Ritualbgleitung: Gedichte/Zitate

Abschied

Hermann Hesse

Drunten pfeift ein Zug durchs grüne Land. Morgen, morgen fahr’ auch ich davon! Letzte Blumen pflückt verirrt die Hand, Und sie welken, eh’ ich fort bin, schon.

Abschied nehmen ist ein bittres Kraut, Wächst an jedem Fleck, den ich geliebt; Keine Stätte, die ich mir gebaut, Heimat wird und Heimatfrieden gibt.

In mir selber muss die Heimat sein, Jede andre welkt so schnell hinab, Jede liess mich gar so bald allein, Der ich alle meine Liebe gab.

Tief im Wesen trag’ ich einen Keim, Der wird stille grösser, Tag für Tag: Wenn er reif ist, bin ich ganz daheim, Und es ruht der ewige Pendelschlag.

Blatt

Es weht der Wind ein Blatt vom Baum, von vielen Blättern eines, das eine Blatt, man merkt es kaum, denn eines ist ja keines. Doch dieses Blatt allein, war Teil von unserem Leben, drum wird das Blatt allein uns immer, immer fehlen.

Desiderata

Max Ehrmann (1872 - 1945)

Gehe ruhig & gelassen durch Lärm und Hast & sei des Friedens eingedenk, den die Stille bergen kann. Stehe soweit ohne Selbstaufgabe möglich in freundlicher Beziehung zu allen Mitmenschen. Äußere deine Wahrheit ruhig & klar und höre anderen zu, auch den Geistlosen & Unwissenden; auch sie haben ihre Geschichte. Meide laute & agressive Menschen, sie sind eine Qual für den Geist.

Wenn du dich mit anderen vergleichst, könntest du bitter werden & dir nichtig vorkommen; denn immer wird es jemanden geben, größer oder geringer als du. Freue dich deiner eigenen Leistungen wie auch deiner eigenen Pläne. Bleibe weiter an deiner eigenen Laufbahn interessiert, wie bescheiden auch immer. Sie ist ein echter Besitz im wechselnden Glück der Zeiten.

In deinen geschäftlichen Angelegenheiten laß Vorsicht walten; denn die Welt ist voller Betrug. Aber dies soll dich nicht blind machen gegen gleichermaßen vorhandene Rechtschaffenheit. Viele Menschen ringen um hohe Ideale; und überall ist das Leben voller Heldentum.

Sei du selbst, vor allen Dingen heuchle keine Zuneigung. Noch sei zynisch was die Liebe betrifft; denn auch im Angesicht aller Dürre und Enttäuschung ist sie doch immerwährend wie das Gras.

Ertrage freundlich-gelassen den Ratschluß der Jahre, gib die Dinge der Jugend mit Grazie auf. Stärke die Kraft des Geistes, damit sie dich in plötzlich hereinbrechendem Unglück schütze. Aber beunruhige dich nicht mit Einbildungen. Viele Befürchtungen sind Folge von Erschöpfung und Einsamkeit. Bei einem heilsamen Maß an Selbstdisziplin sei gut zu dir selbst.

Du bist ein Kind des Universums, nicht weniger als die Bäume & Sterne; du hast ein Recht hier zu sein. Und ob es dir nun bewußt ist oder nicht: zweifellos entfaltet sich das Universum wie vorhergesehen. Darum lebe in Frieden mit Gott, was für eine Vorstellung du auch von ihm hast und was immer dein Mühen & Sehnen ist. In der lärmenden Wirrnis des Lebens erhalte dir den Frieden mit deiner Seele.

Trotz all ihrem Schein, der Plackerei & den zerbrochenen Träumen ist diese Welt doch wunderschön. Sei vorsichtig. Strebe danach, glücklich zu sein.

Ehe

Tao Te King für Paare

Lasst euch in eurer Ehe von euren Herzen und eurem Verstand führen. Lasst die Kraft eures Willens euch zusammen halten. Lasst die Macht eurer Liebe und Sehnsucht wirken. Seid einander nahe, aber nicht zu nahe. Seid geduldig miteinander, denn es werden auch Stürme kommen - aber habt Vertrauen, sie werden vorüber gehen.

Hochzeitskerze

Mein Licht soll dabei sein bei eurer Ehe. Mehr als ein Geschenk bin ich ein stiller Zeuge im Hause eurer Liebe. Wenn die Sonne scheint brauche ich nicht zu brennen. Aber wenn es dunkel wird, wenn Sturm aufkommt, dann zünde mich an. Wenn der erste Streit ausbricht... wenn dich insgeheim ein Kummer quält... dann zünde mich an. wenn der erste Schritt zu tun ist und du weißt nicht wie... wenn du die Aussprache suchst, aber keine Worte findest... wenn du umarmen möchtest und deine Arme sind wie gelähmt... dann zünde mich an. Mein Licht ist ein Zeichen im Hause, hell und klar. Es spricht eine leichte Sprache, die der andere gleich versteht. Ich bin eure Hochzeitskerze. Ich habe euch beide gern. Lasst mich brennen, wenn und wie lange es sein muss.

Hände

Gerhard Kiefel

Es sagte einmal die kleine Hand zur großen Hand: Du große Hand ich brauche dich, weil ich bei dir geborgen bin. Ich spüre deine Hand, wenn ich wach werde und du bei mir bist, wenn ich Hunger habe, und du mich fütterst, wenn du mir hilfst, etwas zu greifen und aufzubauen, wenn ich mit dir meine ersten Schritte versuche, wenn ich zu dir kommen kann, weil ich Angst habe. Ich bitte dich, bleibe in meiner Nähe und halte mich.

