaks.org bedient hatte, plötzlich diese Adresse gesperrt. Zum anderen hatte der WikiLeaks-Pressesprecher und -Mitbegründer Julian Assange anlässlich eines Interviews mit dem Tessiner Fernsehen bekannt gegeben, dass er beabsichtige, in der Schweiz Asyl für sich und das Projekt zu beantragen. Daraufhin hat ihm die Piratenpartei Unterstützung zugesichert und ihr Präsident hat sich mit ihm auf eine Pizza getroffen, um ihm das Schweizer System zu erklären. Offenbar hat ihn das so überzeugt, dass er die Schweizer Adresse unter allen vorhandenen Alternativen wählte. Die Piratenpartei unterstützt WikiLeaks, weil wir für Demokratie und Informationsfreiheit einstehen. Geheimhaltung ist in einer Demokratie eine sehr fragwürdige Sache, denn die Bürger können sich nur eine Meinung bilden, wenn sie vollständig informiert sind. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass auch Staatsgeheimnisse, die in Krisensituationen sicher auch weiterhin befristet notwendig sind, ein Ablaufdatum erhalten. Sobald eine Situation nicht mehr akut ist, muss offen und transparent über alle Hintergründe und Entscheidungen informiert werden. Wir fordern einen transparenten Staat, aber Datenschutz für die Bürger. Das ist unserer Meinung nach die Basis jeder Demokratie. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob jede Information, die WikiLeaks veröffentlicht, tatsächlich relevant ist. Unbestreitbar aber ist eine Plattform wie WikiLeaks notwendig, um den Mächtigen zu zeigen, dass sie kontrolliert werden und ihrem Volk Rechenschaft schuldig sind. Seit ihrer Gründung setzt sich die Piratenpartei für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein. Gerade die USA mit ihrem unsinnigen „Krieg gegen den Terror” bedrohen unsere Freiheit und unsere Werte. Im Zuge der „Antiterrormassnahmen” werden wir immer weiter eingeschränkt. Dem stellen sich die Piratenparteien entgegen. Wir wollen Verantwortung und Freiheit propagieren. So ist es auch logisch, dass sie als erste und einzige Partei der Schweiz die Laizität in das Parteiprogramm aufgenommen haben, um die Religionsfreiheit zu sichern. Den Vorstoss verdankt sie einem von vielen Mitgliedern, die gleichzeitig auch in der Freidenker-Vereinigung sind. Er wurde mit überwältigendem Mehr von der Piratenversammlung Marc Wäckerlin gutgeheissen. Aktueller Stand Der Fall Abgottspon ist vor dem Kantonsgericht Wallis hängig. Der Weiterzug ans Bundesgericht wird wohl nötig sein. Prof. Schefer (Uni Basel) wurde um ein Gutachten gebeten. Familie Schlesinger ist nicht mehr in Triengen. Die Drohbriefe sind zuerst bei der Geschäftsstelle gelandet, von dort aus an seinen Anwalt in Zürich weitergesandt worden. Ob Anzeige erstattet wurde/wird, ist nicht bekannt. Der Kanton Luzern hat nun die Regelung bekannt gegeben, dass bei Opposition gegen ein Kruzifix dieses durch ein Kreuz ersetzt werden soll, weil das Bundesgerichtsurteil nur über ein Kruzifix ergangen war. Im Tessin hat die Gemeinde Cadro anfangs 2010 ein Kruzifix im Gang des Schulhauses aufgehängt. Giovanni Barella, der in Cadro Lehrer ist, hat an den Staatsrat rekurriert. Der Entscheid steht noch aus. Bilanz für die FVS Nach anfänglich vielen negativen Reaktionen wurden immer mehr unterstützende Stimmen laut. Erstmals waren nun auch Kommentare auf unserer Webseite möglich, was zum Teil zu regen Diskussionen geführt hat, leider nicht immer mit der gebotenen Sachlichkeit. Es gab Berichte in sämtlichen deutsch- und französischsprachigen Medien. Höhepunkt war der Auftritt von Valentin Abgottspon in der Arena vom 29. Oktober 2010: Erstmals ist das Thema „Trennung von Staat und Kirche” in einem prominenten Politformat behandelt worden. Im Migros-Magazin und in der WOZ erschienen schliesslich noch zusammenfassende Artikel, welche die Geschichten sauber darstellten. Geschadet hat das Ganze der FVS unseres Erachtesns nicht. Es gab bisher einen Austritt eines Mitglieds in Triengen. Dafür gab es rund 100 Prozent mehr Beitritte als in einem gewöhnlichen Monaten und etliche Probeabo-Bestellungen. Allerdings ist festzustellen, dass es deutlich weniger Beitritte waren als 2009, als wir mit der Plakatkampagne durchwegs als Opfer dastanden. Ansonsten zeigen verschiedene Einladungen an Podien und als Experten an die Jugendsession, dass die FVS als Akteurin in der gesellschaftspolitischen Diskussion in der Schweiz ernst genommen wird. Wie weiter? Schweiz: Der Fall Stalden soll nötigenfalls ans Bundesgericht weitergezogen werden. Europa: In Bayern läuft derzeit eine ähnliche KruzifixSchlacht wie in Triengen. Einen nächsten Schub zum Thema wird es geben, wenn Strassburg zum zweiten Mal über den italienischen Kruzifix-Fall entscheiden wird. Reta Caspar frei denken. 1 I 2011 6 I Kirchenfinanzierung NFP 58 Finanzierung und Nutzen der Religionsgemeinschaften Eine kürzlich publizierte Studie bringt leider kaum Neues und die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu geniessen: Private Finanzierung: 1,35 Mia. Franken Das Kirchensteueraufkommen der natürlichen Personen zugunsten der „Landeskirchen“ beträgt 1,35 Mia. Franken pro Jahr. 52 Prozent stammen von Katholiken, 48 Prozent von Reformierten. Öffentliche Finanzierung: 0,556 Mia. Franken Das Kirchensteueraufkommen der juristischen Personen zugunsten der „Landeskirchen“ beträgt 260 Mio. Franken pro Jahr. Die staatlichen Direktzahlungen an die „Landeskirchen“ betragen 300 Mio. Franken pro Jahr. Vorsicht: Diese Zahl ist viel zu tief, da sie nur Zahlungen auf Stufe Kanton erfasst, die eigentlichen Akteure aber die Kirch- und politischen Gemeinden sind. Zudem wurden die Aufwendungen für den Unterhalt von Bauten im Besitz der Kirchen nicht erfasst. Leistung? Die Studie hat in den Kantonen St. Gallen und Bern die Arbeitsstunden, die von den Aktiven erbracht werden, ermittelt und in Franken umgerechnet. Sie kommt zum Schluss: „Der Wert der sozialen Dienstleistungen der beiden Landeskirchen erreicht selbst in einer konservativen Schätzung ungefähr die Grössenordnung der Kosten für die Öffentlichkeit, wie die Hochrechnungen für die Kantone Bern und St. Gallen zeigen.” Vorsicht: Es wurden nicht Leistungen und ihre Kosten gemessen, sondern Arbeitsstunden. Die Studie selbst sagt nichts darüber aus, ob die Leistung stimmt, wer davon profitiert und ob sie auch effizient erbracht wird. Nutzen? In einer Befragung wurde in der Studie die Finanzierungsbereitschaft der Berner Bevölkerung erfasst. Vorsicht: Es wurden nicht Leistungen und ihre Kosten erfasst, was etwas über die Kosten einer Entflechtung aussagen würde. Es wurde nicht erfasst, wer Leistungen bezieht. Es wurde lediglich erfasst, wie viel die Berner Bevölkerung hypothetisch zu bezahlen bereit wäre für das, was die Kirchen anbieten. Da die Finanzierung der Kirchenangebote für die BürgerInnen nicht transparent ist, werden hier vor allem Mythen gemessen. Gerade im Kanton Bern wurde der Bevölkerung in Diskussionen um die Kirchensteuer für juristische Personen von der Politik mehrfach beteuert, dass die Landeskirchen besonders günstige Dienstleistungen anbieten. Was diese wirklich wert sind, das beantwortet auch die NFP-58-Studie nicht. Die „Landeskirchen“ sollten sich hüten, aus dieser Studie abzuleiten, sie seien „ihren Preis wert”! Die Studie räumt leider nicht auf mit den weit verbreiteten Mythen: Mythos 1 „Die Kirchen erbringen einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu tiefen Kosten.” Darüber sagt die Studie nichts. Sie erfasst nicht die Leistungen und Effizienz der kirchlichen Dienstleistungen, sondern nur deren Reputation bei den BürgerInnen. Mythos 2 „Die Kirchen