Kein Parallelrecht!

Der Erzbischof der anglikanischen Kirche hat Verständnis dafür, dass sich Immigranten nicht mit westlichen, demokratisch legitimierten Rechtssystemen identifizieren können. Sein Heilmittel: ein duales Rechtssystem zulassen, in dem Familienrecht und andere privatrechtliche Bereiche dem kulturellen Recht der Herkunftsgebiete überlassen werden soll.

Ein Vertreter der Church of England erklärt uns also, dass in Zukunft Glaubensgemeinschaften und ethnischen Gruppierungen ihr eigenes Recht zugestanden werden soll, weil ihnen das demokratisch legitimierte im Aufenthaltsland nicht zusagt?

Und wie soll das weiter gehen?

Ein Recht für alle

Soll jede Bürgerin und jeder Bürger künftig frei entscheiden können, welche Teile des national geltenden Rechtes sie oder er anerkennen und befolgen will? Sollen also FreidenkerInnen ab sofort über das Urteil des Bundesgerichtes hinweg die Kirchensteuer für juristische Personen nicht mehr bezahlen, weil sie mit dieser Rechtssprechung nicht identifizieren können?

Das Beispiel zeigt, wie absurd die Begründung ist. Demokratisch legitimiertes Recht gilt eben gerade nicht, weil jeder zustimmt, sondern weil die Mehrheit im Geltungsgebiet zustimmt.

Vor allem in Familienangelegenheiten und privaten Geschäften sollen die Scharia-Schiedsgerichte eingesetzt werden können, so der anglikanische Kirchenvertreter. Gerade hier aber gilt es, genau hinzusehen.

Wo kein Kläger da kein Richter

Genau besehen besteht jederzeit unter mündigen BürgerInnen die Möglichkeit, Konflikte bilateral beizulegen. Solange es nicht um Offizialdelikte geht, gibt es ohne KlägerInnen keine RichterInnen. Paare können sich also trennen und die Folgen weitgehend selber regeln, Familien können Erbschaften regeln wie sie wollen, Geschäftspartner können (legale) Geschäfte tätigen zu Bedingungen, die sie selber bestimmen, und der Staat redet ihnen nicht drein - solange alle freiwillig mitmachen.

Wenn es jedoch um Offizialdelikte geht, dann muss ein einheitliches Recht gelten und wenn bei privatrechtlichen Vereinbarungen Probleme auftauchen, dann muss klar sein, dass das demokratisch legitimierte Recht den Massstab bildet.

Recht zum Schutz der Schwachen

Wenn andere Rechtssysteme akzeptiert werden, besteht immer die Gefahr, dass die erpressbare oder anderswie schwächere Partei unter Druck gesetzt wird, der Anwendung des von der überlegenen Partei bevorzugten Rechtssystems zuzustimmen.

Gegen die Folgen des geltenden Privatrechtes, das auch hierzulande auf der Fiktion basiert, dass etwa im Geschäftsleben die Vertragsparteien einander ebenbürtig sind, wurde in den letzten Jahrzehnten eine grosse Zahl von Gesetzen erlassen, die dem Schutz der schwächeren Partei dienen. Immer wieder zeigt sich eben in der Praxis, das eine formale, rechtliche Gleichstellung, die auf eine faktische Ungleichstellung angewendet wird, zu unhaltbaren Ergebnissen führt.

Ob im Gleichstellungsgesetz, im Arbeitsrecht im Mieter- oder Konsumentenschutz: überall musste der Staat korrigierend eingreifen, damit das Verfassungsziel der Gleichstellung im Privaten nicht durch faktisch ungleichlange Spiesse unterlaufen wird.

In Kanada wieder aufgehoben

1991 hatte die kanadische Provinz Ontario ein Schlichtungsgesetz (Arbitration Act) eingeführt. Dieses statuierte, dass die Provinzbehörde Urteile von privaten, kommerziellen, religiösen oder anderen Vermittlern durchsetzt, solange es mit dem kanadischen Gesetz übereinstimmt. Traditionell haben unter anderen Juden, Katholiken, die Zeugen Jehovas, die Mennoniten und die Eingeborenen Schlichter genutzt, um Familienfragen zu regeln ohne Ontarios Gerichte zu bemühen. Das System funktionierte offenbar ohne Probleme. Im Oktober 2003 eine Organisation namens Islamic Institute of Civil Justice die Schaffung einer muslimischen Schlichtungskommission auf Grundlage des islamischen Gesetzes, der Scharia, vor. Diese Nachricht verursachte eine heftige nationale Diskussion und sogar Demonstrationen in zwölf kanadischen und europäischen Städten. Die stärkste Opposition kam von muslimischen Frauengruppen, die fürchteten, dass muslimische Frauen sich der frauenfeindlichen Scharia unterwerfen, einem Gesetzeskodex, der es Eltern erlaubt vorpubertäre Mädchen zu verheiraten, Männern erlaubt mehrere Frauen zu heiraten, allein Ehemännern die Scheidung zugesteht, Väter automatisch das Sorgerecht für Kinder oberhalb eines gewissen Alters gewinnen lässt und Söhne mehr erben lässt als Töchter.

Die Antischaria-Kampagne hatte Erfolg. Am 11. September 2005 entschied Ontarios Regierung: „Es wird kein Scharia-Gesetz in Ontario geben. Es wird in Ontario keine religiösen Schlichtungen geben. Es wird nur ein Gesetz für alle in Ontario geben." Im Februar 2006 das Gesetz wieder aufgehoben.

Duales Rechtssystem in der Schweiz In der Schweiz besteht im Falle der Römisch Katholischen Kirche ein duales Rechtssystem. Der Fall Röschenz hat gezeigt, dass dies zu erheblichen Problemen führen kann. Öffentlich-rechtliche Anerkennung verträgt sich ausserordentlich schlecht mit parallelem Kirchenrecht. Und auch hier hat der Bischof argumentiert, es sei ihm nicht zumutbar, gegen ein kantonales Urteil den vorgesehenen Rechtweg einzuschlagen.

Für die BürgerInnen hat das duale System etwa zur Folge, dass die rechtliche Wirkung des öffentlich-rechtlich geregelten Austrittes aus der katholischen Kirche unterschiedlich ist:

Staatskirchenrechtlich besteht nach einem Austritt kein Verhältnis mehr.

Kirchenrechtlich ist das Verhältnis gar nicht auflösbar, schon gar nicht von Seiten der Gläubigen. (Argumentation der Kath. Kirche)

Achtung vor Allianz der Religiösen Der anglikanische Erzbischof ist mittlerweile auch von seiner eigenen Kirche zurückgepfiffen worden. Trotzdem gilt es, weiterhin aufmerksam zu sein gegenüber allen Avancen zu einer Allianz der Religiösen.

Reta Caspar

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