NEK: Demenz kein Hindernis für eine gültige Patientenverfügung

Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK-CNE) veröffentlicht heute ihre Stellungnahme Nr. 17/2011 mit dem Titel „Patientenverfügung. Ethische Erwägungen zum neuen Erwachsenenschutzrecht unter besonderer Berücksichtung der Demenz“. Die Patientenverfügung bietet die Möglichkeit, das aus ethischer Sicht zentrale Recht auf autonome Entscheidungen in medizinischen Belangen in eine Situation hinein zu verlängern, in der eine Person urteilsunfähig geworden ist. Die NEK-CNE begrüsst diese Möglichkeit, insbesondere auch für Menschen mit Demenz. Mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht (Art. 360-455 des revidierten Zivilgesetzbuches), welches am 1. Januar 2013 in Kraft treten wird, erhält die Patientenverfügung in der Schweiz erstmals eine national einheitliche Rechtsgrundlage. Dabei wird der Patientenverfügung grundsätzlich eine sehr hohe Verbindlichkeit zugesprochen, was die NEK-CNE unterstützt. Die Kommission teilt die Grundauffassung des neuen Erwachsenenschutzrechts, wonach – auch bei dementieller Erkrankung – von einer „Kontinuität der Person“ auszugehen ist. Daher darf die Gültigkeit einer Patientenverfügung bei Menschen mit Demenz nicht mit dem Verweis in Zweifel gezogen werden, die Person, welche die Verfügung verfasst habe, sei mit jener Person, die von den Anordnungen der Verfügung betroffen ist, nicht identisch. Kritisch beurteilt die NEK-CNE jedoch die im neuen Erwachsenenschutzrecht vorgeschlagenen Widerrufs- und Korrekturmöglichkeiten einer Patientenverfügung: Mündliche Aussagen sollen ihrer Meinung nach eine Patientenverfügung nur unter bestimmten Voraussetzungen korrigieren dürfen, wenn sie deutlich genug den tatsächlichen Willen einer Person ausdrücken. Dies festzuhalten ist für die Kommission deshalb wichtig, weil sie im neuen Erwachsenenschutzrecht Anreize vorliegen sieht, den sogenannten mutmasslichen Willen der betroffenen Person vorschnell als Korrektiv zur Patientenverfügung anzuwenden. Aus diesem Grund betont die NEK-CNE in ihrer Stellungnahme die Sorgfaltskriterien, die bei der Ermittlung des mutmasslichen Willens insbesondere einer Person mit Demenz zu beachten sind. Darüber hinaus sind nach Ansicht der NEK-CNE Einschränkungen des Gültigkeitsbereichs von Patientenverfügungen ethisch begründungsbedürftig. Dies gilt beispielsweise im Bereich der Pflege und Schmerzbekämpfung sowie im Rahmen der „fürsorgerischen Unterbringung“ (heute „fürsorgerische Freiheitsentziehung“: FFE). Für Situationen, in denen keine Patientenverfügung vorliegt, sieht das neue Erwachsenenschutzrecht ein partizipatorisches Entscheidungsmodell zwischen Ärzteschaft und Vertretern des Patienten vor. Die Kommission begrüsst diesen Ansatz, der verglichen mit der aktuellen Situation auf einen Paradigmenwechsel hinausläuft. Sie unterstreicht aber, dass dem mutmasslichen Willen einer Person gegenüber den künftig ebenfalls zu beachtenden „objektiven Interessen“, welche allein aus medizinischer Sicht definiert werden, der klare Vorrang einzuräumen ist. Die Kommission befürchtet, die Orientierung an objektiven Interessen könnte einem Rückschritt vom Freiheitsprinzip zum paternalistischen Fürsorgemodell Vorschub leisten. Dies stünde in klarem Widerspruch zur uneingeschränkt begrüssenswerten Absicht des Gesetzgebers, mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht das Recht von Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung zu stärken.

http://www.nel-cne.ch

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