Verletzt das Kruzifix Art. 135 StGB?

StGB Art. 1351 Gewaltdarstellungen

1 Wer Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände oder Vorführungen, die, ohne schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert zu haben, grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere eindringlich darstellen und dabei die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Es stellt sich die Frage, ob das Kruzifix nicht eine solche "grausame Gewalttätigkeit" darstellt.

Tierschutz-Aufnahmen

Als der schweizer Tierschutzaktivist Kessler 2004 nebenstehendes Bild zur Illustration tierquälerischer Fangmethoden der Pelzindustrie verwenden wollte, hat die Zürcher Stadtpolizei auf den Art. 135 StGB verwiesen zur Begründung der Einstufung als verbotene "Gewaltdarstellung".

Folterverbot

Der Regelfall der "grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen" ist sind Gewaltpornos und Killergames.

Auslegungen aus einem Urteil des Bezirksgerichtes Kt. ZH 2002:

Der kompliziert formulierte Tatbestand knüpft an die befürchtete Eignung von Gewaltdarstellungen an, Menschen zu verrohen und ihrerseits zu Gewalttätigkeiten gegen Mitmenschen zu verleiten (Botschaft vom 26 Juni 1985, BBI 1985 111009 ff., Spezialausgabe, S. 37). Es liegt ihm also der Gedanke zugrunde, dass sich die im Gesetz genannten Darstellungen und Vorführungen auf den Verbraucher korrumpierend auswirken, mithin geeignet sein könnten, beim Betrachter die Bereitschaft zu erhöhen, das Geschehen nachzuahmen (BGE 128 IV 28).

Im Vordergrund steht der Jugendschutz, bekämpft wird aber auch ein perverser Gewaltvoyeurismus, der offenbar suchtartige Formen annehmen kann (Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. A., Zürich 1997, N 2 f. zu Art. 135). Beabsichtigt ist zudem, die kommerzielle Ausbeutung niederer Instinkte, der Lust an fremder Qual, soweit wie möglich zu unterbinden, da die Gewaltdarstellungen bei der betrachtenden Person die Bereitschaft erhöhen könnten, selbst gewalttätig zu agieren oder doch die Gewalttätigkeit anderer gleichgültig hinzunehmen. Da weit gefasste Tatbestände im Interesse der Rechtssicherheit inhaltlich restriktiv auszulegen sind, ist die Anwendung von Art. 135 StGB auf die wirklich krassen und eindeutigen Fälle zu beschränken (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. A., Bern 1995, § 4 N 91 f.).

Der Begriff der Gewalttätigkeit ist als aktive und aggressive physische Einwirkung zu verstehen. Diese ist als grausam im Sinne des Gesetzes einzustufen, wenn es um die Zufügung von auf schwere körperlichen oder seelische Leiden ausgerichtete, brutale Einwirkungen auf den Körper von Menschen oder Tieren geht. Es muss sich um erhebliche Leiden handeln, wobei sich als Massstab der Begriff der Folter anbietet.

Eine eindringliche Darstellung ist sodann anzunehmen, sofern diese realistisch und suggestiv wirkt und daher- namentlich durch das Betonen von Details, Grossaufnahmen und Insistenz- ins Bewusstsein des Betrachters eindringt (Trechsel, a.a.O., N 4 bis 7, der insbesondere in N 4 den Film "Blutgeil" als krasses Beispiel für Gewalttätigkeiten anfügt; Strathenwerth, a.a.O., § 4 N 100 ff.).

Ende Zitat

Das Kruzifix und auch das Kreuz ohne corpus führen den Menschen in diesem Land täglich in vielfältiger Form eine Folter- und Tötungsmethode vor Augen, die zwar im christlichen Zusammenhang verurteilt, aber als doch zum Heil der Gläubigen notwendig bezeichnet wird.

Schutzwürdige Kultur?

Das Gesetz nimmt dagegen Darstellungen mit "schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert" vom Verbot aus.

Das Bundesgericht weist bis jetzt noch keinen Rechtsprechung zur Frage des schutzwürdigen kulturellen Wertes aus.

Im Falle des Kruzifix ist der "kulturelle Wert" einzig mit der religiösen Tradition begründet. Wenn Religion aber so stark geschützt wird, entsteht ein Schutzraum, in dem Dinge toleriert oder gar verherrlicht werden, die dem aktuellen Rechtsempfinden zuwiderlaufen.

Religion ist ein kritikbedürftiger Teil der kulturellen Tradition, sowie die Todesstrafe einer ist. Wir stellen Galgen und andere Tötungsgeräte heutzutage dort aus, wo sie hingehören - ins Museum.

Für die Empathiefähigkeit der Kinder kann eine Religion, die ihrerseits auf einem Menschenopfer basiert (in der Theologie wohl umstritten, aber das berührt das Auge des Kindes nicht) und in der katholischen Form die Vergegenständlichung dieses Blutopfers heute noch feiert, unseres Erachtens genauso Schaden anrichten. Sowenig es "gerechte" "heilige" Kriege geben kann, sowenig sollen martialische Traditionen Vorrang haben.

Schutzwürdiger Galgen?

Zu den Tötungsarten gehört auch der Galgen. Dazu zirkuliert seit einigen Jahren ein eindrückliches Comic, welches die Absurdität des Kruzifixes vor Augen führen soll.

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