Fragwürdige Walliserpraxis: Die ordentliche Reduktion

Defizitgarantie und Rückforderungsgesuch

Im Wallis bezahlt jeder Steuerzahler, der auf kommunaler Ebene Einkommens- und/oder Vermögenssteuer bezahlt automatisch auch Kirchensteuern für die angeschlossene(n) Pfarrei(en), also auch Konfessionsfreie und Andersgläubige. Genauer gesagt partizipiert er an der Finanzierung des Kirchendefizits, zu dessen Deckung die Gemeinde per Gesetz (GVKS) verpflichtet ist. Da viele Pfarreien im Wallis über fast keine Einkommensquellen verfügen, entspricht das Defizit in vielen Fällen nahezu den Gesamtausgaben der Pfarrei. Obwohl die Defizite also von der Allgemeinheit getragen werden, stellen die Kirchen Nichtmitgliedern und sogar Mitgliedern gewisse Dienste weiterhin in Rechnung.

Nichtmitglieder sind berechtigt jährlich ein Rückforderungsgesuch an die Gemeinde zu stellen, um einen Teil ihrer Kirchensteuern zurückzufordern. Diesen Rückforderungsbetrag nennt das GVKS “ordentliche Reduktion”. Diese Möglichkeit wurde offensichtlich zur Scheinwahrung der Religionsfreiheit eingeführt, denn auch dieses sehr versteckte Instrument, welches von vielen Gemeinden aufgrund von Nichtwissen oder gezielter Desinformation unter Verschluss gehalten oder sogar geleugnet wird (man will ja nicht, dass diese Möglichkeit allzu bekannt wird), vermag die Art der Walliser Kirchenbesteuerung nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen.

Falsche Berechnung des Rückerstattungsbetrages (ordentliche Reduktion)

Die Verrechnung des Kultusaufwandes mit dem Totalaufwand der laufenden Gemeinderechnung (ordentliche Reduktion, Art. 13, Abs. 2, GVKS), wie sie gemäss dem Dokument „Besoldung des Pfarreiklerus“ des kantonalen Departements für Finanzen, Institutionen und Gesundheit den Gemeindeverwaltungen vorgegeben wird (also die Formel zur Berechnung der ordentlichen Reduktion), ist unzulässig und verstösst gegen die im GVKS zugesicherte Religionsfreiheit (Art. 2, Abs. 1, GVKS), sprich sie ist ein Verstoss wider das GVKS selbst sowie gegen die Schweizerische Bundesverfassung (Art. 15, Abs. 4, BV).

Die heutige Vorgabe zu Errechnung der ordentlichen Reduktion:

„Der Gesamtbetrag der von der Gemeinde getragenen Kultusausgaben wird geteilt durch die Gesamtausgaben der Gemeinde (Totalausgaben der Laufenden Rechnung). Der auf diese Weise erhaltene Quotient multipliziert mit dem vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuerbetrag (ohne die kommunalen Gebühren) ergibt den Betrag der Reduktion.“

Wenn alle Steuerzahler einer Gemeinde aus der Kirche austreten und ihren Anteil per Gesuch zurückverlangen, erhält die Bevölkerung nach dieser Verrechnungsart nicht den Gesamtbetrag des Kultusaufwandes zurück, sondern nur einen bestimmten Anteil; es würden immer noch Gelder an die Pfarrei fliessen (siehe unten). Jeder würde also trotz Nichtzugehörigkeit weiterhin Kultussteuern bezahlen, was einen eindeutigen Verstoss gegen die Religionsfreiheit darstellt. In der heutigen Realität, in der keine grosse Anzahl an Rückforderungsgesuchen eingereicht wird, bedeutet diese Praxis natürlich nicht minder einen Verstoss. Die folgenden Berechnungsbeispiele zeigen, dass den Rückfordernden zu wenig ausbezahlt wird, dass also ihre Religionsfreiheit verletzt wird, weil Teile ihrer Steuern weiterhin an die Pfarreien fliessen.

