Gunkl: Humor und Intelligenz
Der österreichische Kabarettist Gunkl, der an unserem Welthumanistentag 2021 zu Gast war, mag Humor und Intelligenz. Am liebsten in Kombination.
Von Gunkl
Humoristen sind in Wahrheit privat depressive Menschen. Jaja. Das hört man ja immer wieder. Ich bin auch sicher, dass Kampftaucher privat alle Nichtschwimmer und wasserscheu sind, Sommeliers sind im Grunde ihres Herzens hysterische Abstinenzler, Philosophen sind privat komplette Vollidioten und Schriftsteller sind, wenn keiner zuschaut, Analphabeten. Bestimmt.
Ich kann ja nur vermuten, woher diese Idee kommt, dass Humoristen tiefunglückliche Menschen sind; Ich vermute, das hat damit zu tun, dass die Vorstellung, dass jemand einfach lustig ist, sehr schwer zu ertragen ist. Da muss doch etwas dahinterstehen. Das kann doch nicht sein, dass da einer einfach so NUR lustig ist, und es dementsprechend lustig hat. Wir alle anderen haben es nämlich nicht nur lustig, wir haben alle unser Binkerl zu tragen. Also muss da etwas herbeigedacht werden, damit die Welt wieder eine Ordnung hat. Ein Ausgleich. Und da nimmt man dann einfach den nächstliegenden Gegensatz, und das ist dann eben traurig. So kann man den Lustigen ertragen «Der ist nämlich in Wahrheit traurig!» Und schon passt die Welt wieder zusammen.
Ich bin meinen Eltern für vieles dankbar, aber eine Sache, die mein Vater mir gesagt hat, ist einfach wunderbar; wir waren im Zirkus, ich noch als Kind, und da waren natürlich Clowns. Und die haben sich so lustig und – in der Rolle natürlich – auch blöd angestellt, wie Clowns es eben tun. Und mein Vater hat mir gesagt, dass die in Wahrheit natürlich nicht blöd sind, sondern die sind sehr gescheit, weil die wissen, wie man Menschen zum Lachen bringt. Und die müssen sich das ja alles überlegen, was sie machen werden, damit es lustig ist. Ich hatte eine wirklich schöne Kindheit, nach allen herkömmlichen Massstäben, aber das war ein echter Glücksmoment für mich. Diese Erkenntnis! Dass es sehr wohl ein «in Wirklichkeit ist es nicht so, wie es aussieht» gibt, aber dass sich das nicht gegen den Betrachteten richten muss, sondern das kann sich sehr wohl als etwas Positives herausstellen. Ausserdem habe ich es schon als Kind gemocht, wenn jemand gescheit ist. Und wenn die lustigen Männer, die ich so mag, eben nicht «in Wahrheit traurig» sind, sondern «in Wahrheit sehr gescheit», dann freut mich das.
Warum muss jetzt jemand gescheit sein, um etwas Lustiges zu machen? Da wird’s jetzt umfangreich:
Die Welt ist ja nicht nur alles, was der Fall ist, in so einer Welt würde eine Drohung nicht funktionieren. Ich kann jemandem nur mit etwas drohen, was eben nicht der Fall ist, und auch nicht werden muss, aber sehr wohl der Fall werden kann. Das, was der Bedrohte daraufhin tut, ist dann zwar der Fall, aber dass er das tut, liegt an etwas, was eben nicht der Fall ist. Ebenso mit Hoffnung.
Die Welt der Dinge, jetzt einmal ohne Menschen gedacht, die ist, was der Fall ist. Quantenphysik jetzt einmal nicht mitgerechnet, da geht es um Wahrscheinlichkeiten, und da ist genau genommen nix wirklich der Fall. Aber das können wir heute ebenso unbeachtet lassen wie eine Welt, in der der Mensch nicht vorkommt. Wenn wir den Menschen in den Mittelpunkt unserer Betrachtung rücken, dann kann man sagen: Die Welt ist ein sehr turbulentes, hochdynamisches Gemenge aus Gegebenheiten und Möglichkeiten, die in beide Laufrichtungen aufeinander einwirken. In einer Welt, die nur ist, was der Fall ist, gäbe es auch keinen Humor.