sind gemeinnützig, sie bieten auch Nichtmitgliedern einen Nutzen.” Darüber sagt die Studie nichts. Sie erfasst nur den von den BürgerInnen subjektiv empfundenen Nutzen – für sich und für andere. Andererseits ist vor allem in der reformierten Kirche ein Trend zu Gebühren für Leistungen an Nichtmitglieder zu beobachten. Mythos 3 „Die Kirchen bieten auch nicht aktiven Mitgliedern Sinngebung.” Darüber sagt die Studie nichts. Sie stellt nur die bekannte Tatsache fest, dass die Mehrheit der BürgerInnen an der Kirche die Rituale schätzt. Man könnte auch sagen, dass die Kirchen Event-Anbieter sind, welche über besonders attraktive Locations verfügen, die aber wahrscheinlich mehrheitlich staatlich finanziert werden. Mythos 4 „Die Kirchen erbringen besonders viele ehrenamtliche Leistungen.” Darüber sagt die Studie nichts. Sie erfasst zwar ehrenamtliche Leistungen, aber vergleicht sie nicht. Eine andere Studie hat kürzlich ergeben, dass im Kanton Baselland 60 Prozent der Sozialdienstleistungen der Landeskirchen ehrenamtlich erbracht werden. Und? In Tausenden von Vereinen und Selbsthilfegruppen wird 100 Prozent ehrenamtlich gearbeitet! Wichtige Fragen erst zum Schluss Die VerfasserInnen sind sich der Beschränktheit der Studie bewusst. Sie fragen zum Schluss unter anderem: Könnten die öffentlichen Mittel bei einer anderen Verwendung allenfalls einen noch höheren Nutzen stiften? Wieso sollen gerade Religionsgemeinschaften für diese Aufgaben subventioniert werden und nicht auch andere mögliche Anbieter von sozialen Dienstleistungen? Das wären gute forschungsleitende Fragen gewesen. Im Gespräch räumten die VerfasserInnen (Ecoplan) auch ein, dass sie ein nächstes Mal auch die Freidenker in die Begleitgruppe einladen würden – eine gute Einsicht, aber leider zu spät. Reta Caspar frei denken. 1 I 2011 Kirchenfinanzierung I 7 FVS-Thesen Gegen Zwangsabgaben zugunsten der „Landeskirchen” 1. Die Bundesverfassung sieht die Besteuerung der juristischen Personen nicht vor, sondern lässt sie zu. So argumentiert auch das Bundesgericht, welches die Religionsfreiheit lediglich als Schutznorm für natürliche Personen gelten lässt (BGE 126 I 122). Der Kantonsgesetzgeber darf also eine Kirchensteuerpflicht für juristische Personen in Verfassung oder Gesetz vorsehen. Diese Beurteilung des Bundesgerichts ist in der Fachliteratur umstritten. Die FVS lehnt sie ab. 2. Kirchen und religiöse Gemeinschaften verfolgen primär eine religiöse Zielsetzung und erfüllen nicht eine Staatsaufgabe. 3. Auch eine allfällige Verwendung von Kirchensteuern juristischer Personen für „nicht-kultische“ Zwecke (sog. „negative Zweckbindung“) ändert nichts daran, dass sie nicht dem allgemeinen Haushalt der Gemeinden, sondern allein den „Landeskirchen“ zukommt. Wenn der Kanton die Unternehmen in eine Sozialpflicht nehmen will, dann soll er das über die Unternehmenssteuer und zugunsten des allgemeinen Haushalts tun und nicht über eine Kirchensteuer zugunsten der „Landeskirchen“. 4. Das von Befürwortern der Kirchensteuerpflicht regelmässig ins Feld geführte „Profitieren von gesamtgesellschaftlich relevanten Leistungen” durch die Unternehmen ist eine politische Einschätzung, aber kein Rechtsgrund für eine Steuer, sonst müsste nämlich jedermann – auch natürliche Personen, die nicht Mitglied einer „Landeskirche“ sind – als Profitierende besteuert werden. 5. Das Motiv der Befürworter einer Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen ist offensichtlich allein die finanzielle Bedeutung dieser Steuererträge für die Aufrechterhaltung der finanziellen Basis der „Landeskirchen“. 6. Verschiedentlich wurde der Wechsel auf eine „freiwillige“ Kirchensteuer gefordert. Eine Steuer ist u. E. entweder geschuldet oder nicht, eine „freiwillige Steuer“ ist systemwidrig (trotzdem kennen etwa die Kantone NE und GE ein System, in dem die Steuer zwar in Rechnung gestellt wird, die Bezahlung aber fakultativ bleibt). 7. Die FVS fordert, dass Kirchen anderen Leistungserbringern gleichgestellt werden. Wenn der Kanton Leistungen der Kirchen oder religiöser Gruppierungen für gesamtgesellschaftlich wertvoll erachtet, kann er sie über Leistungsverträge mit den jeweiligen Gruppierungen abgelten, die einer Leistungsüberprüfung standhalten müssen. Kirchensteuer juristischer Personen Die Mehrheit der Schweizer Kantone hat im Steuergesetz die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen verankert. Diese Gesetze stammen in der Regel aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, haben also lediglich eine relativ kurze Tradition. Keine Kirchensteuer für juristische Personen erheben nur die Kantone BS, SH, AR, AG und GE. Die Kantone VD und VS erheben keine Kirchensteuer im eigentlichen Sinne. Die Kultuskosten der „Landeskirchen“ sind jedoch in den Budgets von Kanton und Gemeinden enthalten und sind demzufolge durch die Erträge aus den allgemeinen Steuern – auch der juristischen Personen – gedeckt. Der Kanton SO erhebt von juristischen Personen keine Kirchensteuer im eigentlichen Sinne. Sie bezahlen aber eine Finanzausgleichssteuer in der Höhe von 10 Prozent der einfachen Staatssteuer zuhanden der Kirchgemeinden der „Landeskirchen“. Der Kanton SG erhebt von juristischen Personen keine Kirchensteuer im eigentlichen Sinne. Allerdings wird von den Zuschlägen zu den Gewinn- und Kapitalsteuern (220 Prozent der einfachen Steuer) ein Teil (22,5 Prozent der einfachen Steuer) für den Steuerausgleich unter den Kirchgemeinden der „Landeskirchen“ verwendet. Der Kanton NE erhebt die Kirchensteuer bei juristischen Personen, die Bezahlung ist aber freiwillig. Im Kanton TI machen nicht alle Kirchgemeinden von ihrem Recht Gebrauch, eine Kirchensteuer zu erheben. Natürliche und juristische Personen können sich durch einfach Mitteilung an das Steueramt davon befreien. Kt. NE: Philip Morris zahlt ab 2010 nicht mehr Die Neuenburger Kirchen verlieren eine ihrer wichtigsten Geldquellen. Der Zigarettenkonzern Philip Morris bezahlt ab diesem Jahr keine Kirchensteuern mehr. Das bedeutet für die Kirchen 10 bis 20 Prozent weniger Einnahmen. Der Entscheid stellt laut Auskunft der „Landeskirchen“ den Fortbestand von zahlreichen Leistungen der Kirchen infrage: Geistliche in Spitälern, Altersheimen oder Gefängnissen, aber auch Gottesdienste für Beerdigungen. Philip Morris habe die Kirchen stets freiwillig unterstützt, hielt das Unternehmen gemäss 20 Minuten fest. Schon Ende 2008 seien die Kirchen über den möglichen Schritt informiert worden. Es widerspreche den internen Spendenrichtlinien des Unternehmens, Organisationen mit religiösem Zweck zu unterstützen. Der Konzern betonte weiter, dass Projekte für Kultur und Gesellschaft in der Region weiterhin unterstützt würden. Dafür habe Philip Morris in den letzten fünf Jahren 750’000 Franken ausgegeben. Der internationale Sitz des Zigarettenkonzerns Philip Morris befindet sich in Lausanne, im Kanton Waadt, wo die „Landeskirchen“ aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. In Neuenburg betreibt das Unternehmen ein Filiale für den Export. frei denken. 