Es sagte die große Hand zur kleinen Hand: Du kleine Hand ich brauche dich, weil ich von dir ergriffen bin, das spüre ich, weil ich viele Handgriffe für dich tun darf, weil ich mit dir spielen, lachen und herum tollen kann, weil ich mit dir kleine wundersame Dinge entdecke, weil ich deine Wärme spüre und dich liebhabe, weil ich mit dir zusammen wieder bitten und danken kann Ich bitte dich, bleibe in meiner Nähe und halte mich.

Ich und Du

Fritz Perls

Ich tu, was ich tu, und Du tust, was Du tust.

Ich bin nicht auf dieser Welt, um nach Deinen Erwartungen zu leben. Und Du bist nicht auf dieser Welt, um nach meinen Erwartungen zu leben.

Du bist Du und ich bin ich. Wenn wir uns zufällig finden - wunderbar! Wenn nicht, kann man auch nichts machen.

Festliche Stunde

Rose Ausländer

Eng ist die Erde, unendlich das Fest. O Leben, in fliehende Stunden gepreßt!

Die Wirrnis der Jahre wogt wild wie das Meer um sinkende Herzen, die laut sind und leer.

O Freund, in Goldstaub zerstrahlt und verflogen! O sterbender Stern im stürzenden Bogen!

Wir leerten den Becher bis zum Grunde. Wir lebten unendlich die festliche Stunde.

Hymnus

Pablo Neruda: Königin

Wenn du erscheinst, rauschen alle Flüsse in meinem Körper auf, rütteln die Glocken am Himmel, und ein Hymnus erfüllt die Welt. Nur du und ich, nur du und ich, meine Liebe, hören seinen Klang.

Im Nebel

Hermann HesseSeltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein. Kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein. Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war, Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein. Kein Mensch kennt den anderen, Jeder ist allein.

Ja

Ch. Morgenstern

Wenn man zum Leben ja sagt und das Leben selber sagt zu einem nein, so muss man auch zu diesem Nein ja sagen.

Keiner

Margot Bickel

Keiner wird gefragt wann es ihm recht ist Abschied zu nehmen von Menschen Gewohnheiten sich selbst

Irgendwann plötzlich heißt es damit umgehen ihn aushalten annehmen diesen Abschied diesen Schmerz des Sterbens

dieses Zusammenbrechen um neu aufzubrechen

Kinder

Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931

Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen. Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern. Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.

Liebe

Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931

Liebt einander, doch macht die Liebe nicht zur Fessel, sondern schafft daraus ein webendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen. Füllet einander den Becher, doch trinkt nicht aus einem Becher. Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, doch lasst auch jeden von euch allein sein. Gleich wie die Saiten einer Gitarre allein sind und doch von der gleichen Musik erbeben. Steht beieinander, doch nicht zu nahe beieinander: Denn die Säulen des Tempels stehen einzeln, und auch die Eiche und die Zypresse wachsen nicht in gegenseitigem Schatten.

Musik I

Christian Morgenstern: Liebeslied

Ich bin eine Harfe Mit goldenen Saiten, Auf einsamem Gipfel Über die Fluren Erhöht. Du lass die Finger leise Und sanft darübergleiten, Und Melodien werden Aufraunen und aufrauschen, Wie nie noch Menschen hörten. Das wird ein heilig Klingen Über den Landen sein.

Musik II

Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931

Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein. So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern.“

Rudern zwei

Rainer Kunze

Rudern zwei ein boot, der eine kundig der sterne. der andre kundig der stürme, wird der eine führn durch die sterne, wird der andere führn durch die stürme, und am ende ganz am ende wird das meer der erinnerung blau sein.

Ruh

Rose Ausländer

Dann schlug mein Leben beide Augen zu. Kein Raum war, und kein Ich, kein Du. Nur Ruh.

Traurigkeit

Hermann Hesse

Die mir noch gestern glühten, Sind heut dem Tod geweiht, Blüten fallen um Blüten Vom Baum der Traurigkeit.

Ich seh sie fallen, fallen Wie Schnee auf meinen Pfad, Die Schritte nicht mehr hallen, Das lange Schweigen naht.

Der Himmel hat nicht Sterne, Das Herz nicht Liebe mehr, Es schweigt die graue Ferne, Die Welt ward alt und leer.

Wer kann sein Herz behüten In dieser bösen Zeit? Es fallen Blüten um Blüten Vom Baum der Traurigkeit.

Wasser

Tao Te King für Paare

Seid zu einander wie Wasser. Es nährt alles, was es berührt. Es fliesst immer hinab zu tiefer gelegenen Stellen und strebt nicht danach, sich über andere zu erheben.

Welkes Blatt

Hermann Hesse

Jede Blüte will zur Frucht, Jeder Morgen Abend werden, Ewiges ist nicht auf Erden Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will Einmal Herbst und Welke spüren. Halte, Blatt, geduldig still, Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht, Laß es still geschehen. Laß vom Winde, der dich bricht, Dich nach Hause wehen.

Wurzeln und Fügel

J. W. v. Goethe

Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern erhalten: Wurzeln und Flügel.

Zwei Segel

C. F. Meyer

Zwei Segel erhellend Die tiefblaue Bucht! Zwei Segel sich schwellend Zu ruhiger Flucht! Wie eins in den Winden Sich wölbt und bewegt, Wird auch das Empfinden Des andern erregt. Begehrt eins zu hasten, Das andre geht schnell, Verlangt eins zu rasten, Ruht auch sein Gesell.