Ein weiterer Schierlings-Wanderpokal, der gern einmal im Halbbildungsbürgertum weitergereicht wird, ist «Ich denke, also bin ich». Da wird durch den Akt des Denkens das Ich ja nicht hergestellt, sondern lediglich festgestellt. Man kann sich ja an jedem Türstaffel einwandfrei die Zehe brechen, weil es ihn gibt, und man kann sich dabei sicher sein, dass der sich dabei nix denkt. Wenn es tatsächlich nur das gäbe, was denkt, dann würde ein Grossteil des Vorabendprogramms im Fernsehen ja nicht stattfinden können, weil in den Talkshows keine Gäste und schon gar keine Talkmaster wären. Die Idee bei «Ich denke, also bin ich» ist die, dass der Herr Descartes davon ausgeht, dass die Welt, so wie sie sich ihm darstellt, ja auch eine Fiktion sein kann. Alles, was er so sieht und wahrnimmt, kann ja auch ein Trugbild sein, und das gibt es alles vielleicht auch überhaupt nicht. Aber der, der sich diese Gedanken darüber macht, von dem weiss er, dass es ihn gibt.
Naja, also, ein Beweis, der das, was es überhaupt zu beweisen gilt, als Bedingung hat, ist schon einigermassen fragwürdig. Wenn ich ein Ich beweisen will, dann isses methodisch ein bisserl dünn, wenn dieser Beweis mit «Ich» beginnt. Wenn wir diesen Lapsus korrigieren, dann lautet die erste Feststellung «Es gibt Gedanken». Nun gut, aber dass diese Gedanken notwendigerweise auch jemand hat, folgt nicht aus dem Umstand, dass es Gedanken gibt. Das ist wohl in der Welt, wie wir sie kennen, und sie sich auch dem Herrn Descartes offenbar darstellt, so, aber genau diese Welt und ihre innere Wirkgrammatik stellt er ja in Abrede. Das geht ja nicht; dass man erstens das zu Beweisende als Voraussetzung für den Beweis nimmt, und zweitens die Bedingungen einer Welt, die man gerade abstreitet, nämlich dass Gedanken etwas sind, was es nur gibt, wenn es jemanden gibt, der diese Gedanken auch hat, in diesem Beweis als gegeben annimmt.
Davon einmal abgesehen, darf man ja auch fragen: Wem sagt er denn das? Also, wenn er das wirklich ernst nimmt, hätten wir von dieser Idee niemals erfahren.
Also gut; zwischen diesen beiden Extrempositionen mit den erwähnten Schwächen können wir also die Idee einer Welt verorten, die existiert, und zwar prinzipiell existiert, nämlich ohne auf unsere Wahrnehmung angewiesen zu sein.
Und unsere Gegenwart in der Welt ist einerseits ein Faktum wie andere auch, also etwas, was der Fall ist. Aber mindestens ebenso sehr ist unsere Anwesenheit in der Welt Gegenstand von ausgiebigen Betrachtungen, die wir anstellen. Und unsere Existenz wäre eine andere, wenn sie nicht eben so gründlich und umfangreich von uns betrachtet werden würde. Dass wir die Welt betrachten, ändert an der Welt im Grunde nix. Dass wir uns selber betrachten, ändert an uns selber so ziemlich alles.
Dass wir die Welt betrachten, ändert natürlich schon etwas, aber eben nicht an der Welt, sondern an uns. Auch wenn da immer wieder die Quantenphysik auf den Plan gerufen wird mit «Die Beobachtung beeinflusst sehr wohl das Resultat!» Ja, schon, aber davon kriegen wir nix mit. Da geht es um einzelne Photonen und deren Polarisation. Und die Photonen sind auch noch verschränkt, sowas kommt in der Welt der täglichen Erfahrung nicht vor. Es gibt eine Welt vor ihrer Wahrnehmung, und dieser Welt ist es, solange es dabei nicht um Menschen geht, nicht einmal wurscht, ob sie beobachtet oder auch nur wahrgenommen wird.