1 I 2011 89 Maja Strasser Sozialverhalten, Gene und Moral Eine Übersichtsarbeit von Psychologen und Ökonomen aus Israel, Hongkong und Singapur zeigt anhand verschiedener Zwillings- und Familienstudien, dass zentrale Aspekte des menschlichen Sozialverhaltens teilweise eine genetische Basis haben. So ist die Bereitschaft zu Vertrauen zu 10 bis 20 Prozent vererbt, die Fähigkeit, stabile Bindungen einzugehen, zu etwa 35 Prozent, Einfühlungsvermögen zu über 40 Prozent, prosoziales Verhalten gar zu mehr als 50 Prozent. Sogar das ökonomische Verhalten und die politischen Vorlieben scheinen zum Teil erblich zu sein. Tierversuche zeigen, dass Gene über Hormone oder deren Rezeptoren das Sozialverhalten massgeblich beeinflussen. Ein eindrückliches Beispiel dafür sind Präriewühlmäuse (Microtus ochrogaster), welche zu den wenigen monogamen Säugetieren gehören (ca. 5 Prozent aller Säuger-Arten). Sie gehen stabile Beziehungen ein, wobei die Männchen ihre Weibchen eifersüchtig bewachen und sich an der Aufzucht der Jungen beteiligen. Sie haben im Gehirn eine hohe Dichte an Rezeptoren für einen Botenstoff namens Vasopressin (V1a-Rezeptoren). Ganz anders eine nahe verwandte Art, die Wiesenwühlmaus (Microtus pennsylvanicus): Diese Mäusemänner sind „Playboys“, decken so viele Weibchen wie möglich und kümmern sich nicht um den Nachwuchs. Wenn den promisken Wiesenwühlmaus-Männchen Gene für Vasopressin-Rezeptoren verabreicht werden, sodass auch sie eine hohe Dichte an Rezeptoren bilden, werden sie treusorgende Männchen, gehen Versuchungen in Form anderer Weibchen aus dem Weg und helfen bei der Aufzucht der Jungtiere. Auch beim Menschen werden immer mehr genetische Unterschiede in der Aktivität unterschiedlicher Botenstoffe bekannt, welche einen Zusammenhang mit Verhaltenseigenschaften haben. Moral basiert auf solchen Denk- und Gefühlsmechanismen und ist Teil der menschlichen Natur. Moral findet sich nicht ausschliesslich beim Menschen. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Beweise dafür, dass Tiere eine Vorstufe der Moral (Prämoral, auch Protomoral genannt) in Form von grundlegenden moralischen Verhaltensweisen haben. Prämoral dient der Stabilität innerhalb der Gruppe und wird im Gegensatz zur Moral nicht abstrakt auf andere Gruppen bzw. auf die ganze Gesellschaft angewendet. Der Primatenforscher Frans de Waal beschreibt eindrücklich, dass ein Zwergschimpansen-Weibchen versuchte, einen verletzten Vogel zum Fliegen zu bringen: Sie nahm ihn ganz vorsichtig in die Hände, kletterte auf einen Baum und warf ihn in die Luft. Eine selbstlose Hilfe, bei der sie ganz auf die spezifischen Bedürfnisse des Vogels einging, ohne dafür einen Lohn erwarten zu können. Es gibt ausserdem mehrere Augenzeugenberichte, dass Menschenaffen, welche nicht schwimmen können und deswegen im Normalfall Wasser strikte meiden, unter Lebensgefahr Menschenbabys vor dem Ertrinken retteten. Kleinkinder zeigen Prämoral, welche sich im Laufe der Kindheit zu einer Moral ausbildet – vorausgesetzt, die Lebensumstände sind geeignet und es liegen keine soziopathischen Persönlichkeitsstörungen vor. Kinder sollten daher in einem liebevollen, vertrauenswürdigen, wertschätzenden und stabilen Umfeld aufwachsen, welches ihnen erlaubt, Werte und soziale Kompetenzen zu entwickeln. Hingegen kann sich erst für eine Weltanschauung entscheiden, wer solide Werte verinnerlicht hat, gut über unterschiedliche Weltanschauungen informiert ist und eine gewisse Unabhängigkeit von Autoritätspersonen hat – Voraussetzungen, welche bei Kindern noch nicht gegeben sind. Deswegen sollten Kinder weder religiös noch politisch vereinnahmt werden. Der Soziologe David Riesman unterschied innengesteuerte von aussengesteuerten Menschen. Innengesteuerte Personen haben eine klare Vorstellung von Gut und Böse verinnerlicht und richten sich danach, unabhängig von äusseren Umständen und auch wenn niemand Zeuge ihrer Taten ist. Wer hingegen keine inneren moralischen Fixpunkte hat, sondern nach vorgegebenen Regeln lebt, schielt auf äussere Anerkennung und tut, wie ihm geheissen wurde. Er wird dadurch leicht manipulierbar. So konnte Hitler mit seinem Antisemitismus das deutsche Volk nicht zuletzt deswegen hinter sich scharen, weil das Christentum eine lange antijudaistische Tradition hat und er sich in „Mein Kampf” und in zahlreichen Reden explizit auf die angebliche Aufgabe des Christen bezog, den Tod Christi zu rächen. Der Glaube ist vermutlich eine Rechtfertigungslegende, um schwer erklärbaren Bauchentscheiden Autorität zu verleihen. Er ist keine Notwendigkeit und darf deswegen nie Pflicht sein. Und so ist Dostojewskis Zitat „Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt“ leicht zu widerlegen, denn: Ich erlaube mir nicht alles! Genetics of Human Social Behavior. Ebstein RP, Israel S, Chew SH, Zhong S, Knafo A. Neuron, 2010 Mar 25;65(6):831-44. Lim MM, Hammock EAD, Young LJ. The role of vasopressin in the genetic and neural regulation of monogamy J. Neuroendocrinol. 16:325-332(2004) Primaten und Philosophen: Wie die Evolution die Moral hervorbrachte (Frans de Waal, 2008) frei denken. 1 I 2011 9 Lars Habermann Neujahrsrede für das Jahr der Trennung von Kirche und Staat Sehr geehrte, liebe Mitmenschen Alles Gute, Glück und Gesundheit im neuen Jahr! Beim Rückblick auf die Ereignisse des vergangenen Jahres ist besonders eines hervorzuheben: die vollständige Trennung von Kirche und Staat in der gesamten Schweiz. Säkulare Werte wie Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte haben sich trotz erbittertem Widerstand der Kirche durchgesetzt. Überzeugungen und Praktiken der Kirche waren zunehmend unvereinbar mit humanistischen und demokratisch-rechtsstaatlichen Werten. Sie hat damit selbstverschuldet ihren staatlich privilegierten Status als kulturprägende, Werte vermittelnde Institution eingebüsst. Mit der Verankerung der Trennung von Kirche und Staat in der Verfassung passt die Schweiz ihre Rechtsordnung an diese Entwicklung an. Gleichzeitig stärkt sie damit ihre staatliche Souveränität. Kirchlich geprägte machtpolitische Werte und Praktiken, wie die Vereinigung sämtlicher Staatsgewalten in einer Person, wie bei der absoluten Monarchie des Vatikans oder wie sie auch bei Diktaturen anzutreffen ist, werden als mit demokratisch-rechtsstaatlichen Werten unvereinbar abgelehnt. Die Kirchen konnten bisher systematisch und unbehelligt vor staatlichem Eingriff gegen säkulare Werte wie zum Beispiel Demokratie, Menschenrechte und Gleichberechtigung der Geschlechter verstossen. Heute bekannte und allfällige weitere noch verborgene Missstände in der Kirche können jetzt dank der vollständigen Durchsetzung säkularer Werte behoben werden. Der weltlich ausgerichtete Staat wird mit dem neuen Verfassungsartikel beauftragt, freies und kritisches Denken im Sinne einer wissenschaftlich-säkularen, an keine Glaubenssätze oder Ideologie gebundenen Weltanschauung und eine humanistisch-menschenrechtsorientierte Ethik zur Maxime zu erheben und zu fördern. Mit der konsequenten Durchsetzung säkularer Werte haben wir die Autorität und Glaubwürdigkeit der Schweiz als demokratischer Rechtsstaat nach innen wie nach aussen gestärkt. Darauf können wir stolz sein. Stellen wir uns einmal vor, was dieser richtungsweisende Verfassungsartikel unserem Land für Veränderungen und neue Möglichkeiten eröffnet: Traditionell religiöse Werte im Rechtsstaat integriert Die Schweiz als moderner Rechtsstaat hat längst traditionelle Anliegen religiöser Lehren mit starren kirchlichen Absolutheitsansprüchen in säkular-religionsneutraler Art integriert und passt sie dynamisch sich ändernden gesellschaftlichen Anliegen an. Er erfüllt diese religionsneutral und effizient: Bildung für alle, Sozialfürsorge für Bedürftige, Gesundheitswesen und Pflege für Kranke und Alte. Religionsfreiheit innerhalb der Schranken säkularer Werte Gläubige können ihr Denken und Handeln weiterhin im Schutz der Religionsfreiheit aus „göttlichen Offenbarungen“ „heiligen Aufträgen“ oder „religiösen Pflichten“ ableiten. Dieses Handeln, genauso wie dasjenige Konfessionsfreier, ist allerdings nur erlaubt, sofern und soweit es mit säkularen Werten vereinbar ist. So lassen sich Lebensverhältnisse und religiöse Freiräume schaffen, welche sowohl die persönliche Entfaltung des Einzelnen als auch seine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft fördern. Mensch im Mittelpunkt, nicht der Glaube Anstatt kirchlich-religiöser Minderbewertung von Menschen anderer oder ohne Religionszugehörigkeit stellen säkulare frei denken. 