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(file: @@Bund-Segen.pdf@@)2 THEMA LÖTSCHBERG PROMINENZ UND PFARRER GEBEN DEM LÖTSCHBERG-BASISTUNNEL DEN SEGEN SAMSTAG, 16. JUNI 2007 «Gott gebe die Doppelspur» Z ehn Uhr dreissig in Frutigen, am Nordportal des neuen Lötschberg-Basistunnels: Rauch steigt aus der Röhre, Scheinwerfer blitzen, aus den Lautsprechern dröhnt musikalisches Getöse wie in einem Hollywoodfilm . Plötzlich taucht eine Lokomotive aus dem Schwarz auf und zerreisst das Plakat, das den Ausgang versperrt. Feuerwerksraketen steigen in den Himmel. Dies ist der grosse Auftritt von Verkehrsminister Moritz Leuenberger. Zusammen mit Peter Teu- Selbst Politiker, die früher den Bau des Lötschbergtunnels bekämpft haben, geben sich nun gegenüber dem Jahrhundertbauwerk versöhnlich. Verkehrsminister Moritz Leuenberger hat einen grossen Auftritt vor 1200 geladenen Gästen gefeiert. serkessel trägt. Brunner weiss göttliche und weltliche Mächte geschickt zu verbinden: «Es lohnt sich, den Lötschberg voll auf Doppelspur auszubauen», sagt er zum Schluss seiner Ausführungen in breitem Walliserdeutsch, «Amen. Das gebe Gott.» q EinweitererZugfährtheran.Diegeladenen Gäste steigen ein. Für die Frutiger, welche sich hinter dem Zaun versammelt haben, um mit Feldstechern die Politprominenz zu beobachten, wird es langweilig. Der offizielle Festakt geht im Berginnern weiter. Bei der Nothaltestelle Ferden wird der Apéro gereicht. Kein Wasser tropft von den Wänden, kein Stäubchen liegt auf dem Boden, es riecht frisch. «Der sauberste Tunnel der Welt», spotten ausländische Gäste. q scher, Direktor der BLS Alptransit AG, und Matthias Tromp, Chef der BLS, steigt er aus dem Zug, vor 1200 geladenen Gästen aus dem In- und Ausland. «Das war toll», sagt eine Fernsehreporterin des Zweiten Deutschen Fernsehens. q DieFestlauneistansteckend.Selbst ehemalige Gegner des LötschbergBasistunnels beugen sich der Macht des Faktischen. «Ein grosser Tag für den öffentlichen Verkehr», sagt etwa der Zürcher SVP-Nationalrat Max Binder, der früher dafür kämpfte, dass nur die Gotthardverbindung ausgebaut wird. Nein, er sei nicht eifersüchtig, dass das Berner Projekt jetzt vor dem GotthardBasistunnel termingerecht eröffnet werden könne, gibt er zu Protokoll. Aber dem Ausbau des zweiten Lötschberggleises für mindestens 460 Millionen Franken, wie es nun vielerorts gefordert wird, würde er nicht zustimmen. «Jetzt bauen wir erst den Gotthard-Basistunnel, dann alle nötigen Zufahrten, und dannsehenwirweiter»,sagtBinder, der seit Jahren Mitglied der NeatAufsichtsdelegation ist. q Verkehrsminister Moritz Leuenberger steht an der Nothaltestelle Ferden im Zentrum des Interesses. BILDER: ADRIAN MOSER Beim Apéro werden Erinnerungen an schwierigere Zeiten wach. Der ehemalige österreichische VerkehrsministerCasparEinemerzählt von der Marathonsitzung, in der zwischen der EU und der Schweiz 1998 das Landverkehrsabkommen ausgehandeltwurde.Bisaufdenitalienischen Minister, der wegen des Regierungswechsels erst sechs Wochen im Amt war, seien sich alle einig gewesen, dass man der Schweiz zur Finanzierung der Neat die Schwerverkehrsabgabezugestehen solle, wenn im Gegenzug die 40Tönner auf Schweizer Strassen zugelassen werden. Erst nach dem Konsum vieler Sachertorten und dem Druck der anderen EU-Länder habeItalienum5 Uhrmorgenseingeschwenkt. q Die Brass Band Frutigen schmettert gegen den Regen an. Die Gäste streifen sich