Nun könnten wir die Welt ja auch einfach so beobachten, ohne dass uns das beeinflusst. Wir sehen einen Berg und nehmen zur Kenntnis, dass der also da ist. Punkt. Diese Wahrnehmung wird in eventuellen Reiseplanungen meine Streckenführung beeinflussen: durch ist unmöglich, drüber ist schwer, rundherum ist weit. Sonst braucht man sich dazu aber nix denken. Emotionsbefreit denken tut man sich aber in Wirklichkeit wenig. Da greift gleich einmal ein besonderer Treibstoff fürs Denken ein; da wird dann empfunden. Das ist aber eine andere Kategorie; der Berg droht dann auf einmal. Oder er ruft. Echt? Ärgert sich der dann auch, wenn man nicht kommt, oder kränkt der sich, wenn man sich nicht fürchtet?
Wir Menschen haben ein Hirn, das auf Erkenntnis ausgelegt ist. Wir haben von Anbeginn an der Welt anatomisch nicht viel entgegenzustellen. Was wir besser, nämlich viel besser können als alle anderen, ist, auf etwas draufkommen. Das hat uns so erfolgreich gemacht. Aber unser Hirn arbeitet auch sehr ökonomisch; also, bewährte Muster werden zunächst einmal in neue Probleme übernommen. Im Umgang miteinander hat es sich bewährt, dem anderen Motive zu unterstellen, die ich kenne. Dann kann man miteinander umgehen. Wenn mein Gegenüber eine mir gänzlich unbekannte «Wenn-Dann» –Grammatik hat, dann ist Kooperation praktisch ausgeschlossen. Und wir sind auf Kooperation angewiesen. Wir hätten Sprache nicht erfunden, wenn wir Einzelwesen wären. Und dem Anderen eine mir bekannte Handlungsgrundlage zu unterstellen, funktioniert unter uns Menschen auch dann, wenn diese Grundlagen nicht ganz kongruent sind. Man passt sich dem Gegenüber gern einmal an, und so findet man über kurz oder lang zu einer mehr oder weniger gemeinsamen wenigstens operativen Handlungsgrundlage.
Und das, was im Umgang mit denen, auf deren Anwesenheit und Kooperation man so wesentlich angewiesen ist, so prima funktioniert, das wenden wir dann auch auf die Welt an. Wir denken uns die Welt anthropotypisch, wir unterstellen der Welt Absichten, die wir kennen. Dann kennen wir uns aus. Das hat aber seinen Ursprung tief im Emotionalen und nicht im Rationalen
Das, was wir in diesem Zusammenhang «denken», ist wohl Hirnarbeit, aber da geht es darum, emotional motivierte Unterstellungen in rational gefärbte Kisterln umzuschlichten.
Das wär soweit ja nicht weiter schlimm, schliesslich will man sich in der Welt ja orientieren. Problematisch wird’s dann, wenn das Resultat dieses Vorgangs als rational dargestellt und verhandelt wird. Dadurch bekommt das dann nämlich dasselbe Gewicht wie tatsächlich rationale Argumente.
Rationale Argumente sind emotionalen jetzt nicht zwingend übergeordnet, aber sie sind halt verschieden. Sicher sind sie verschieden, was den Katalog der notwendigen Grundlagen angeht. Rationale Argumente brauchen den Menschen im Grunde nicht. Das, was ist, wirkt auf anderes, was ist, ein. Das wäre die - grob gesagt - Wittgensteinsche Welt. Emotionale Argumente hingegen funktionieren nur, wenn der Mensch als Träger von Befindlichkeiten im Zentrum steht.
Bei der Frage: «Wie geht es mir dabei?» kümmert sich die emotionale Sicht vor allem um die Beantwortung dieser Frage, und beleuchtet den Zustand des Empfindungsträgers, und zieht dann daraus Schlüsse auf den Auslöser dieser Empfindungen. Das führt gern einmal zu Fehlschlüssen, die aber, weil sie auf einer echten Empfindung beruhen, nicht als Fehler, sondern als echt erlebt werden. Grob überspitzt ist dann ein grosser Hund böse, weil man sich vor ihm fürchtet. So echt, wie die Furcht ist, so böse muss dann doch der Hund sein. Das ist dann nicht wirklich eine Cartesianische Sicht, weil der Hund ja als wirklich angenommen wird, die Eigenschaften allerdings, die diesem Hund unterstellt werden, werden tatsächlich vom inneren Zustand des Beobachters bestimmt. Halbcartesianisch - könnte man sagen.