1 I 2011 Maximen den Menschen als solchen – unabhängig von seiner Weltanschauung – in den Mittelpunkt. Das stärkt die Bedeutung von Menschenrechten als solche und gleichzeitig das einheitliche Verständnis weder kirchlich noch religiös, sondern humanistisch definierter Menschenrechte. Das Fach „Säkulare Ethik” wird an der Schule zum Unterrichtsfach mit der höchsten identifikationsstiftenden Wirkung. Damit schafft die Schweiz die Grundlage für gegenseitige Toleranz von Menschen unterschiedlicher Kulturen. Ein wichtiger Schritt zu einer Schweizer Kulturgemeinschaft. Wertschätzung und Verantwortung Die Ehe und Familie als lebenslange, monogame Sexualitäts-, Fortpflanzungs- und Erziehungsgemeinschaft gehört zu den jahrhundertealten, kulturprägenden christlichen Werten. Die weit überwiegende Mehrheit normal veranlagter Menschen, auch Christen, kann sie selbst bei bestem Willen nicht einhalten. Diese Tatsache führt leider immer wieder zu unmenschlichem Sexualverhalten und sexuellen Übergriffen insbesondere gegenüber Frauen und Kindern. Die Kirchen versäumten es, ein menschlich tragbares Partnerschafts- und Sexualleben zu kultivieren. Die Kultivierung des menschlichen Sexualverhaltens ist nötig und eine grosse Herausforderung für den Menschen, egal welcher Weltanschauung. Jetzt löst der Staat auch in diesem wichtigen Lebensbereich die Kirche als kulturprägende Institution ab. Stellen wir uns vor, wie die Bevölkerung in unserem Staat mit säkularen Werten vernünftige, lebensnahe Formen des Zusammen- und des Sexuallebens der Menschen erlaubt und kultivieren lässt. Stellen wir uns ein Leben vor frei von verfehlten Scham-, Scheu- und Schuldgefühlen, geleitet von humanistischer Wertschätzung und Verantwortung. Abschaffung der Privilegien der „Landeskirchen” Die „Landeskirchen” verlieren ihre Privilegien und das Recht, sich als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu konstituieren. Sie müssen sich – wie alle anderen Interessengruppen in der Schweiz – in den gesetzlichen Schranken des privatrechtlichen Vereins oder der Stiftung neu organisieren. Die Kirchensteuern natürlicher und juristischer Personen werden ersatzlos abgeschafft. Kirchen müssen sich künftig wie ein Verein über jährliche Mitgliederbeiträge finanzieren und deren Inkasso selbst vornehmen. Der Staat beendet jegliche Zahlungen an „Landeskirchen” für Leistungen von sogenannt „gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“. Zukünftig werden staatliche Nachfragen nach Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben, sodass jeder Verein, auch weltanschaulich neutrale, eine Offerte einreichen kann. Die Kirchen und ihre ihnen nahestehenden Organisationen werden künftig vom Staat als Leistungsanbieter der Privatwirtschaft in einem offenen Markt behandelt und unterliegen wie alle übrigen juristischen Personen der Besteuerung. Auf dem Weg zur aufgeklärten Kulturgemeinschaft Säkulare Werte und Maximen lösen untragbar gewordene kirchliche Werte und Praktiken ab, schaffen Orientierung und werden zum Identifikationsmerkmal einer aufgeklärten Kulturgemeinschaft. So ermöglicht die säkulare Wert-Orientierung uns, sowohl als Individuum als auch als Kulturgemeinschaft, eine Zukunft mit mehr Chancen und Möglichkeiten als je zuvor. Das ist ein ganz besonders guter Anlass zum Feiern und sich auf das neue Jahr zu freuen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben ein schönes Fest und ein gutes säkular geschütztes neues Jahr. 10 Fiona Lorenz Der Untergang des Abendlandes Zum Ende der Antike gingen der Menschheit Bildung, Wissenschaft und Kunst verloren – sie wurde etwa 1500 Jahre zurückgeworfen. Was war die Ursache? Dieser Frage ging der Historiker Rolf Bergmeier nach. Es sollen die barbarischen Germanen gewesen sein, die die Bücher der Römer verwendeten, um darauf ihre Wildschweine zu braten. Ausserdem sollen die Dekadenz der Römer, mangelnde Fortpflanzung, der allgemeine Sittenverfall und die Überfremdung das Aussterben der antiken Kultur verursacht haben. „Die Antike“ bezeichnet dabei einen Zeitraum von etwa 500 vor bis etwa 500 nach unserer Zeitrechnung. Da zum Glück die antike Kultur nicht völlig unterging, sondern uns einige Reste erhalten blieben (die wiederum seit der Renaissance über Asien und Afrika zurücktransportiert werden konnten), lassen sich heute einige Ereignisse rekonstruieren. Theodosius – nicht Konstantin Quer zur hergebrachten Auffassung über Konstantin den Grossen und die „wilden Jahre“ des Christentums belegt Bergmeier, dass in der Spätantike Konstantin der Grosse (306–337 u. Z.), gemeinhin als Gründer des Christentums bezeichnet, sich als Arianer taufen liess. Die Arianer sahen Jesus allerdings nicht als gottgleich, sondern lediglich als gottähnlich an. Sie bildeten über lange Zeit die Mehrheit in den 18 Konzilen zwischen 318 und 380 u. Z., in denen die Frage geklärt werden sollte: Wie ist eigentlich Gott? Konstantin berief 325 u. Z. das Konzil von Nicäa ein, in dem Ordnung geschaffen werden sollte – diese Absicht misslang. Zuvor, im Jahr 313, hatte Konstantin ein Toleranzedikt erlassen, wonach das Christentum gleichberechtigt mit anderen Religionen anzusehen sei. Dies war Konstantins einziger Beitrag zur Christianisierung: der eines Steigbügelhalters. Es war Theodosius der Grosse (379–395 u. Z.), der das Christentum einführte. Theodosius war im Jahr 380 schwer erkrankt und daraufhin „erleuchtet“. Eigentlich ein „abgetakelter spanisch-römischer Feldherr“, so Bergmeier, setzte er mit 65 Erlassen die trinitatische Version des Christentums durch. Darüber hinaus vereinte er Staat und Monotheismus zu einer Allianz. Der wesentliche, eigenmächtige Erlass des Theodosius, „Cunctos Populos“ aus dem Jahr 380, verkündete: „... das bedeutet, dass wir gemäss apostolischer Weisung und evangelischer Lehre eine Gottheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben. Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heissen dürfen; die übrigen, die wir für wahrhaft toll und wahnsinnig erklären, haben die Schande ketzerischer Lehre zu tragen. Auch dürfen ihre Versammlungsstätten nicht als Kirchen bezeichnet werden. Endlich soll sie vorab die göttliche Vergeltung, dann aber auch unsere Strafgerechtigkeit ereilen, die uns durch himmlisches Urteil übertragen worden ist.