Wie das Fach Religion und Kultur zu retten wäre

Die Situation wirkt paradox: Es gibt kaum einen Bildungsbeschluss des Zürcher Kantonsrates, der politisch so breit getragen abgestützt war wie derjenige, das Schulfach «Religion und Kultur» einzuführen. Und dennoch gibt es kein anderes Fach, bei dem sich ein derartiger Totalabsturz abzeichnet. Den Impuls zum Fach gab vor gut fünf Jahren die damalige Kantonsrätin Andrea Widmer-Graf, die in einem Postulat forderte: Im Fach «Religion und Kultur» sollen Fragen nach ethischem Handeln und nach Werthaltungen zur Sprache kommen. [...]. Es trägt zu einem besseren Verständnis von unterschiedlichen Kulturen und Religionen bei und fördert Solidarität, Rücksichtnahme und Toleranz.»

Der Vorschlag schien durchaus geeignet, die Basis für eine sinnvolle Ergänzung des bisherigen Lehrplans zu schaffen. Seither hat sich das Fach, inzwischen von der Bildungsdirektion flächendeckend aber ohne geeignete Lehrmittel eingeführt, nur zum Schlechteren entwickelt. Weltliche Inhalte fehlen. Und es gibt immer mehr Reklamationen über missionierende Lehrpersonen, über Spannungen unter den Schülern wegen des Fachs, über langweiligen Unterricht und nicht nachvollziehbare Notengebung.

Das Fach muss nicht Schiffbruch erleiden. Doch es braucht eine dringende Kurskorrektur. Zentral scheinen fünf Massnahmen:

1. Weltliche Sichtweisen müssen Eingang erhalten Kinder aus nichtreligiösen Haushalten müssen in dem Fach genau so abgeholt werden, wie jene, bei denen Religion allgegenwärtig ist. Mann muss aufzeigen, dass ohne eigene Religiosität aufzuwachsen normal ist und dass Religionslose gleichwertige Menschen mit einer ebenbürtigen Ethik sind. Wenn nur Religionslose von den und über die anderen lernen müssen, verkommt das Fach zu blossem Religionsunterricht – und diesem unter Zwang ausgesetzt zu sein verbietet die Bundesverfassung.

2. Die zu vermittelnden Kompetenzen müssen klar definiert werden Bislang hat man verpasst zu definieren, welche Kompetenzen mit diesem Fach gefördert werden sollen. Dies ist mit ein Grund, wieso zu viele Lehrpersonen sich damit behelfen, Faktenwissen anzuhäufen. Dies ist zwar für die Prüfungsgestaltung bequem, aber mit ein Grund, weshalb das Fach so unbeliebt ist.

3. Es soll real gelebte Religiosität aufgezeigt werden, kein Bilderbuchglaube Unterrichtsmaterialien sind in Vorbereitung, doch auch in diesen sollen nach den bisherigen Plänen weltliche Inhalte aussen vor bleiben. Da wird etwa mit einer Fotostory im Sihlcity, bei dem Jugendliche nach dem Einkaufen die im Komplex untergebrachte Kirche besuchen, suggeriert, dass Religion allgegenwärtig ist. Auch Kultur soll ausschliesslich in religiösem Gewand gezeigt werden. Beides entspricht aber nicht der Realität – schlägt man den Züritipp auf, muss man religiöse Kultur suchen. Das Fach hat aber die Realität zu widerspiegeln.

4. Lehrpersonen brauchen klare Vorgaben Die erste Bilanz einer noch laufenden Evaluation lässt aufschrecken: Die Hälfte der Lehrpersonen betreibt teilweise Bekenntnisunterricht, Lehrpersonen, die früher biblischen Unterricht erteilt hatten, haben die grundlegende Neuausrichtung des Fachs nicht verstanden. Es geben viel mehr Schüler an, das Fach gefalle ihnen nicht, als zum Beispiel in den Fächern Mathematik, Geschichte oder Deutsch. Es wäre aber billig, den Lehrpersonen gänzlich die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie haben Anrecht auf verbindliche Vorgaben.

5. Das Fach braucht dringend eine Intervention durch die Bildungsdirektion Trotz der besorgniserregenden Resultate der Evaluation will der zuständige Bildungsrat Jürgen Oelkers frühestens im September über allfällige Massnahmen diskutieren. Das ist verantwortungslos. Im August beginnt ein neues Schuljahr, in dem eine neue Generation Lehrpersonen dieses Fach erstmalig unterrichten wird. Sie, Schüler und Eltern haben Anrecht auf eine Besserung der Ausgangslage. Und zwar schnell. Jürgen Oelkers will auch, dass der Kanton Zürich sich nicht dem künftigen überkantonalen Lehrplan 21 unterwirft, weil dieser Ethikunterricht vorsieht. Er stellt eigene Befindlichkeiten über die Interessen des Kantons. Es braucht eine dringende Intervention der Bildungsdirektorin. Sie muss hier Führungsstärke zeigen und dafür besorgt sein, dass Bildungsrat und Bildungsdirektion vom Kurs auf den Eisberg abkommen.

Andreas Kyriacou, Präsident der Zürcher Freidenker

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