Hingegen stellt das rationale Argument bei «Wie geht es mir dabei?» zunächst einmal die Frage «Wobei?» vor die ursprüngliche Frage. Da ist die Gefahr gegeben, dass man den Zustand, der durch die Welt hervorgerufen wird, als unerheblich betrachtet, weil er in seiner Herkunft geklärt ist. Wenn man weiss, wobei es einem geht, dann ist schon einmal so viel geklärt, dass das Problem als erledigt angesehen werden kann. Kann natürlich nicht. Es geht einem ja immer noch irgendwie, nur weiss man halt, warum.
Es gibt also eine Welt, es gibt uns in dieser Welt, und es gibt unser dringendes Bedürfnis, uns in dieser Welt zu orientieren. Die Welt ist ebenso, dass in ihr Sachen passieren, und gern einmal haben solche Sachen Auswirkungen auf uns. Manchmal sind die Auswirkungen gut, und manchmal schlecht. Und jetzt gibt es verschiedene Arten, mit diesen Auswirkungen umzugehen, vor allem, wenn sie schlecht sind.
Eine sehr gebräuchliche Art mit Unbill umzugehen ist, die Suche nach Schuldigen. Vor allem dann, wenn man sich gern einmal auf bewährte Denkmuster verlässt; «Das, was ich an und in der Welt tue, ist von mir beabsichtigt, also ist das, was die Welt an und mit mir anstellt, ebenfalls beabsichtigt!» Eine überaus beliebte Denkfalle, die letztlich zu Religion führt. Die Sinnsuche auch im Negativen. Die Unterstellung, dass das, was geschieht, deshalb geschieht, weil es einer Absicht folgt, die natürlich auch jemand oder wenigstens etwas haben muss, ist ein verständlicher, aber hochproblematischer Irrtum. Es muss dann nämlich zu dieser Absicht eine Instanz miterfunden werden, die einigermassen widerspruchsfrei agieren soll. Damit man sich auskennt. Und die Motive dieser Instanz sind natürlich anthropotypisch. Damit man sich auskennt. Und diese Instanz hat recht, in allem, was sie tut. Klar, weil sie einfach zu mächtig ist, um sich mit ihr auch nur gedanklich anzulegen. Religion ist im Grunde ein Stockholmsyndrom mit selbsterfundenem Geiselnehmer. Wenn man ein geschlossenes Weltbild haben will, dann ist es ratsam, dass das, was ist, deswegen so ist, wie es ist, weil es richtig ist. Sehr vieles passiert aber so, dass, wenn dieser Instanz menschliche Grundlagen unterstellt werden, Widersprüche auftauchen. Dann wird es logisch ein bisserl eng, und dann kommt der «unergründliche Ratschluss des Herrn» ins Spiel, ein Generaljoker, der immer dann sticht, wenn das, was die übergeordnete Macht tut, in Widerspruch zu dem steht, wie wir Menschen miteinander umgehen würden. So, und dann ist das System dicht. In weltlichen Systemen ist dann der Kaiser, oder wer eben immer dem System vorsteht, kein Trottel, sondern er hat eben schlechte Berater; Hauptsache ist, dass das Ganze monolithisch erhalten bleibt.
Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass wenig offene Fragen bleiben; aber es gibt wenig wirklich brauchbare Antworten. Alles, was nicht so passt, wie man annimmt, dass es sein sollte, wird vom Problem zum Geheimnis umgewidmet, und das Geheimnis wird mit einer sozial verordneten, dicken Schicht Ehrfurcht gegen kritische Überprüfung imprägniert. Da ist man wo dabei und da ist man drinnen. Und wir Menschen neigen sehr dazu, gern wo dabei und drinnen zu sein. Dem ordnen wir bereitwillig vieles unter.
Der Nachteil daran ist, dass man deutlich an Überblick verliert. Wer drinnen ist, hat die Hälfte von dem, was er betrachtet, hinter sich. Von aussen hat man einfach mehr Überblick. Wer einen Blick aufs Ganze werfen will, muss aus dem System heraustreten. Das heisst, er muss sich in Distanz zu dem bringen, was er untersucht. Wenn aber das Ganze als Eins gedacht wird, dann reisst jemand, der dieses Eine verlässt, um es von aussen zu betrachten, eine deutliche Lücke in dieses Eine, in dem sich alle so wohl fühlen. So einer macht sich verdächtig.