“ In den anderen 64 Erlassen sorgte Theodosius dafür, dass unter anderem Tempel und alle Bibliotheken geschlossen, alle heidnischen Bilder und Skulpturen sowie Bücher, Schul- und Lehrmaterial vernichtet, nicht christliche Lehrer und Juristen verfolgt wurden. Was ging der Menschheit durch diesen massiven Eingriff in ihre Entwicklung verloren? Am Beispiel des Untergangs der Literatur lässt sich das nachvollziehen. Papyrus sowie auch Pergament waren wenig haltbare Materialien, auf denen Schriften festgehalten wurden. Diese Schriften mussten mithilfe eines (öffentlichen, Sklaven-) Kopierdienstes alle 50 bis 80 Jahre kopiert werden. Von 350 bis 500 u. Z. – folglich innert 150 Jahren – veränderte sich die Welt drastisch: Aus zahlreichen öffentlichen Bibliotheken in jeder Stadt (28 allein in Rom), die mit unzähligen, zu 95 Prozent säkularen Themen gefüllt waren und jeweils bis zu 500’000 Büchern enthielten, wurden nicht öffentliche Bibliotheken in Klöstern und Bischofsresidenzen, die jeweils ca. 100 bis 500 Bücher mit fast ausschliesslich Bibelexegesen und theologischer Literatur aufwiesen. Das Schrifttum der Medizin, des Rechts, der Ethik, Poesie, Astronomie, Agrarwissenschaft und Philosophie verschwand. Der Bücherverlust betrug 1:1000, d. h. jeder erhaltenen Schrift stehen 1000 vernichtete und verlorene Schriften gegenüber. Das antike Schulsystem war öffentlich und prinzipiell für „alle“ Stadtkinder ab Handwerker aufwärts offen – für die Landbevölkerung gestaltete sich der Zugang schwierig, da die Schulen lediglich in den Städten situiert waren. In den Schulen bestand keine weltanschauliche Bindung, die Schüler konnten weiterführende Schulen für Medizin, Recht oder Philosophie besuchen. In den Grammatikschulen wurde auf Latein und Griechisch unterrichtet. Nach der christlichen Wende existierten nur noch wenige, klerikale Schulen. Nach eintausend Jahren Schriftlichkeit war somit innerhalb relativ kurzer Zeit die Schriftlichkeit weitgehend erloschen und Analphabetismus war weit verbreitet. Cäsaren bestimmten den Glauben Gegenbewegungen der „Heiden“ existierten zwar, Aufstände oder Revolutionen gab es jedoch nicht. Die Bevölkerung hatte sich über die Jahrhunderte daran gewöhnt, dass ihr jeweiliger Pontifex Maximus ihnen sagte, an was sie glauben sollten, und die Cäsaren waren als Führer akzeptiert. Das Christentum entwickelte sich also prozesshaft und „schrittweise“. Bergmeier schloss seine Ausführungen nach der angeregten Diskussion mit den Worten: „Man muss sich das mal vorstellen: Eine Religion braucht 400 Jahre, bis sie ihren Gott gefunden hat!“ Und dieser Fund ging auf unser aller Kosten! Gekürzte Wiedergabe eines Veranstaltungsberichts auf http://hpd.de frei denken. 1 I 2011 11 Dominik Riedo Rezension Robert Mächler: „Arme Teufel sind wir alle” „Mündig ist der Mensch, wenn er die Lebensgläubigkeit ohne Glaubenslüge lebendig zu erhalten weiss. Er soll lernen, ohne sogenannte Wahrheit zu leben, damit er in Wahrhaftigkeit leben kann.” Diese Sentenz Robert Mächlers (1909–1996) kann als Grundgedanke seines gesamten Lebens und Schreibens gesehen werden. Man findet sie als Motto dem letzten Band einer Reihe postumer Veröffentlichungen vorangestellt, die seit 1999 von der vier Jahre zuvor initiierten Robert-Mächler-Stiftung publiziert worden ist. Der Philosoph und Journalist Robert Mächler dürfte vielen Schweizern zumindest dem Namen nach bekannt sein als religions- und kulturkritischer Essayist und Rezensent sowie als Biograf Robert Walsers. Er hinterliess ein umfangreiches Oeuvre vor allem zum Agnostizismus und zur Sinnsuche im Leben ohne institutionelle Religion, von dem der grössere Teil zu Lebzeiten unveröffentlicht blieb oder nur im Privatdruck erscheinen konnte. Mit dem nunmehr sechsten Band der erwähnten Reihe, einem gewichtigen Auswahlband von Mächlers Korrespondenz, ist dieser für die Schweiz eigentlich beschämenden Situation nach zwölf Jahren endlich ein bedeutender Schlussstein gesetzt. Denn einerseits war Mächler ein Geistesarbeiter, der seine Standpunkte in der Diskussion mit Briefpartnern entwickelte bzw. erklärte. So sind die Briefe nicht bloss ein guter Einstieg in den Kosmos seines Denkens und Fühlens, sondern etliche schon früher greifbare Texte und die darin vorgebrachten Ideen werden durch die in dieser Briefsammlung nachzulesenden Hintergrundinformationen erst richtig fass- oder nachvollziehbar. Das liegt auch an der hervorragenden Arbeit der Herausgeberin Gabriele Röwer: Neben einer wohl sinnvollen Auswahl von 53 aus über 400 Briefpartnern und dabei jeweils der wichtigeren Briefe glänzt der Band durch eine kenntnisreiche Einleitung in Leben und Werk Mächlers; dazu findet man in den zahlreichen Anmerkungen 23 ausführliche Exkurse zu den Hauptanliegen des Philosophen (gut erschlossen durch einen Überblick im Anhang; dort übrigens auch ein ausführliches Personenverzeichnis). Andererseits erhält die Leserin/der Leser durch die Vielfalt an Briefpartnern und Themen einen Querschnitt geboten durch das religionsphilosophische Geistesleben der Schweiz kurz vor, während und lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Reihe der Briefpartner liest sich wie ein Who’s who der ernstzunehmenden Religionsdiskussion jener Jahre: Hermann Hesse, Jonas Fränkel, Karl Barth, Max Daetwyler, Ludwig Hohl, Rudolf Jakob Humm, Kurt Marti, Pirmin Meier, Monika Meyer-Holzapfel, Werner Morlang, Adolf Muschg, Hans Saner usw. Hinzu kommen Briefe mit anderen deutschsprachigen Geistesgrössen wie Thomas Mann, Rudolf Borchardt, Max Brod, Karlheinz Deschner und Volker Michels. Die Zusammenschau des Geisteslebens gewinnt Farbe wiederum durch die Herausgeberin: Sie stellt jede Briefpartnerin/jeden Briefpartner kurz, aber prägnant vor und ordnet sie oder ihn ein in den betreffenden Kontext mit Robert Mächler. (Langfassungen davon ab Frühjahr 2011 auf www.haupt.ch) frei denken. 1 I 2011 Wer also war Robert Mächler und was vermag der Briefband über das oben Gesagte hinaus einer heutigen Leserschaft zu geben? Ganz generell und sehr eindrücklich kann der Sinnsucher stehen als Beispiel für jemanden, der erst relativ spät, mit 54 Jahren, definitiv mit der Kirche brach. Zuvor traute sich der eher scheue Mächler (er litt an Sprachblockaden in der Öffentlichkeit) nicht, allzu heftig gegen die starke Nachwirkung einer Jugendkrise anzudenken. Einem religiösen „Bekehrungserlebnis” in der Psychiatrie in Malévoz/Monthey 1928/1929 verdankte der Jüngling nämlich das Überstehen einer Psychose. Den „Gefahren des Nihilismus und der Schwermut” versuchte er sich daraufhin zu erwehren im christlichen Glauben barthianischer Prägung. Damit hatte er in seiner Zeit als Journalist beim Berner Bund und beim Badener Tagblatt von 1935 bis 1960 jedoch zunehmend Mühe. Nachdem er sich als Journalist endlich selbstständig gemacht hatte, vor allem aber nach der Lektüre von Karlheinz Deschners „Abermals krähte der Hahn” im Jahr 1962 war er bereit, einen echten Schlussstrich zu ziehen. 1963 trat er aus der reformierten Kirche aus. Fortan war Mächler – nicht zuletzt dank seiner vielen Rezensionen Deschner'scher Werke – einer der entschiedensten Vermittler religionskritischen Gedankenguts in der Schweiz und trat an gegen „das Unwesen der Religionen”, sei es durch Kritik biblischer Grundlagen, sei es ihrer institutionellen Ausprägungen, allen voran in den monotheistischen, zumal christlichen Glaubensgemeinschaften. Ihre „Antworten” auf nicht beantwortbare „letzte Fragen” waren für ihn ein klarer Verrat an der intellektuellen Redlichkeit wie auch ein Mittel des Klerus zur Gängelung der Massen. Und so stellte er wichtige Fragen, etwa an Kurt Marti: Warum die Theologen den „menschenfreundlichen” Teil der Bibel als „Gottesoffenbarung” in Anspruch nähmen, den grausamen indes als geschichtlich bedingt verharmlosten? Oder überraschte mit klugen Aussagen: Er wünsche nicht das Ende der Wirkung der Bibel, nur das Ende des Bibelglaubens; nachher möge die Bibel fortwirken, wie Homer fortwirke, dessen Wertschätzung nicht vom Glauben an seine Götter abhänge. Denn Mächler zeigt sich überzeugt davon, dass es wirkliche Humanität erst geben werde nach dem Verschwinden aller Religion. Der Agnostiker plädierte unter anderem deshalb leidenschaftlich für eine „Vernünftigung” des Menschen. Gerade an diesem Punkt treten spannende Diskussionen auf mit seinen Briefpartnern: Die meisten sehen hier den Vernunftanteil überschätzt und wollen das Irrationale stärker vertreten sehen. Doch Mächler – und das