Falscher Hase

Ostern liegt hinter uns. Während das breite Publikum mit der Matrix-Trilogie und Harry Potter, Exorzist und Apocalypse Now an die Bildschirme gelockt wurde, hievten TV-Sender in einem Anflug missionarischen Eifers Filme wie Ben Hur, Quo Vadis und Die Passion Christi ins Programm. Beim "Kleinen Bibel-Quiz" des NDR konnten Reisemeilen bis ins "heilige Land" gewonnen werden. Angesichts der geballten Frömmigkeit geht gerne vergessen, dass wir Jahr um Jahr Fruchtbarkeitsrituale aus grauer Vorzeit feiern. Die Schoko-Eier versteckt schliesslich der Hase, das Lieblingstier der Göttinnen Ostara und Aphrodite. Kirchenväter unterwanderten die heidnischen Frühjahrsbräuche und machten daraus das Auferstehungsfest Jesu. Manche vermissen bei dieser kulturgeschichtlichen Deutung die Dramatik des Überirdischen, finden den Gedanken unerträglich, dass der Mensch "nur" Mensch ist, eine Spezies unter Millionen: ein Zufallsprodukt, den Gesetzen der Natur unterworfen.

Die momentane Krise der römisch-katholischen Kirche zeigt, dass Systeme scheitern, wenn sie die Realität verleugnen. Auch diese Organisation basiert auf absoluten Ideen, die früher oder später zwangsläufig an den Tatsachen getestet werden. Was immer in ihrem Schoss geschieht muss nach geltendem Recht beurteilt und gegebenenfalls sanktioniert werden. In der jetzigen, allgemeinen Empörung und medialen Schelte an die Adresse der Würdenträger verkennen viele, dass das eigentliche Problem im Kern aller Religionen und Ideologien liegt: Im Anspruch, dass die eigene Gemeinschaft anders, besser, glaubwürdiger, sittlicher als der Rest der Welt sei. Ob in Talaren, Arztkitteln oder Paradeuniformen, unter Kleidern und Titeln sind wir alle gleich - nackte Affen, wie sie schon Desmond Morris in seinem Klassiker so treffend beschrieben hat.

Grazia Annen, Freidenker Zentralschweiz

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