Triengener Kruzifixe nur vorerst abgehängt?

Tages-Anzeiger:

Ein Kruzifixverbot in  Schulzimmern hat in Luzern dreifaltigen Streit um  das Kreuz, westliche Werte und Ausländer ausgelöst.

Seit «ein deutscher Staatsangehöriger» in Triengen LU verlangte, dass die Kruzifixe in den Schulzimmern seiner Kinder abgehängt werden, herrscht im Luzerner Hinterland helle Aufregung. Der Streit ums Kruzifix, welches das Bundesgericht 1990 in Cadro im Tessin als religiös nicht neutral erachtete und (falls sich jemand beschwert) in Schulzimmern verbot, ist wegen des deutschen Klägers schnell zur Debatte um Ausländer mutiert, die sich «nicht anpassen».

Und er wird wohl noch weitere Kreise ziehen, denn bei dem Deutschen handelt es sich um «Pastor Da- vid Jan Schlesinger». Der 41-Jährige ist Mitglied der Zentralschweizer Freidenker und Gründer der Heiligen Pilzkirche Schweiz. Diese versteht sich als Gemeinschaft der Freunde bewusstseinserweiternder Pilze in der spirituellen Tradition von Druiden. Wegen des Verdachts auf Handel mit Magic Mushrooms sass Schlesinger vor vier Jahren in Bern mehr als 400 Tage in Untersuchungshaft, ohne angeklagt worden zu sein. In Triengen, wo er seinen Kindern das Kruzifix – laut Schlesinger den «angenagelten Lattengustl» –  ersparen wollte, gilt er als  Behördenschreck. Er stellte Schulpflege und Gemeinderat vor eine schwere Prüfung. Der Schulleiter antwortete Schlesinger zuerst, es sei ihm sicher nicht entgangen, dass er sich in einer Gemeinde des christlichen Abendlandes niedergelassen habe. Als Symbol dieser Kultur werde das Kruzifix bleiben, wo es sei, bis die Schulpflege oder die Luzerner Justiz befehle, es herunterzunehmen. Schulpflege und Gemeinderat stärkten ihm den Rücken – laut Schlesinger «zur Einschüchterung» mit einer Kopie ans Migrationsamt, was Gemeindepräsident Martin Ulrich weder bestätigen noch dementieren will. Schliesslich gab die Schulpflege aber nach und hängte das Kruzifix ab. Jetzt hat sich aber die Politik eingemischt, allen voran die CVP Luzern. Sie ärgert sich, «dass wegen der Haltung eines einzigen Elternteils wieder eine Diskussion über Kruzifixe in Schulzimmern losgetreten wird. Es kann nicht sein, dass wir aufgrund vereinzelter Fanatiker unsere eigene Kultur verleugnen müssen.» Wie es weitergeht, ist offen. Triengen will seine Haltung am Donnerstag in der Dorfzeitung bekannt machen. Laut gut informierten Quellen ist nicht auszuschliessen, dass der Gemeinderat einen neuen Pilotprozess anstrebt: Das Bundesgericht müsste klären, ob das Kruzifixverbot auch ein Kreuzverbot ist.

Für die Schweizer Freidenker-Geschäftsführerin Reta Caspar ist der Fall Tiengen ein weiterer Beleg für den «katholischen Filz», der Andersdenkende einschüchtere.

TA 19.10.2010

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