kommt wie gesagt in den Briefen eher zum Ausdruck als in seinen Schriften – mag nach seiner erschreckenden Jugendpsychose die Idee einer möglichst hohen Selbstkontrolle nicht preisgeben. >> 14 12 I denkfest 2011 denkfest Donnerstag, 8. September 2011 18.00–19.30 Lehrer-Workshop »Wissenschaft für Kinder« Blogger-Workshop »Sceptic blogging« Apéro 19.30–20.30 21:00–22:00 Wissenschafts-Kabarett: Vince Ebert Wissen schafft Lust auf mehr Das denkfest ist ein Fest der Wissenschaft im Raum Zürich, das die Freude am Forschen und Entdecken vermitteln und die Arbeitsmethoden der Wissenschaft verständlich machen soll. Es soll neues Vertrauen in die Wissenschaft geschaffen – nicht blind, sondern wach und (selbst-) kritisch. Wissenschaft als Kulturmotor Die Wissenschaft soll als wesentlicher Kulturmotor unserer Gesellschaft gewürdigt und gefeiert werden. Gegen 1000 Menschen sollen an vier Tagen an verschiedenen Veranstaltungen im Volkshaus teilnehmen. Es soll erkennbar gemacht werden: Wissenschaft ist Methode: Exemplarisch werden wissenschaftliche Methoden vorgestellt, ihre Chancen, ihre Grenzen. Wissenschaft kann von Pseudowissenschaft abgegrenzt werden: Exemplarisch werden pseudowissenschaftliche Behauptungen entlarvt und die Mechanismen von Verschwörungstheorien erläutert. Wissen ist anregend und bietet Orientierung im Leben. Wissenschaft kann auch erheiternd und bezaubernd sein und ruft Respekt vor dem Leben hervor. Das denkfest richtet sich an Sie:  an Menschen mit Interesse an Wissenschaft und Skeptizismus und ihren Exponenten  an LehrerInnen und andere Personen mit Erziehungsund Bildungsfunktionen  an Studierende aller Fachrichtungen  ans breite Publikum. Das Programm Es ist uns gelungen, hochkarätige Fachleute aus dem Inund Ausland zu gewinnen, die toppaktuelle Forschung vorstellen oder allerlei Behauptungen kritisch hinterfragen. Auch das skeptische Denken selbst soll – im Rahmen einer Podiumsdiskussion – kritisch hinterfragt werden. Möglich, dass es uns gelingt, bis zum Herbst noch ein oder zwei weitere Highlights zu präsentieren. Ab Februar finden Sie alles Neue auf der Webseite www. denkfest.ch und ab Ende März hier in frei denken. Internationale Vernetzung Das denkfest versteht sich als Teil einer weltweit wachsenden Reihe von Skeptikeranlässen und wird von befreundeten Organisationen wie der deutschen Giordano Bruno Stiftung unterstützt. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch mit Simultanübersetzung. Organisation Das denkfest wird von der Freidenker-Vereinigung der Schweiz organisiert. denkfest-Koordinator ist Andreas Kyriacou, Zürich. Das verantwortliche Organisationskomitee besteht aus Grazia Annen (Co-Zentralpräsidentin FVS), Reta Caspar (Geschäftsführerin FVS) und Andreas Kyriacou, Präsident Zürcher Freidenker. Freitag, 9. September 2011 09.40–11.00 Wissenschaft für Kinder – Erfolgsgeschichten »Der Zauberwürfel« Budapest (HU) (angefragt) Erni Rubik »Kinderuniversität« Projektleiterin KinderUniSteyr (A) Sylvia Zierer Kaffeepause 11.00–11.20 11.20–12.40 Wissenschaft für Kinder – Erfolgsgeschichten »Wissenscamps« Gründerin CampQuest UK, London (UK) Samantha Stein »Science center« Thorsten D. Künnemann Direktor Technorama Winterthur (CH) Mittagspause 12.40–14.00 14.00–15.00 Wissenschaft topaktuell I »Das LHC-Projekt am CERN« Teilchenphysiker, Uni Zürich (CH) Ueli Straumann 15.00–16.30 Skeptische Blicke auf Therapien »Guru-Disziplinen in der Alternativmedizin« Medizinjournalistin, Bristol (UK) Rose Shapiro »Wasserbelebung: Der Grander-Code« Biologe, Uni Wien (A) Erich Eder Kaffeepause 16.30–16.50 16.50–19.00 Skeptische Blicke auf Therapien »Chi – Wunderkräfte oder Hokuspokus?« Physiker, Bad Homburg (D) Holm Gero Hümmler »Brain-Gym unter der Lupe« Erziehungswissenschafterin, Darmstadt (D) Barbro Walker »Der Fall der Homöopathie« Mediziner, Uni Exeter (UK) Edzard Ernst Pause 19.00–20.45 Agora 20.45–23.00 Die Säulen des Himmels (Alejandro Amenábar 2009) Ein Film über Hypatia, diese der Legende und vielleicht auch der Wirklichkeit nach klügste Frau der Antike. Nach ihrem Glauben gefragt antwortete sie: „Ich glaube an die Philosophie.” Eine der ersten grossen Märtyrerinnen des freien Denkens. frei denken. 1 I 2011 2011 Samstag, 10. September 2011 09.00–11.10 Skeptische Blicke auf religiöse Verlautbarungen »Die Herstellung des Turiner Grabtuchs« Luigi Garlaschelli Uni Pavia (I), Chemiker Kantone: Staat – Kirche I 13 Schule – Religion denkfest 2011 So sind Sie dabei Festival-Pass für alle Tagesveranstaltungen Der Verkauf des Festival-Passes geht ab Februar via Internet los. Der Pass umfasst: Tagesveranstaltungen von Freitag bis Sonntag Verpflegung tagsüber Ticket für den Verkehrsverbund Zürich von Do bis So Kosten »Von Licht leben? Wohl kaum ...« Sanal Edamaruku New Delhi (Indien), Politologe »Wieso Kreationismus keine Wissenschaft ist« Eugenie Scott Oakland CA (USA), Direktorin NCSE 11.10–11.30 Kaffeepause 11.30–13.20 Skeptische Blicke auf religiöse Verlautbarungen »Ethik basiert auf Evolution, nicht Religion« Michael Schmidt-Salomon Trier (D), Philosoph Fr. 230.–* Mitglieder FVS und unterstützender Organisationen Fr. 270.–* Andere *Studentenrabatt (Legikopie) jeweils Fr. 30.– Ab Juni werden diese Preise schrittweise angehoben. FrühbucherInnen werden also belohnt! Gold-Pass für GönnerInnen Wer in der Lage ist, das denkfest mit einem höheren Betrag zu unterstützen, ist herzlich eingeladen, einen Gold-Pass zu erwerben. Dieser gewährt freien Zugang zu allen Tagesveranstaltungen sowie zu den drei Abendveranstaltungen. Zusätzlich erhalten Käufer des Gold-Passes drei signierte Bücher von denkfest-GastrednerInnen. Der Gold-Pass kostet Fr. 1’000.– und ist übertragbar. »Das Universum – nicht für uns gemacht« Lawrence Krauss Uni Arizona (USA), Physiker 13.20–14.20 Mittagspause 14.20–15.20 Wissenschaft topaktuell II »Das Blue Brain-Projekt« Felix Schürmann EPFL (CH), Physiker 15.20–16.50 Die Psychologie seltsamer Überzeugungen »Das gläubige Gehirn« Peter Brugger Uni Zürich (CH), Neurobiologe »Die Bedeutung des sich Irrens« Kathryn Schulz New York, Journalistin Bis 31.1.2011: Sonderpreis für Mitglieder FVS-Mitglieder können bis Ende Januar 2011 zusätzlich vom vereinsinternen Vorverkauf profitieren: Festivalpass für Mitglieder Fr. 200.– für Studierende (Legikopie) Fr. 170.– Bestellung bei denkfest@frei-denken.ch oder durch direkte Einzahlung des entsprechenden Betrags auf denkfest 2011 Freidenker-Vereinigung der Schweiz Postfinance: 85-533931-2 IBAN CH24 0900 0000 8553 3931 2 Das Sonderpreisangebot ist ein Dank an die Mitglieder der FVS für die laufende Unterstützung; zudem verhelfen frühe Zahlungseingänge zu einer frühen Liquidität und einer ersten Einschätzung, wie gross das Interesse sein wird. Pro Mitglied werden nur 2 Sonderpässe verkauft. 16.50–17.10 Kaffeepause 17.10–18.40 Die Psychologie seltsamer Überzeugungen »Wie Dopamin Skeptiker in Gläubige verwandelt« Christine Mohr Uni Genf, Neuropsychologin »Erkenntnisse aus der anomalistischen Psychologie« Chris French Goldsmiths College London, Psychologe 18.40–19.30 Pause 19.30–22.30 Konferenzdinner mit Science Slam Moderation: Julia Offe Gründerin science slams DE, Biologin Sonntag, 11. September 2011 09.00–11.00 Skeptischer Blick auf Verschwörungstheorien »9/11-Verschwörungen zehn Jahre danach« John Ray Washington DC (USA), Blogger, Conspiracies R Not Us »Wo bleibt der Planet X?