NFP 58: Unterricht zum Thema Religion an der öffentlichen Sekundarschule

Situation in den Kantonen

Kanton AG

Das Unterrichtsfach „Ethik und Religionen“ wird an der Sekundarstufe I seit dem Schuljahr 2005/06 unterrichtet (in den ersten beiden Jahren jeweils 1 Wochenstunde, im 3. und 4. Jahr als Wahlfach). Es wird in staatlicher Verantwortung und in den ersten beiden Jahren als obligatorischer Unterricht ohne Abmeldemöglichkeit durchgeführt. Für die Ausbildung sind eigene Module an der Pädagogischen Hochschule vorgesehen. Die katholische und die reformierte Kirche waren bei der Umgestaltung durch Schlüsselpersonen der katechetischen Ausbildung beteiligt, die heute an der Pädagogischen Hochschule tätig sind und nicht mehr im Namen der Kirchen handeln. Anerkannte Religionsgemeinschaften haben die Möglichkeit, Schulräume für ihren Unterricht zu benutzen.

Kanton FR

Im Zusammenhang mit einer Reform des Stundenplans wurde 2005 auf der Sekundarstufe I das Fach „éthique et cultures religieuses“ eingeführt, das unter staatlicher Verantwortung steht. Es ist im letzten Schuljahr obligatorisch (dafür gibt es eigene Unterrichtsmaterialien), zuvor besteht die Möglichkeit der Wahl zwischen dem kirchlichen und dem staatlichen Unterricht. Der erste offizielle Anstoss zu einem staatlich verantworteten Unterricht reicht in das Jahr 1993 zurück als der Bildungsrat des Kantons eine entsprechende Empfehlung an die Erziehungsdirektion richtete. Die Kirchen waren zunächst an der Planung dieses Faches beteiligt, haben sich dann aber zurückgezogen. Das Schulgesetz gibt den anerkannten Kirchen das Recht, innerhalb der Stundentafel einen Religionsunterricht zu erteilen. Nach lebhaften Debatten wurde dies auch in der neuen Kantonsverfassung von 2004 festgeschrieben.

Kanton NE

Die Einführung eines Moduls „Enseignement des cultures religieuses et humanistes“ (ECRH) innerhalb der Fächer „Histoire“ und „Education citoyenne“ auf Sekundarstufe I im Schuljahr 2003/04 geht auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 1996 zurück. Für die didaktische Begleitung und Unterstützung wurde eine Kommission gegründet, die Vertreter der Kirchen, einiger ausgewählter Religionsgemeinschaften und später der „Humanisten“ enthielt. Unter ihrer Leitung wurde ein Lehrmittel für das erste Unterrichtsjahr entwickelt. Im Jahr 2006 wurde jedoch ein neues Lehrbuch für Geschichte eingeführt. Die Kommission beendete ihre Arbeit und das Lehrmittel für ECRH wurde nicht weiter verwendet. ECRH bleibt dennoch weiterhin im Programm der Geschichte integriert und einige Unterrichtsmaterialien sind für Lehrpersonen auf einer Internetplattform zugänglich. Anerkannte Kirchen haben ein Recht darauf, ausserhalb der Stundentafel Schulräume für ihren Unterricht zu nutzen.

Kanton TI

Der Religionsunterricht auf allen Klassenstufen wird in der Verantwortung der anerkannten Kirchen erteilt. Der Staat trägt jedoch die Verantwortung für die pädagogische Ausbildung der Lehrpersonen auf Sekundarstufe I und II. Die Reformvorschläge für einen staatlich verantworteten Religionsunterricht aus dem Jahr 2002 haben starken Widerstand der Katholischen Kirche hervorgerufen, die den Status quo verteidigt oder alternativ eine Wahl zwischen einem kirchlichen und einem staatlichen Unterricht befürwortet. Die in der zuständigen Kommission vertretenen Freidenker fordern hingegen die Abschaffung des Unterrichts. Im Sommer 2009 hat das Bildungsdepartement nach einer Vernehmlassung und im Einvernehmen mit den Kirchen den Willen zum Ausdruck gebracht, die Variante eines staatlichen Kurses und die Variante einer Wahlmöglichkeit im Modellversuch in einer reduzierten Anzahl Klassen testen zu lassen. Der Modellversuch beginnt ab September 2010. Das Programm wird von einer Kommission erarbeitet, der Vertreter der Kirchen, des Bildungsdepartements und weitere Experten angehören.

