Die pakistanische Bloggerin Shamila Ghyas zu den Brüsseler Attentaten: Verantwortung, den Dschihadismus zu bekämpfen, liegt bei uns Muslimen

Die pakistanische Kolumnistin Shamila Ghyas hat kurz nach den ersten Berichten über die Terroranschläge in Brüssel auf dem Online-Portal der Pakistanischen Englischsprachigen Zeitung The Nation über die Ereignisse gebloggt. Wir drucken ihren Text mit freundlicher Genehmigung ab.

 

Brüsseler Attentate: die Verantwortung, den Dschihadismus zu bekämpfen, liegt bei uns Muslimen

Ein neuer Tag, ein neuer Anschlag.

Noch mehr unschuldige Tote.

Mindestens 34 Personen wurden heute getötet, nachdem Explosionen den Brüsseler Flughafen und eine Metrostation erschütterten. Über 100 sind verletzt, viele davon in kritischem Zustand, die Zahl der Todesopfer dürfte also noch ansteigen.

Augenzeugen berichteten, sie seien nach dem Hören eines lauten Knalls von der Detonationswelle regelrecht zurückgeworfen wurden. In den Fahrstühlen triefte Blut, nachdem Decken der betroffenen Gebäudeteile einstürzten.

Stell Dir vor, Du bist am Flughafen, stehst vielleicht bei der Passkontrolle an, oder Du holst Dir was zu Essen oder schlenderst durch die Duty-Free-Läden, und ein Knall ertönt und Du oder Deine Begleitung sterben. Einfach so. In Stücke gerissen.

Du warst einfach eine gewöhnliche Person, die versuchte, ihr Leben zu leben, und hattest nichts mit den Terroristen zu tun oder ihren Gründen, Dich töten zu wollen.

Es ist eine traurige Realität: die meisten von uns Musliminnen und Muslimen fragten sich sofort, ob die Täter Muslime waren, wir fürchteten die Antwort, die wir aber eigentlich schon kannten. Besonders, nach den ersten Berichten, das Arabisch zu hören gewesen war.

Wie immer tauchten in den sozialen Medien Statusberichte auf, in denen lamentiert wurde, wie schlecht dies den Islam aussehen liesse. Das war ihre Sorge. Nicht die Toten. Nur, dass dies den Islam schlecht aussehen liesse. Gefolgt vom Dementi: «Ach, die können keine Muslime gewesen sein. Muslime tun sowas nicht. Muslime töten nicht.»

So verdreht die Terroristen auch sind, so krankhaft ihre wörtliche und ungenaue Interpretation von allem auch ist: sie SIND Muslime. Baghdadi [der Anführer des Islamischen Staates] hat in Islamwissenschaften doktoriert, verdammt!

Anzunehmen, Muslime seien ausserstande, schlechtes zu tun, bedeutet, die Augen vor der Realität zu verschliessen. Sicherheitsexperten vermuten, dass ISIS hinter den Anschlägen stehe, als Rache für die Verhaftung Salah Abdeslams (der verantwortlich für die Planung der Pariser Attacken war).

Eine stattliche Zahl von ISIS-Anhängern feierte die tragischen Angriffe auf Twitter. Einige davon sind nicht ISIS-Aktivisten, sondern gewöhnliche Leute, die glauben, die Attentäter hätten richtig gehandelt. Einer schrieb:

«Der Staat wird Dich zwingen, Deine Wege tausendfach zu überdenken, bevor Du Dich traust, erneut Muslime zu töten. Wisse, dass Muslime nun einen Staat haben, der sie verteidigt.»

Ein anderer twitterte:

«Die Gruppe hat zigfach mitgeteilt, dass sie keine Gnade kennt bei der Verfolgung derjenigen, welche die USA unterstützen, und die die Gruppe bekämpfen».

Wirklich? Was ist mit der Türkei?

Wieso gingen Terroristen dorthin, um sich in die Luft zu sprengen?

Was ist mit Nigeria?

Was haben die mit dem allem zu tun?

Und dann die Lieblingsausrede derjenigen Apologeten, die ISIS nicht offen zustimmen: «Ihr erntet, was Ihr sät.» Noch einmal: was hat Brüssel mit dem Angriff der USA auf Irak zu tun?

Angriffe werden auch in weiteren Europäischen Staaten erwartet. Wieso? Sind es nicht diejenigen, die muslimische Flüchtlinge aufnehmen? Die ihnen Unterschlupf, einen Ort zum Bleiben gewähren?

Es klingt viel mehr nach dem Beissen der Hand, die einen füttert.

Der erste Schritt ist zuzugeben, dass es Muslime sind. Du kannst dies bekämpfen, aber Du kannst die Wahrheit nicht verleugnen.

Der zweite Schritt ist aufzuhören, nach anderen zu suchen, denen man die Schuld zuschieben kann. «Ach, aber Ihr habt dies getan, und Eure Politik war so und so, und deshalb bombardieren sie Euch.»

Nein, das sind Ausreden.

Und lasst das mit den Gegenargumenten «Was ist mit Palästina?» Ja…, was ist damit? Es hat mit diesen Angriffen absolut nichts zu tun.

«Islamophobie, Islamophobie»-Sprechchöre gehören auch weg. Wenn Ihr mich fragt, sind sie nur billige Ablenkung. Und lasst Trump und seine Bigotterie ebenfalls aussen vor. Wir beschuldigen ihn ständig, mit Klischees zu arbeiten und Muslime ausschaffen zu wollen. Aber was ist mit uns Pakistani? Welcher Prozentsatz von uns will ständig, dass die Afghanen Pakistan verlassen?

Seid ehrlich. Es ist eine verstörend grosse Zahl. Wir wollen in andere Länder reisen können und dort als Bürger akzeptiert werden, während wir diejenigen, auch nach 30 Jahren nicht als Mitbürger akzeptieren, die zu uns gekommen sind. Wir wollen sie einfach weg haben.

Auch wenn Leute wie Trump sich Stereotypen bedienen: wir müssen akzeptieren, dass wir Muslime selbst für die Ablehnung verantwortlich sind. Dies ist ein Problem für alle Muslime. Wir müssen handeln, statt eiöder und wieder Opfer zu spielen.

Wir müssen die Veränderung sein. Jeden Terrorangriff verurteilen. Nicht rechtfertigen. Oder Ausreden erfinden oder nach Löchern im Sand suchen, in die wir unsere Köpfe stecken können.

Wir können nicht in ein anderes Land gehen und uns für den Rest unseres Lebens wie Fremde benehmen. Wir müssen uns integrieren und, wenn wir wollen, dass andere denken, dass wir friedlich sind, uns auch so benehmen.

Die Verantwortung liegt bei uns. Bei niemandem anderen.

Originalbeitrag in Englischer Sprache