Lehrmittel "Naturwert" - ein Skandal

Das Lehrmittel «NaturWert» war im November 2007 von der FVS und von Fachpersonen aus dem Gebiet der Naturwissenschaften heftig kritisiert worden. Der Schulverlag und die Berner Erziehungsdirektion kündigten daraufhin eine seriöse Überarbeitung an.

Diese ist im Juni 2008 erschienen.

Die Fachleute der berner Arbeitsgruppe „Bildung und Aufklärung“ haben darin schwerwiegende formale und inhaltliche Mängel festgestellt:

Inhaltliche Mängel

Gewisse Textabschnitte im Lehrmittel in den können den Eindruck erwecken,

• NaturwissenschaftlerInnen seien keine normalen Menschen: «Schauen sich ein Naturwissenschaftler oder eine Naturwissenschaftlerin die Bilder von Seite 1 an (Sternenhimmel, Korallenriff usw.), gehen ihnen andere Gedanken durch den Kopf, als wenn wir das tun»

• NaturwissenschaftlerInnen würden - mehr als etwa PolitikerInnen oder religiöse Menschen -  Gefahr laufen zu meinen, sie seien im Besitz absoluter Wahrheiten. Es fehlt (bewusst?) der Hinweis, dass eines der Grundprinzipien der Naturwissenschaften gerade darin besteht, keine absoluten Aussagen zu machen, wogegen Glaubensbekenntnisse in der Regel absolutistisch sind!

• Ethik, und damit auch ein verantwortlicher Umgang mit der Natur, könne nur mit Religion begründet werden.

Im Lehrerkommentar wird so getan, als könne sich jeder seine eigene «Theorie» zur Entstehung des Lebens ausdenken:

• Wiederum werden Schöpfung und Evolution einander gegenüber gestellt – genau das, was unbedingt aus dem Ordner hätte entfernt werden müssen (und was zu Entfernen oder Überarbeiten versprochen worden war), und es finden sich Sätze wie: «Naturwissenschaftliche Fakten können mehr oder weniger gut in ein bestehendes religiöses Entstehungsmodell eingefügt werden.»

• Der Kommentar lädt dazu ein, eine kreationistische Sicht gleichberechtigt neben eine wissenschaftliche zu stellen.

• Jede Lehrkraft, die die erste Ausgabe des Lehrmittels gut fand, wird bestens mit Hilfe der Seiten 18-23, die ja eigentlich entfernt gehört hätten, den eigenen unaufgeklärten oder gar fundamentalistischen Standpunkt verteidigen können.

Ein Skandal!

Pädagogisch-didaktische Mängel

Die Aufforderung an Schülerinnen und Schüler des 7.-9. Schuljahres, sich eine Meinung zu bilden, bevor entsprechendes Wissen hat erarbeitet werden können, ist eigentlich ein Betrug. Die jungen Menschen haben es verdient, dass zuerst konkretes Wissen zur Evolution und zur Artenvielfalt vermittelt wird. Der Bildungsgedanke wird in sein Gegenteil verkehrt, wenn frei erfundene Geschichten oder Innenwelt-Beschreibungen gleichberechtigt mit anerkanntem, empirisch überprüftem Wissen behandelt werden.

Empfehlungen der Fachleute

• Setzen Sie das Lehrmittel nicht in der Klasse ein. Sparen Sie das Geld Ihres Schulhauses für brauchbarere Lehrmittel oder für Exkursionen in die Natur!

• Schreiten Sie im Sinne der Aufklärung ein, wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen im Schulhaus auf NaturWert hereinfallen oder wenn sie gar kreationistischen Aussagen verbreiten!

• Verschwenden Sie keine Zeit mit Diskussionen und „Meinungsbildung“ ohne Grundlagen. Die Schule soll die unersetzliche Chance zum Lernen bieten. Nur so kann ein Mensch schliesslich qualifiziert am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen.

Ausführliche Stellungnahme der AG Schule und Bildung

17.09.2008 Berichterstattung auf TSR

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