Kanton VD

In den ersten beiden Jahren der Sekundarstufe I (5-6) wird eine Wochenstunde „histoire biblique – cultures religieuses“ unterrichtet. In den folgenden Jahren (7-9) können auf Initiative der Lehrperson oder der Schuldirektion Projekttage mit dem Titel „culture chrétienne“ durchgeführt werden. Der Religionsunterricht steht unter der Verantwortung des Staates und wird gemäss den Empfehlungen und Materialien des Vereins ENBIRO („Enseignement Biblique et Interreligieux Romand“, bis 2002: „Engseignement Biblique Romand“) durchgeführt. Er ist in die Stundentafel integriert und es gibt die Möglichkeit, sich befreien zu lassen. Im Oktober 2009 wurde vom Präsidenten von ENBIRO und Abgeordneten der SP im Grossen Rat eine Motion eingebracht, in der die Abschaffung der Abmeldemöglichkeit vorgeschlagen wird. Die Kirchen haben keinen direkten Einfluss auf die Organisation des Religionsunterrichts, allerdings haben sie bei ENBIRO Stimmrecht und waren insofern an den der Erstellung der Lehrmaterialien beteiligt. Ausserdem haben die katholische und reformierte Kirche das Recht alle zwei Jahre eine Unterrichtsstunde zu erteilen, sie müssen sich dabei aber an den staatlichen Lehrplan halten. Dieses Visitationsrecht wurde im Parlament und in der Presse breit diskutiert (Interpellation Zwahlen, 1. Juli 2008).

Kanton ZH

Das Unterrichtsfach „Religion und Kultur“ wird seit dem Schuljahr 2007/08 an der Sekundarstufe I unterrichtet (in zwei Jahren insgesamt 3 Wochenstunden). Es wird in staatlicher Verantwortung als obligatorischer Unterricht ohne Abmeldemöglichkeit durchgeführt. Für die Ausbildung der Lehrpersonen wurde ein eigenes Studienprogramm an der Pädagogischen Hochschule Zürich geschaffen. Lehrpersonen, die bereits vor Einführung des neuen Faches Religion unterrichteten, werden nur nach einer zusätzlichen Weiterbildung übernommen. Die grossen christlichen Kirchen wurden bei der Planung des neuen Faches gleichberechtigt mit anderen Religionen in einer Begleitgruppe unter Leitung eines Pädagogen konsultiert. Die Religionsgemeinschaften waren jedoch nicht entscheidungsberechtigt. Religionsgemeinschaften haben das Recht, Schulräume für ihren Unterricht zu benutzen.

"Teaching about religion"

In allen Reformprozessen wurde ein Unterricht eingerichtet, der in der Verantwortung des Staates steht. Auch wenn die christlichen Kirchen in manchen Fällen Gesprächspartner der staatlichen Behörden bleiben, treten die staatlichen Erziehungsbehörden als Akteure wesentlich stärker in Erscheinung als noch vor 20 Jahren, indem sie die Entwicklung der Lehrpläne und Lehrmittel sowie die Ausbildung von Lehrpersonen übernehmen. Sofern der Unterricht hauptverantwortlich (Zürich) oder de facto (Aargau) von den Kirchen organisiert wurde, wurde dieser Einfluss abgeschafft, begrenzt bzw. durch den Modellversuch im Tessin in Frage gestellt. Es empfiehlt sich deshalb bei den neuen Formen des Unterrichts nicht von einem „Religionsunterricht“, sondern von einem „schulischen Unterricht zum Thema Religion in der Verantwortung des Staates“ zu sprechen.

Nur in einigen Kantonen treten Religionsgemeinschaften an der Schule selbst als Akteure auf, um ein eigenes Fach "Religionsunterricht" zu erteilen (Freiburg, Tessin). In anderen Kantonen sieht das Schulrecht vor, dass bestimmte (meist die anerkannten) Religionsgemeinschaften für ihren Unterricht Schulräume nutzen können.

Nichtreligiöse Akteure

Als neue Akteure treten zunehmend Organisationen nicht-religiöser Weltanschauungen (z.B. Freidenker) auf. Häufig erheben sie den Anspruch, die Laizität der Schule zu schützen (Tessin), indem sie jede Form eines religiösen Unterrichts (sei es mit juristischen Mitteln) bekämpfen. In einigen Lehrplänen werden auch philosophische oder humanistische Weltanschauungen behandelt (Neuenburg, vorgeschlagen: Waadt, gefordert: Zürich), die von diesen Gruppierungen vertreten werden.

Schlussbericht (606 KB)

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