Pelerinen über, und der Verkehrsminister spricht von einem «ergreifenden Tag» – sogar der Himmel weine vor Freude. Auch die grüne Berner Nationalrätin Franziska Teuscher ist begeistert. Dies, obwohl ihre Partei 1992 das Referendum gegen die Neat erq q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q 1200 geladene Gäste schützen sich vor dem Regen. Protestant und Katholik bei Segnung des Tunnels vereint. griffenhatmitdemArgument,zwei Alpentransversalen seien nicht finanzierbar. Heute tönt es anders: «Ich kann mir einen Ausbau des Lötschbergs auf zwei Spuren vorstellen», sagt Teuscher. Vielleicht q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q gelinge es ja bei anderen Abschnitten der Neat, finanzielle Abstriche zu machen. Nächster Programmpunkt: Die Segnung des 34,6 Kilometer langen Tunnels. Die verbindende Kraft des Bauwerks erweist q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q sich als gross: Obwohl die reformierten Berner während Jahrhunderten gegen die «abergläubischen Zauberpraktiken» der Katholiken gekämpft haben, kommt es nun zu einem ökumenischen Segnungsriq q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q tus: Der Bischof von Sitten, Norbert Brunner, bespritzt die Tunnelwände zum Schutz vor dem Bösen mit Weihwasser, während ihm der Synodalratspräsident des Kantons Bern, Samuel Lutz, den Weihwasq q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q In Visp bereitet die Bevölkerung den Ehrengästen einen grossen Empfang. Schul- und KindergartenkindersäumendieStrassenund schwenken Walliser Fähnchen. Im Festzelt wird die Zukunft beschworen: Der Lötschbergtunnel sei erst der Anfang, sagt Leuenberger. Nach dem Gotthard folge der Brenner-Basistunnel in Österreich und dieVerbindung zwischen Lyon und Turin. Politische Vertreter aus den umliegenden Ländern wollten diesbezüglich keine Versprechen abgeben. Sie sagten jedoch, sie würdensichfürdieVerlagerungdes Güterverkehrs auf die Schiene einsetzen. Christian von Burg q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q q WARTEN AUF DIE NEAT-SÜDANSCHLÜSSE FÜR DEN GOTTHARD – BEIM LÖTSCHBERG HATS EINIGERMASSEN GEKLAPPT Die Italiener machen alle nervös Die Schweiz ist nicht das einzige Land, das sich Sorgen wegen der italienischen Anschlüsse von grenzüberschreitenden Bahnprojekten macht. Neben Bern warten auch Brüssel, Paris, Wien und Berlin auf Signale aus Rom. DOMINIK STRAUB, ROM Paris und Rom auf die Verteilung der Kosten. Doch seit knapp zwei Jahren werden im malerischen Val di Susa, wo der italienische Tunnelzugang gebaut werden soll, sämtliche Sondierungsarbeiten von einer militanten lokalen Protestbewegung blockiert. Prodis Überleben auf dem Spiel In Paris und Brüssel steigt die Irritation, und selbst die französischen Grünen hatten ihre Genossen auf der anderen Seite des Berges aufgefordert, doch Vernunft anzunehmen und an die Tausenden von Lastwagen zu denken, die dank dem Tunnel auf die Schiene verladen werden könnten. Tatsächlich vermochte die Regierung am Mittwoch mit einer voraussichtlich drei Milliarden Franken teuren Tunnelverlängerung und Streckenverlegung die festgefahrenen Fronten etwas aufzuweichen. Die Zeit drängt: Italien muss Brüssel bis Mitte Juli die definitive Im Römer Regierungsgebäude und im Infrastruktur- und Transportministerium jagte diese Woche eine Krisensitzung die andere. Das Thema der fiebrigen Zusammenkünfte: Die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lyon und Turin mit dem 53 Kilometer langen Fréjus-Basistunnel. Der Bau der Strecke, die Teil des 5. EU-Korridors von Lissabon bis Kiew werden soll, war 2001 zwischen Italien und Frankreich vereinbart worden. 