Das Problem dabei ist ja nicht, dass da halt nur einer nicht mehr in dem System ist, das ist durch biologischen Abgang sowieso immer wieder der Fall. Dadurch, dass sich da jemand herausdenken kann, ist offensichtlich und bewiesen, dass das System eben nicht das ist, was es vorgibt, zu sein; nämlich alleine richtig und gültig und somit dicht. Die Leerstelle, die der Dissident hinterlässt, ist lange nicht so schlimm wie die Position, die er ausserhalb bezieht, weil er sie beziehen kann, weil es sie eben gibt.
Was hat das jetzt mit Humor und Intelligenz zu tun? Das «Sci» in «Sciencia», also der Wissenschaft, ist das gleiche wie in «Scissors», der Schere, oder im Schisma oder in Schizophrenie und derlei mehr. Es geht um Trennung. Insofern ist Wissenschaft auch kein Religionsersatz, weil «religio» heisst «wieder verbinden» und die Wissenschaft trennt eben. Zum Beispiel trennt die Wissenschaft Ursache von Wirkung. Wissenschaft trennt auch «richtig» von «falsch». Und Wissenschaft trennt nicht nur die untersuchten Objekte voneinander und von ihrer Wirkweise, sie trennt vor allem diese Anordnung vom Grossen Ganzen. Wenn ein brauchbarer Befund vorliegt, dann kann man den ins Grosse Ganze einpassen, und untersuchen, wie sich diese beiden Dinge zueinander verhalten.
«Scheitern» und «gescheit» haben auch denselben Ursprung, auch die leiten sich vom «sci» ab, ebenso wie «scheiden» oder auch der «Holzscheit», der «Scheitel» und einiges mehr. Auch beim Scheitern wird getrennt; nämlich «richtig» von «falsch», die Idee wird von der Wirklichkeit getrennt. Und wer gescheitert ist, ist danach eben gescheiter. Er weiss mehr als vorher. Wenigstens hat er einen Befund in die Hand bekommen, der gültige Aussagen zulässt.
Humor findet in dem Spalt zwischen «Soll» und «Ist» statt. Um ein «Ist» festzustellen, muss der, der das tut, sich schon einmal aus dem Betrachteten herausdenken. Er bringt sich in Distanz zu dem, was er betrachtet. Das alleine ist ja eigentlich schon ein kleiner philosophischer Gewaltakt; sich von der Welt zu trennen, und sie über diese so hergestellte Distanz hinweg zu betrachten.
Aber ein «Soll» zu formulieren, ist weitaus schwieriger. Wir tun das zwar immer wieder, und es fällt uns nicht sonderlich schwer, und deshalb glauben wir, da ist nix gross dabei. Aber was da passiert, ist erheblich; da wird eine Welt – also keine ganze Welt, aber ein Teil der Welt – wird erfunden. Es werden Forderungen gestellt, an die Welt, anders zu sein, als sie ist. Das, was ist, ist auf einmal nicht mehr «gut, weil es ist» sondern das, was ist, entspricht nicht dem, wie man es sich besser vorstellt. Und zwar ist das, wie man es sich vorstellt, nicht zwingend daran gebunden, dass man das in der Form auch schon so gesehen hat; Das muss nicht unbedingt erinnert werden, das kann auch sehr gut einfach ohne Vorlage ausgedacht werden.
Also, wenn wir den Ball so flach halten, wie er in Wirklichkeit ja ohnehin selten hochfliegt, dann wird das allermeiste, was an «Soll» formuliert wird, sehr wohl auf dem Grunde von Erfahrungen behauptet. Das ist nicht alles ganz frisch ausgedacht und noch hirnwarm. Aber es kann durchaus wesentlich ausgedacht sein; aus dem nichts. Das ist doch ein bemerkenswerter Akt; dem, was in der Welt der Fall ist, gedanklich eine Welt, in der anderes - eben noch - nicht der Fall ist, gegenüberzustellen. Und das mit dem Anspruch, dass dieser Entwurf in einigen Belangen besser ist als das Vorliegende. Vielleicht bin ich ein bisserl naiv, aber ich finde, das ist doch ein grandioser philosophischer Akt.
Jetzt steht man also in einer Welt, in der etwas nicht so ist, wie es sein soll. Und oft einmal steht man ja nicht nur vor der Differenz zwischen «Ist» und «Soll», sondern man steht genau in diesem Spalt. Man hat eine Idee von «gut» und man ist knietief im «nicht gut». Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen.
