"Weshalb ich mich weiterhin (auch) als Freidenker bezeichnen werde" - Von Valentin Abgottspon

«Freidenker» beziehungsweise «Freidenkerin» ist meiner Meinung und Erfahrung nach ein ausreichend weit gefasster Sammelbegriff, welcher die Weltanschauung unserer Mitglieder gut umschreibt.
Im Privaten, aber auch bei Auftritten im Namen der FVS verstecke ich meinen Unglauben niemals. Wo es der Platz und das Forum zulässt, bezeichne ich mich oft als «Freidenker, Atheist, Humanist, Rationalist ...». Ich bin daneben auch noch Laizist und Skeptiker. Mindestens. Es gibt aber einige Freidenkerinnen und Freidenker, die für sich selber den Begriff Atheist tatsächlich ablehnen oder meiden. Ich bin der Meinung, dass es nicht lohnt, allzu viel Energie in Diskussionen um Labels zu stecken. Lassen wir am besten unsere Aktionen, Texte, Begegnungen, Anlässe usw. dafür sprechen, was wir sind und können, was wir zu unserer Gesellschaft beitragen.
Davids Argument, dass fast alle korrekt verstehen, was ein Atheist ist, bei den Begriffen Humanist, Agnostiker, Freidenker, Skeptiker ... hingegen häufig falsche Vorstellungen herrschen, kann ich nicht ganz teilen. Tatsächlich definieren nämlich viele Menschen «Atheist» so: ein Mensch, der denkt, er habe BEWIESEN, dass es keinen Gott gibt. Korrekt wäre: Eine Atheistin ist eine Person, welche nicht an Gott GLAUBT. Auch hier besteht also ein Potenzial für Missverständnisse.
Was die Freidenker-Vereinigung der Schweiz angeht: Ich bin der Überzeugung, dass wir bei einem Namenswechsel zu «Atheis-ten-Verband der Schweiz» nicht viel zu gewinnen, aber einiges zu verlieren hätten. Der Begriff «Freidenker» ist spätestens seit der Buskampagne im Jahr 2009 vielen Schweizerinnen und Schweizern ein Begriff. Auch sind Exponentinnen und Exponenten der FVS im Fernsehen, Radio und in der Zeitung stets unter diesem Etikett aufgetreten.
Die Situation in der Schweiz ist zudem von derjenigen in den USA verschieden. Die USA sind ein grösserer Markt, auch für Interessenvereinigungen oder Vereine. Die American Atheists sind sich nicht zu schade, Klartext zu reden, sich auch mal antitheistisch und anstössig zu verhalten. Die Freedom From Religion Foundation hingegen fokussiert stärker auf den Weg über die Gerichte. Die American Humanist Association dagegen legt mehr Gewicht auf positive Werte, ethische Modelle für Atheisten, Freidenker und rationale Altruisten. Das National Center for Science Education fokussiert stärker auf Wissenschaft. Es gibt auch noch die Atheist Alliance of America, die Secular Coalition for America usw. Eine Diversifizierung wie in den USA scheint mir in der säkularen Bewegung der Schweiz schlicht nicht möglich.
Falls sich die FVS denn nun tatsächlich umorientieren und umbenennen würde: Sollte aus unserer Vereinigung eher der «Atheisten-Verband Schweiz» werden oder der «Schweizerische Humanistenbund»?
Ich denke, wir dürfen in etwa so weitermachen wie bis anhin: möglichst viele Felder möglichst gut beackern. Ein starkes Standbein in der Religions- und Kirchenkritik (z. B. letzthin bei der Huonder-Plakat-Kampagne), Einsatz für die Trennung von Kirche und Staat (bei Vernehmlassungen, Initiativen, Abstimmungen, Volksschule), Beförderung einer humanistisch-weltlichen Ethik (Podiumsdiskussionen, Medienarbeit), wissenschaftliches Denken und Neugierde bei Jugendlichen und Kindern (Camp Quest) sowie Erwachsenen (Denkfest) wecken und fördern. Und einiges mehr.
Wer sich in der Schweiz als Freidenker bezeichnet, ist nicht einfach nur zu feige oder zu bequem, sich als Atheist zu outen. Er oder sie ist einfach: Freidenker!
Valentin Abgottspon hat für das Portal news.ch am 8. Oktober 2015 eine Kolumne mit dem Titel «Aber wir sind doch allesamt Freidenker ...!» geschrieben, in welcher weitere Gedanken zu den Begriffen nachzulesen sind. http://www.news.ch/Aber+wir+sind+doch+allesamt+Freidenker/675924/detail.htm