« Florian Freistetter Jena (D), Astronom »Gesundheitliche Auswirkungen der Impfverschwörungen« Beda Stadler Uni Bern (CH), Immunologe 11.00–11.20 Kaffeepause 11.20–12.20 Wissenschaft topaktuell III »Trends in Immunobioengineering« Melody Swartz EPFL (CH), Bioingenieurin 12.20–14.30 Pause 14.30–16.00 Podiumsdiskussion »Kritisches Denken richtig gemacht – die Gratwanderung zwischen Skeptizismus und Leugnung von Fakten« frei denken. 1 I 2011 Sponsoren gesucht Mit dem denkfest bieten die Freidenker ein hochattraktives, aussergewöhnliches Angebot. Es soll aber die eigentliche Vereinsrechnung möglichst nicht belasten. Gleichzeitig ist es den Freidenkern ein grosses Anliegen, die Ticketpreise so anzusetzen, dass das Wissensfestival auch preislich für eine breite Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Wir sind deshalb auf einen Anteil Drittmittel angewiesen. Die hochkarätige Rednerliste macht das denkfest auch für Sponsoren attraktiv. Gemäss Budget werden Fr. 30’000.– an Sponsorenmitteln gesucht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Fr. 15’000.– zugesichert. Wer für sein Unternehmen einen wirksamen Auftritt sucht oder Kontakte zu Entscheidungsträgern hat, melde sich bitte bei Andreas Kyriacou (076 479 62 96) oder info@denkfest.ch. 14 I Uster Debatten Podiumsdiskussion 24.11.2010 Winterthur Podiumsdiskussion 25.11.2010 Sterbehilfe und Palliativpflege? Ergänzen sich Sterbehilfe und Palliativpflege oder stehen sie in Konkurrenz zueinander? Das war die Frage, die im Qbus in Uster geklärt werden sollte. Rund 30 Interessierte folgten den Voten von Heidi Vogt und Andreas Weber. Heidi Vogt aus Uster ist Leiterin des Vereins Freitodhilfe Exit. Der Arzt Andreas Weber aus Wetzikon ist Co-Präsident Palliative Zürich und Schaffhausen. Zum Podium eingeladen hatte die Giordano Bruno Stiftung und die Freidenker-Sektion Zürich. Ihr Präsident Andreas Kyriacou leitete die Diskussion. Die Referenten machten rasch klar, dass sie nicht als Konkurrenten angetreten waren und dass Palliativpflege die Freitodhilfe nicht überflüssig macht. Wer Freitodhilfe beansprucht, will sterben – auch wenn er oder sie nicht todkrank ist. Was für ein Leben noch lebenswert ist, muss jeder für sich entscheiden. Allerdings muss die sterbewillige Person noch urteils- und handlungsfähig sein. Sie muss wissen, was sie macht und selber trinken oder eine Infusion öffnen können. Kann sie das nicht mehr, hilft auch keine Patientenverfügung. Hier setzte Andreas Weber ein: Freitodhilfe erzeugt Termindruck. Viele fürchten den Schmerz oder haben Angst, an einer Lähmung zu ersticken, und wollen deshalb rechtzeitig gehen. Nur: Wann ist es noch nicht zu spät? Weber organisiert einen Pikettdienst und verspricht, Sterbende vor dem Tod zu narkotisieren. Seine Erfahrungen damit sind positiv und er berichtet von Patienten, die nach dem Entscheid zur Palliativpflege wieder Freude am Leben gefunden haben. Fast nur am Rande wurde erwähnt, dass Palliativpflege nicht gratis ist. Nicht jeder kann sich eine wochenlange Betreuung rund um die Uhr leisten. Das Publikum beteiligte sich mit Fragen und Fallbeispielen rege am Gespräch. Beiden Referenten und ihren Organisationen geht es nicht um Ideologien, sondern um das Wohl der Menschen am Ende des Lebens. Patrick Eschle Links: www.pallnetz.ch, www.exit.ch Mission/Entwicklungshilfe? Auf Einladung der Freidenker Winterthur diskutierten in der alten Kaserne Winterthur: Alec Gagneux, Vorstandsmitglied der ECOPOP, Gerhard Bärtschi, Leiter Abt. int. Beziehung und Mitglied Geschäftsleitung mission 21, Niklaus Meier, AEM Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen und Dudo Erny, Autor von „Die Grünschwätzer“ (2009). Der Präsident der Winterthurer Freidenker eröffnete die Diskussion mit der Forderung: „Kein Kind sollte geboren werden, wenn nicht gewährleistet ist, dass es genügend zu Essen, genügend sauberes Wasser und einen anständigen Platz zum Leben hat. Hören wir auf, Symptome zu bewirtschaften, setzen wir alles daran, das Elend zu beseitigen.“ Wie das Elend besiegt werden kann, darin waren sich die Referenten keineswegs einig. Die Vertreter der christlichen Hilfswerke plädierten dafür, im gleichen Stil weiterzumachen und dabei die Rolle der Frauen langsam zu stärken. Dudo Erny wies darauf hin, dass bei einem Netto-Wachstum von rund 200’000 Menschen täglich die Geburtenreduktion das wichtigste Ziel sein müsse. Der Moderator thematisierte auch die wirtschaftlichen Aspekte, am Beispiel des Kongo, einem der an Bodenschätzen reichsten Länder, wo dennoch über der 70 Prozent der Einwohner unter Hunger leiden. Auch die Industrienationen bekamen ihr Fett ab, die ungeachtet aller ethischen Grundsätzen die Ausbeutung auch heute noch ungezügelt vorantreiben. Auch die Frage des Moderators, ob Entwicklungshilfe nicht mehr schaden als nützen würde, weil das Elend bewirtschaftet und nicht bekämpft würde, löste bei den beiden Vertretern der Missions- und Hilfswerke nur Kopfschütteln aus. Sie wiesen darauf hin, dass doch auch gerade durch die Hilfe der Medizin viele Kinder gerettet würden. Dass aber gleichzeitig alle drei Sekunden ein Kind an Hunger stirbt, wurde nur mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Sie betonten immer wieder, das Vordringlichste sei nicht die Familienplanung, sondern Bildung und medizinische Hilfe für Kinder. Der Moderator schloss die angeregte Diskussion mit den Worten: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich am Elend auch in Zukunft kaum etwas ändern wird, da die Verantwortlichen nicht bereit sind, am eingeschlagenen Kurt Schmid Weg etwas zu ändern.“ Präsident Sektion Winterthur 11>> Robert Mächler: „Arme Teufel sind wir alle” Das wiederum – und auch hier machen die verschiedenen Erklärungen dazu in den Briefen das Ganze verständlicher – hindert Mächler nicht daran, sich eine Art „übernatürliche” Potenz im Weltengrund zu wünschen. Zu sehr steckt in ihm das Bedürfnis, „an Wert und Sinn und an deren Ursprung im Weltganzen” zu glauben, zu sinnlos wäre ihm sonst das Leben; und trotzdem zweifelte er ganz am Ende folgerichtig auch daran: „Und wenn da gar nichts wäre hinter den Wolken?” Und leitet damit quasi über zum Titel des Bandes: „Arme Teufel sind wir alle: ‚Teufel’, weil wir am Naturbösen teilhaben; ‚arme’, weil wir als vernunftbegabte, ein Stück weit der Natur entlaufene Wesen unter den naturhaften Übeln in erhöhtem Masse leiden.” Gabriele Röwer (Hrsg.) „Arme Teufel sind wir alle …” Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt Haupt Verlag 2010, ISBN-13: 978-3-258-07531-0 Robert-Mächler-Stiftung: Centenarfeier in Baden Anlässlich der Erfüllung ihrer Aufgaben hat die Robert-MächlerStiftung am 24. Oktober 2010 nach Baden eingeladen, um im Limmatsaal in Mächlers Heimatort dieses Ereignis würdig zu feiern, unter anderem mit einer Hommage von Michael SchmidtSalomon für Karlheinz Deschner. Der berühmte Kirchenkritiker war es gewesen, der seinen langjährigen Freund Robert Mächler kurz vor dessen Tod dazu bewegen konnte, der Gründung einer Stiftung seines Namens zuzustimmen, die sich um sein Werk kümmern sollte. Auch etliche Schweizer FreidenkerInnen sind der Einladung nach Baden gefolgt und haben die Gelegenheit genutzt, mit Mitgliedern der Robert-Mächler- und der Giordano Bruno Stiftung ins Gespräch zu kommen. Die Ansprachen finden Sie demnächst auf: www.robert-maechler-stiftung.ch frei denken. 1 I 2011 Agenda I 15 Zürich Podiumsdiskussion 10.12.2010 Basel Trennung von Religion und Staat? Am diesjährigen Tag der Menschenrechte hat die „Hochschulgruppe frei denken” an der Universität Zürich ein Podium zum Thema „Trennung von Religion und Staat?