Der Hiobsche Weg, der furchtbar beschwerlich ist, aber intellektuell keine besondere Arbeit erfordert, ist: man definiert «nicht gut» zu «gut» um, unterstellt eine übergeordnete Instanz, die das genau so gewollt hat, und ändert an dem, was ist, nichts, weil es ja gut ist. Kann man machen, ist aber wenig lustig. Deshalb ist Religion ja auch intrinsisch humorlos, weil dem Menschen nicht zugestanden wird, die Differenz zwischen «gut» und «nicht gut» zu beurteilen. Diesen Spalt, diese Differenz verwaltet die Religion. Da hat sie ihr Hoheitsrecht, und das lässt sie sich nicht nehmen. Wäre es nämlich dem Menschen zugestanden, darüber zu befinden, dass manche Dinge in dieser Welt einfach nicht so sind, dass man als Urheber einen allmächtigen, allgütigen Weltenlenker vermuten darf, sondern dass sich dringend der Schluss nahelegt, dass wenn das beabsichtigt war, ein untauglicher Stümper zur Verantwortung zu ziehen ist, dann entzieht das der Religion das Trost- und Verpflichtungsmonopol.
Ein anderer Ansatz ist, einen Kampf aufzunehmen, und das, was man für gut hält, herzustellen. Da kommt es natürlich sehr darauf an, mit welchem Problem man es da zu tun hat. Die Mathematik kennt unbeantwortbare Fragen, und das Leben kennt unlösbare Probleme. Die sind als solche natürlich auch nicht immer gleich erkennbar. Das ist von Fall zu Fall zu eruieren. Den Kampf mit einem unlösbaren Problem aufzunehmen, schaut manchmal gut aus, und wirkt heldenhaft, ist aber oft einmal blöd. Und: am Unmöglichen zu scheitern ist billig. Den Heiligen Gral zu suchen, aber zu Hause das Kaffeehäferl nicht abzuwaschen, ist billig. Da sucht man sich besser Herausforderungen, die bewältigbar sind, finde ich.
Nun gibt es eben auch die Möglichkeit, mit einer Soll-Ist-Differenz umzugehen, indem man diesen Spalt betrachtet und darüber einen Befund erstellt, der das, was daran erbärmlich ist, als so lächerlich darstellt, wie es ist. Humor eben. Humor erfordert eine Menge Intelligenz; schon einmal aus den erwähnten Gründen: Man muss das «Ist» vollinhaltlich erkennen, man muss ein «Soll» formulieren, und man muss besondere Aspekte des «Ist» mit besonderen Aspekten vom «Soll» gedanklich nachvollziehbar auf Kollisionskurs bringen. Und diese Aspekte müssen exemplarisch sein; an diesen Aspekten muss dann die volle Bandbreite und der gesamte Umfang des Unterschiedes zwischen «ideal» und «real» erkennbar sein. Und das darstellen zu können, erfordert sauberes Denken, und um das auch erkennen zu können, braucht es einen wachen Geist. Humor erfordert also in der Vollstreckung - im Akt selbst - eine Menge Intelligenz von allen Beteiligten; dem Humoremitter und dem Humorrezipienten.
Aber das, was dazu philosophisch nötig ist, ist als Voraussetzung schon einmal beachtlich; Der Schritt nämlich nicht nur aus der Wirklichkeit, um sie von aussen zu betrachten, das wäre ja nur eine Ebene höher, sondern dann auch noch der Schritt, den Spalt zwischen dem, was ist und dem, wie es sein sollte, zu betrachten, das ist eine Ebene mehr, und dann diesen Spalt nicht eben nur einer Betrachtung, sondern eben einer Bewertung zu unterziehen, das ist noch eine Ebene mehr.