Es gibt keinen Nachweis, dass der unterschlagene Betrag nicht Teil des zu eigentlichen Kultuszwecken aufgewendeten Betrages ist und deshalb möglicherweise der Allgemeinheit in Rechnung gestellt werden dürfte. Solange also keine Trennung von eigentlichen Kultuszwecken und bürgerlichen Zwecken stattfindet und solange diese Posten nicht sauber bescheinigt werden, darf diese Handhabung nicht fortgeführt werden (Verletzung der Religionsfreiheit). Ansonsten kann nicht nachvollzogen werden, ob der unterschlagene Betrag den bürgerlichen Zwecken entspricht, ob er also unter Umständen gerechtfertigt sein könnte. Siehe dazu BGE 107 Ia 126:

“Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, wenn eine Ausscheidung der Kosten für kirchliche [Anm.: eigentliche Kultuszwecke] und nicht-kirchliche Aufgaben [Anm.: bürgerliche Zwecke] nicht möglich sei, könne er nicht wissen, ob seine Steuern nicht doch für eigentliche Kultuszwecke verwendet würden. Sollten seine Steuergelder Institutionen sozialen Charakters wie der Evangelischen Mittelschule Schiers zukommen, so würden sie direkt den evangelisch-landeskirchlichen Zwecken dienen, zu deren Unterstützung er nach Art. 49 Abs. 6 BV nicht verpflichtet werden könne. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus folgenden Erwägungen gut [...].” (http://www.scribd.com/doc/124063620/Be-Rechnung)

Sind Kirchen sozialdienlich?

Die Beiträge für bürgerliche Zwecke müssen separat ausgewiesen und in Rechnung gestellt werden. Vor allem aber muss schlüssig begründet werden, welche Posten weshalb als der Allgemeinheit zugutekommend angesehen werden (Rechtfertigung). Ein wichtiges Kriterium ist hierbei, dass die betreffenden Leistungen absolut konfessionsunabhängig sind, also die Sicherstellung, dass diese auch beispielsweise konfessionsfreien Personen uneingeschränkt zur Verfügung stehen (keine Unterschiede) und einen klaren Nutzen für alle darstellen (Gesamtgesellschaft).

Eigentlich müssten diese Leistungen einen direkten Nutzen für die Gesamtgesellschaft bedeuten, der bereits ohne direkte aktive Nutzung allen gleichermassen zugutekommt (was sehr unwahrscheinlich anmutet). In jedem anderen Fall hat nur der Staat das Recht, auf diese Weise Gelder für Leistungen zu beanspruchen, die nicht von allen oder nicht von allen in gleicher Weise genutzt werden (zum Beispiel Strassen). Die Kirche ihrerseits pocht – weil sie ihre Eigenständigkeit behalten und ganz besonders hervorheben will – trotz staatlichem Steuerbezugsrecht und anderen in den Staat eingreifenden Sonderprivilegien, darauf, keine staatliche Einrichtung zu sein. In den Worten der RKZ (Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz): „Die öffentlich-rechtlich anerkannten kirchlichen Körperschaften sind aber weder staatliche Einrichtungen noch staatliche Organe, sondern historisch gewachsene gesellschaftliche Institutionen.“

Es fragt sich also, weshalb diese Leistungen nicht einfach bei Inanspruchnahme direkt durch den Nutzer bezahlt werden, so wie das allgemeinüblich ist. Weshalb sollten den Kirchen hier Sonderrechte zustehen? Der konkrete soziale Nutzen der Kirchen (nicht der subjektiv wahrgenommene Nutzen oder eine nichtssagende Anzahl Arbeitsstunden wie dies eine NPF-Studie gemessen hat) oder ob diese gewisse soziale Aufgaben besser erbringen können als der Staat oder private Anbieter, ist schliesslich noch nie untersucht worden und deshalb nicht bewiesen. Auch nicht inwiefern Nichtmitglieder diese Dienste in Anspruch nehmen.

Die Beweislast liegt bei denen, welche derartige Privilegien einfordern (Kirchen) und bei denen, die sie vergeben (Staat). Die Nationalfonds-Studie hat gezeigt, dass lediglich „ein Viertel bis ein Drittel der Arbeitsleistung“ für (angeblich) soziale Zwecke aufgewendet wird. Der Rest ist Verwaltung und Verkündigung. Das Steuerbezugsrecht ist eine Diskriminierung von privaten Anbietern sozialer Dienstleistungen, deren Nutzen gewährleistet sein muss, weil sie sich im freien Markt nicht bewähren, wenn sie der Nachfrage und den Kundenwünschen nicht nachkommen.

Auch die Voraussetzungen für weitere Rechtfertigungsgründe, welche die Kirchen gerne anführen (siehe oben Link RKZ), sind nicht erfüllt. Dass etwa keine genügende Transparenz der Finanzströme existiert, bestätigt selbst die RKZ. Die Pfarrer-Initiative oder Forderungen der „Kirche von unten“ zeigen, dass die katholische Kirche keine demokratischen Standards erfüllt (Wahlen) und eine weitere NPF-Studie lehrt uns, dass auch kein öffentliches Interesse zur Legitimation von Privilegien herangezogen werden kann: Die Mehrheit der Bevölkerung zählt sich zu den sogenannten Distanzierten.