“ veranstaltet. Ein voller Saal lauschte zunächst dem Eingangsreferat von Valentin Abgottspon und anschliessend der eigentlichen Diskussion zwischen sechs VertreterInnen der Jungparteien*. Zu Beginn kamen die historisch-kulturelle Prägung und die Werte unseres Landes zur Sprache. Während JEVP, JCVP und JSVP die Erhaltung der christlichen Tradition beschworen, verwiesen die VertreterInnen von JUSO, Jungfreisinn (JF) und Jungen Grünen (JG) auf die Aufklärung als unmittelbarere Tradition. Leider nicht gesagt wurde, dass Tradition per se aus rein logischen Gründen kein Argument sein kann. Was Tradition ist – sei es nun antik, christlich, islamisch oder neuzeitlich-aufklärerisch – , ist argumentativ schlicht nicht relevant, denn Traditionen können ohne Weiteres auch falsch sein. Beim Thema Abschaffung des Steuerprivilegs zeichnete sich eine mögliche Allianz von Links-Grün über die FDP bis zur SVP ab, allerdings unter der Bedingung von Links-Grün, dass keine Senkung der Steuern für Firmen resultiert. Der JF kündigte die Lancierung kantonaler Initiativen zur Abschaffung des Kirchensteuerobligatoriums für juristische Personen an. Was die Ausbildung islamischer Geistlicher an den hiesigen Universitäten angeht, zeigte man sich nicht nur bei der JSVP und der JEVP, sondern – entgegen den Mutterparteien – auch bei JF, JUSO und JG skeptisch. Die Abschaffung des Religions- zugunsten eines obligatorischen Ethikunterrichts an den Schulen schliesslich war für JF, JG und JUSO unbestritten, während die JSVP den kulturellen Wert eines „teaching about (‚our’!) religion“ beschwor und JCVP und JEVP sich bedeckt hielten. Adriano Mannino Ab 7. Januar i.d.R. freitags, 19:00 „Geschichten vom Ursprung des Lebens” von Richard Dawkins. Leitung: G. Rudolf Samstag, 8. Januar 17:30 NWS-Neujahrsapéro und Fondue Chinoise Freitag, 28. Januar 18:00 Infos: 079 391 72 45 Restaurant Antalya Leonhardsgraben 8 Restaurant Park Flughafenstrasse 31 FUB-Jahresfeier Freie Zusammenkunft Freitag, 4. März 18:00 Säli Restaurant Spillmann Eisengasse 1 Restaurant Spillmann Eisengasse 1 Restaurant Spillmann Eisengasse 1 Rest. Rheinfelderhof Hammerstrasse 61 Ab Febr. jeden letzten Freitag im Monat 19:00 FUB-Generalversammlung Samstag, 26. März 15:00 NWS-Generalversammlung Bern Montag, 17.1., 28.2., 28.3. 19:00 Abendtreff Donnerstag, 17. März Restaurant National Hirschengraben 24 Podiumsdiskussion im Rahmen der „Berner Woche gegen Rassismus”. Infos folgen. Samstag, 26. März Hauptversammlung 2011 Einladung folgt. Mittelland Samstag, 22. Januar 14:00 Generalversammlung 2011 Restaurant Oberstadt Brättligäu 5, Lenzburg Schaffhausen Donnerstag, 31. März 19:00 Generalversammlung 2011 Einladung folgt. Restaurant Falken Vorstadt 5 Solothurn/Grenchen Mittwoch, 23. März 19:00 Generalversammlung 2011 Restaurant Parktheater beim Bahnhof Grenchen Nord Restaurant Dufour Bahnhofstrasse 19 St. Gallen Freitag, 18. Februar 19:00 Hauptversammlung 2011 Wallis/Valais Abendhock Freitag, 7.1., 4.2., 4.3. 19:00 Jeudi, 20.1., 17.2., 17.3. 19:00 Restaurant Jäger Visp Ferme Asile Sion Restaurant Elite Visp Gemeindesaal Martigny Café Laïc Samstag, 29. Januar 16:00 * Es diskutierten: Roman Rutz, Co-Präsident JEVP; Caesar Andres, Vizepräsident JCVP; Eliane Hiestand, JSVP Kanton Zürich; Cédric Wermuth, Parteipräsident JUSO; Jonas Landolt, Präsident Junge Grüne Stadt Zürich; Brenda Mäder, Präsidentin Jungfreisinn. Einen ausführlicheren Bericht über die Veranstaltung finden Sie auf: http://hgzh.frei-denken.ch. Generalversammlung 2011 Dienstag, 15. März 19:00 „La laïcité à l’épreuve du XXIe siècle” Vortrag von Nadia Geerts, Belgien Winterthur Samstag, 8. Januar 20:00 siehe Inserat „Moral und Ethik” Podiumsdiskussion Freitag, 4. März 19:00 Reithalle Zeughausstrasse 73 Generalversammlung 2011 Einladung folgt. Zentralschweiz Moral und Ethik – Geschenk der Religionen oder unserer Genetik? Podiumsdiskussion in Winterthur Samstag, 8. Januar 2011, 20.00 Uhr Reithalle, Zeughausstrasse 73, Winterthur Es diskutieren: Donnerstag, 10. Februar 19:00 Treffen für Mitglieder und Interessierte Freitag, 25. März 19:00 Restaurant Ente Buobmatt 2, Luzern Generalversammlung 2011 Einladung folgt. Zürich Montag, 14. Februar 14:30 Nachmittagstreff Samstag, 19. März 14:30 Restaurant Schweighof Schweighofstrasse 232 Restaurant Johanniter Niederdorfstrasse 70 Bistro emo Predigerplatz 38/40 Dr. Maja Strasser Dr. Roger Liebi Neurologin Theologe Generalversammlung 15:45 Lesung von Gottfried Schatz 13.1., 10.2., 10.3. 20:00 Abendtreff Eine Veranstaltung der Winterthurer Freidenker FVS-Delegiertenversammlung Sonntag, 29. Mai 2011 Bahnhofbuffet, Olten frei denken. 1 I 2011 Adressen Trauerfeiern / Rituale Basel: Freidenker Nordwestschweiz Hans Mohler 079 455 67 24 Basel / Nordwestschweiz Freidenker Nordwestschweiz Postfach 260 4010 Basel basel-nws@frei-denken.ch Präsident: H. Mohler 061 261 36 19 Mitgliederdienst: B. Bisig 061 321 31 48 Solothurn / Grenchen Basel: Freidenker-Union Georges Rudolf 079 391 72 45 Freidenker Solothurn/Grenchen Postfach 217 2545 Selzach grenchen@frei-denken.ch Präsident: S. Mauerhofer 076 478 69 94 Mitgliederdienst: L. Höhneisen 076 539 93 01 Bern / Freiburg / Wallis Tony Baumgartner 079 300 20 10 Reta Caspar 079 795 15 92 Mittelland Hans Mohler 079 455 67 24 Erika Goergen 041 855 59 09 Freidenker-Union Basel Postfach 4471 4002 Basel basel-union@frei-denken.ch Präsident: G. Rudolf 061 601 03 43 Mitgliederdienst: 061 601 03 23 Ticino Associazione Svizzera dei Liberi Pensatori (ASLP) Sezione Ticino CP 721 6902 Paradiso ticino@frei-denken.ch Ostschweiz Romandie Raffaele Schacher 078 764 85 57 Yvo Caprara 026 660 46 78 Jean-Pierre Ravay 022 361 94 00 Bern FreidenkerInnen Region Bern Postfach 831 3550 Langnau regionbern@frei-denken.ch Präsident: D. Aellig 079 449 54 45 Mitgliederdienst: E. Schenker 031 351 83 82 FR Presidente R. Spielhofer 091 994 21 45 Vaud Président: Secrétariat: JU / NE J. P. Ravay 022 361 94 00 026 660 46 78 Ass. vaudoise de la Libre Pensée CP 5264 1002 Lausanne vaud@frei-denken.ch Solothurn / Grenchen Ostschweiz Wallis L. Höneisen (Koord.) 076 539 93 01 Raffaele Schacher 078 764 85 57 Melanie Hartmann 078 644 74 72 Genève Libre Pensée de Genève 27 ch. des quoattes 1285 Avusy geneve@frei-denken.ch Président: J. P. Bouquet 022 756 40 49 Wallis / Valais Winterthur / Schaffhausen Christian D. Grichting 079 218 57 64 Hans Rutishauser 071 646 04 78 Freidenker Wallis Postfach 118 3922 Stalden wallis@frei-denken.ch Präsident: V. Abgottspon 078 671 08 03 Mittelland Zentralschweiz / Tessin Erika Goergen 041 855 59 09 Zürich Christian D. Grichting 079 218 57 64 Hans Rutishauser 071 646 04 78 Sollte unter den regionalen Nummern niemand zu erreichen sein, hinterlassen Sie bitte eine Mitteilung bei der FVS-Geschäftsstelle: 031 371 65 67, wir rufen zurück. Freidenker Mittelland Postfach 56 4628 Wolfwil mittelland@frei-denken.ch Präsident: H. Haldimann 062 926 16 33 Winterthur Präsident: Freidenker Winterthur Postfach 1806 8401 Winterthur winterthur@frei-denken.ch K. Schmid 052 337 06 27 Ostschweiz Präsident: Zentralschweiz Präsidentin: Freidenker Ostschweiz Postfach 359 9001 St. Gallen ostschweiz@frei-denken.ch M. Candrian 079 653 67 76 Freidenker Zentralschweiz Zugerstrasse 35 6415 Arth zentralschweiz@frei-denken.ch G. Annen 041 855 10 59 Adressänderung melden an FVS / ASLP Zentralkasse Postfach 217 CH-2545 Selzach zentralkasse@frei-denken.ch Schaffhausen Kontakt: Zürich Freidenker Schaffhausen schaffhausen@frei-denken.ch Martin Jung Freidenker Zürich Postfach 3353 8021 Zürich zuerich@frei-denken.ch Danke! Präsident: A. Kyriacou 044 253 18 96 Mitgliederdienst: A. Erne 043 299 53 36 AZB P.P./Journal CH-2545 Selzach Freidenker-Vereinigung der Schweiz www.frei-denken.ch