Kruzifix nochmal

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss entscheiden, ob christliche Kreuze in Schulen angebracht werden dürfen

Wie nicht nur die Auseinandersetzungen um christliche Symbole in Schulen und Gerichten zeigen, hat die Religion ihre Rolle in der säkularen Gesellschaft immer noch nicht ganz gefunden. Mit Luthers Platzanweisung "Das Reich Gottes ist inwendig in euch" hadern nach wie vor viele Christen, sie wollen es auch draußen erblicken und ringen deshalb um seine Präsenz im öffentlichen Raum.

"Begonnen hat alles mit meiner Überzeugung, dass die Erziehung meiner Kinder in einer öffentlichen Schule neutral erfolgen soll", [extern] sagt der Italiener Massimo Albertin über den Ursprung der juristischen Auseinandersetzung um Kruzifixe in Klassenzimmern. Ein Ende findet der Rechtsstreit nun zehn Jahre später, wenn der [extern] Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Klage seiner Frau letztinstanzlich behandelt und ein abschließendes Urteil im Fall "Lautsi vs. Italien" fällt.

Der Richterspruch könnte auch anderswo Gehör finden, denn in nicht wenigen Ländern gibt es Auseinandersetzungen um das christliche Symbol. In Polen hat ein zum Gedenken an den Präsidenten Lech Kaczynski vor dem Präsidentenpalast aufgestelltes Holzkreuz die Gemüter erhitzt. In Düsseldorf geriet ein Gericht auf die Anklagebank, weil es nach einem Standort-Wechsel die Kruzifixe nicht wieder aus den Umzugkisten holen und aufhängen wollte. Im nordrhein-westfälischen Landtag entfachte der Grüne Hans Christian Markert einen Streit um ein Kruzifix, das an der Wand eines Sitzungssaales prangt. Und in Niedersachsen schaffte das die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan mit ihrem Vorstoß zur Entfernung von Kreuzen aus öffentlichen Schulen, der nicht zuletzt ein integrationspolitischer war und sich im Einklang mit dem [extern] erstinstanzlichen Urteil in der Sache "Lautsi vs. Italien" befand.

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Böckenfördes Aussage zum säkularisierten Staat

In diesem Zusammenhang fehlt so gut wie nie der Verweis auf einen [extern] Satz des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde. "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann", hatte er 1964 erstmals formuliert und später dann in "Staat, Gesellschaft, Freiheit" ausgeführt. Böckenförde beabsichtigte damit, auf das Dilemma aufmerksam zu machen, dass der freiheitliche Staat für seinen Bestand schon auf freiheitliche Bürger mit bestimmten Moralvorstellungen angewiesen ist. Ansonsten müsste das Gemeinwesen die Freiheit nämlich notfalls autoritär per Zwangshandlung durchsetzen und sie auf diese Weise tendenziell aufheben.

Ein Exklusivrecht zur Absicherung der moralischen Grundversorgung sprach der Jurist den Kirchen jedoch nicht zu. "Das lesen vielleicht manche Kirchenvertreter hinein, aber so war das nicht gemeint. Auch weltanschauliche, politische oder soziale Bewegungen können den Gemeinsinn der Bevölkerung und die Bereitschaft fördern, nicht stets rücksichtslos nur auf den eigenen Vorteil zu schauen", sagte Böckenförde in einem [extern] Taz-Interview. Er habe mit seinem Vorstoß zu einer Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als die Katholiken sich noch nicht auf eine friedliche Koexistenz mit dem Liberalismus verständigt hatten, lediglich Integrationsarbeit leisten und die Kirche stärker an den Staat binden wollen, erläuterte der Staatsrechtler, und das "unter anderem mit dem Argument, dass der Staat auf ihre ethische Prägekraft angewiesen ist".

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