In memoriam Karlheinz Deschner 1924-2014
Der mitfühlende Blick des Karlheinz Deschner
1998 war Karlheinz Deschner zu Gast in Winterthur, wo im Rahmen der Litera’thur Wochen sein Werk neben jenem anderer radikaler SchriftstellerInnen wie Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek präsentiert und debattiert wurde.
Deschner las aus seinem Buch «Die Nacht steht um mein Haus». Sorgfältig gewählte, eindringliche Worte eines Dreissigjährigen über schonungslos Beobachtetes und Gefühltes – Autobiografie und Zeitkritik, vorgetragen mit eher leiser Stimme. Anderntags dann die Schweizer Premiere von Ricarda Hinz’s Film «Die hasserfüllten Augen des Karlheinz Deschner» im Kino Loge. Beeindruckend zu sehen, wie blind gewisse KirchenvertreterInnen sind, wie entlarvend ihre Aussagen, wie wenig sie in Deschners Augen lesen können, von seiner Abscheu vor den gesammelten Gräueln und seinem Mitgefühl für die Opfer von 2000 Jahren christlichem Kirchentum. Die Vertreter der christlichen Nächstenliebe verstehen sich sehr schlecht darauf, Empathie für die Opfer der Verfehlungen ihrer eigenen Institution zu empfinden.
Ich fragte mich in jenen Tagen, woher ein so feinfühliger Mensch wie Karlheinz Deschner die Kraft nimmt, sich über einen bedeutenden Teil seines Lebens mit den Abgründen der christlichen Geschichte zu befassen.
Im filmischen Porträt «Ketzerverbrennung» begründet er sein Engagement damit, «dass ich das Unrecht nicht leiden kann». Er sei sich auch bewusst, dass sein Werk kaum eine Wirkung haben würde, wie alles, was wir tun, durch den Lauf der Zeit relativiert werde. Aber er habe getan, was er tun musste, um nicht vor sich selber ausspucken zu müssen. In diesem Sinne bedauert Karlheinz Deschner allenfalls, sich nicht vorrangig für die Rechte der Tiere eingesetzt zu haben, eine noch not- wendigere Sache, für ihn heute die notwendigste: «Wer die Kirche verlässt: ein Lichtblick für mich; wer kein Tier mehr isst: mein Bruder.»
Die Freidenkerbewegung ist Karlheinz Deschner zu grossem Respekt und Dank verpflichtet, für sein Werk als Dokumentalist unangenehmer Wahrheiten über das Christentum, aber auch als selbstkritischer Beobachter seiner selbst und seiner und unserer Zeit. Reta Caspar in FD 2/2013