2004 einigten sich Streckenführung vorlegen, sonst wird ein EU-Beitrag von 1,6 Milliarden Franken gesperrt. Für Ministerpräsident Romano Prodi steht im Val di Susa sein politisches Überleben auf dem Spiel: Bisher hatten sich die mitregierenden Kommunisten auf die Seite der Bahngegner geschlagen – und ohne Kommunisten ist seine Regierung am Ende. Unter Druck steht Rom auch bei einem weiteren, milliardenteuren «Jahrhundertprojekt»: Beim geplanten Brenner-Basistunnel zwischen dem Südtirol und Innsbruck, der mit seinen 55 Kilometern nach dem Gotthard der zweitlängste der Weltwird.DerBrenner-Basistunnel ist Bestandteil des 10. EU-Korridors, der von Berlin nach Palermo führen soll und der von der Mittelinks-Regierung in Rom bereits um ein umstrittenes Megaprojekt abgespeckt wurde: Die von der Regierung Berlusconi vorangetriebene über drei Kilometer lange Hänge- brücke über die Strasse von Messina wurde wieder in die Schublade gelegt. Auch beim Brenner imVerzug Auch bei den italienischen Anschlüssen an den Brenner-Basistunnel ist Rom im Verzug; zum Ärger von Wien, Berlin und Brüssel war im italienischen Investitionsplan 2007 für die voraussichtlich 12 Milliarden Franken teuren Zufahrten zwischenVerona und demTunnelportal im Südtiroler Franzensfeste kein müder Euro vorgesehen. Auch für die Anschlüsse in Verona liegt noch keine konkrete Finanzierung vor. Infrastrukturminister Antonio Di Pietro hat deshalb kürzlich Alarm geschlagen und Prodi aufgefordert, mit der «Hinhaltetaktik» aufzuhören: Wenn man so weitermache, drohe das gesamte Projekt zu platzen. Mit anderen Worten: In Rom hat man derzeit andere Sorgen als die Südanschlüsse für den Gott- hard. Neben den Zufahrten für Fréjus und Brenner muss zum Beispiel auch noch die milliardenschwere Sanierung der italienischen Staatsbahn angepackt werden. Und alles muss vor dem Hintergrund der höchsten Staatsverschuldung der gesamten EU finanziert werden. Es braucht weiterhin Geduld Die zahlreichen politischen und finanziellen Baustellen mögen erklären, dass im italienischen Infrastruktur- und Transportministerium diese und letzte Woche trotz mehrfachen Anfragen niemand in der Lage oder willens war, zu den Gotthard-Anschlüssen eine Aussage zu machen. Eine politische Absichtserklärung hätte freilich auch nur beschränktenWert: Die aktuellen Minister sind möglicherweise nur noch wenigeWochen im Amt, und ihre Nachfolger könnten bezüglich Gotthard wieder ganz an- dere Vorstellungen haben. Für die Schweiz heisst dies: Das seit Jahren bekannte Hin und Her um die Südanschlüsse der Neat dürfte noch auf unabsehbare Zeit weitergehen. Beim Lötschberg hats geklappt Andererseits: Beim LötschbergAst haben die Italiener am Schluss die für die so genannte «Piattaforma Sempione» (Simplon-Plattform) mit Bern vereinbarten Kapazitätsverbesserungen doch an die Hand genommen, so dass die durch den Basistunnel geschaffenen zusätzlichen Kapazitäten einigermassen absorbiert werden können, wie der Sprecher des Bundesamts für Verkehr (BAV), Gregor Saladin, betont. Beim Gotthard werden nun beide Seiten zunächst Machbarkeitsstudien anfertigen lassen. Saladin zeigt sich gelassen: «Italien hat sich bisherimmeralszuverlässigerPartner erwiesen.»