Und diese Bewertung muss dann auch noch in einer Grammatik stattfinden, die für den Rezipienten bekannt, aber nicht trivial ist. Weil trivial ist selten lustig, wir haben ja, wie erwähnt, ein Hirn, das auf Erkenntnis ausgelegt ist. Wir haben im Hirn den nucleus accumbens, das ist ein sehr interessantes Feature; man hat da eine Zeit lang verschiedene Vermutungen angestellt, was es damit auf sich haben könnte. Drogenabhängige in einem Tomographen haben Drogen bekommen und siehe da, im nucleus accumbens war grosses Feuerwerk, und man hat gesagt: «Jetzt hat man das Suchtzentrum im Hirn gefunden!» Kopulierende Menschen im Tomographen haben am wesentlichen Punkt der Begattung deutliche Aktivität im nucleus accumbens gezeigt, und man hat gesagt: «Jetzt hat man das Lustzentrum im Hirn gefunden!» Dann hat man Menschen im Tomographen einen Dollar versprochen, und im nucleus accumbens war grosses Trallala, und da war man dann schon ein bisserl vorsichtiger. Man hat gesagt «Jetzt …. schauen wir einmal, was es damit wirklich auf sich hat.» Es hat sich herausgestellt, dass zwar der nucleus accumbens zwar tatsächlich unser Juhu!-Zentrum im Hirn ist, aber der feuert vor allem dann, wenn wir etwas Neues erkannt haben. Das ist ja auch sehr schlüssig; wir haben einer ansonsten feindlichen Umwelt von den ersten Schritten des aufrechten Ganges an anatomisch nix wirklich Effektives gegenüberzustellen. Ab Hundegrösse ist jedes Tier für uns potentiell eine Bedrohung, es gibt kaum ein Tier von nennenswerter Grösse, dem wir ernsthaft davonlaufen könnten, wenn es uns verfolgt, oder dem wir, wenn wir es tatsächlich überwältigen könnten, nachlaufen könnten, wenn wir es fressen wollen, und unsere Reproduktionsrate ist so niedrig, dass wir frassbedingten Schwund an der Population niemals auffangen könnten.
Das, was wir wirklich besser können als alle anderen, ist auf etwas draufzukommen. Ereignisse und Zustände betrachten, Ursache und Wirkung zu lokalisieren, kausale Zusammenhänge zu rekonstruieren. Das können wir echt gut. Und die, denen das sogar Spass macht, die haben natürlich weitaus bessere Chancen, in der Welt zu bestehen als eine Gattung, bei der jede neue Erkenntnis furchtbare Kopfschmerzen und Zahnfleischschwund verursacht. Solche werden Erkenntnis natürlich vermeiden und eben blöd aussterben. Somit ist Erkenntnis per se schon einmal ein lustvolles Erlebnis.
Humor stellt immer eine Art Zurechtrückung dar. Und zumeist werden Fehlannahmen zurechtgerückt. Beim klassischen Witz wird diese Fehlannahme beim Zuhörer oft gezielt hergestellt. Und lustig ist dann die Erkenntnis des vollen Umfangs des Spalts zwischen dem, wie man sich den Fortgang der Geschichte vorgestellt hat, und dem, wie sie tatsächlich ausgeht.
Manchmal bezieht sich der Humor auch Übertreibungen; ein bekanntes Faktum wird an seinen Auswirkungen dargestellt, und diese Auswirkungen übersteigen bei weitem das Mass des Erwartbaren (meine Prostata hat eine eigene Postleitzahl).
Es gibt auch die Art von Humor, die sich daraus bezieht, dass mit den Mitteln herkömmlicher Sprache Dinge formuliert werden, die inhaltlich in krassem Widerspruch zu der formalen Ordnung des Vortrags stehen. Da ist dann wieder lustig, sich selbst bei dem Versuch zu beobachten, diese Distanz gedanklich zu übergrätschen; etwa der Bericht über einen pensionierten Handarbeitslehrer, der aus Kölner Domen ein Streichholz nachgebaut hat. Das muss ja aber nicht nur sprachlich sein. Das geht natürlich auch mit darstellerischen Mitteln. Ein Klassiker ist das» Ministry of Silly Walks» von Monty Python. Das ist nur dann lustig, wenn die Darsteller das völlig ernst betreiben. Jeder Versuch eines Darstellers, da jetzt komisch sein zu wollen, würde diese aberwitzige Kluft zwischen Form und Inhalt schmälern und die Komik ruinieren.
Intelligenz ist die Fähigkeit, Unterschiede festzustellen. Also zwei Dinge zu betrachten und herauszufinden, worin die sich unterscheiden. Oder auch nur zwei Aspekte eines Dings zu betrachten und den Unterschied zwischen diesen beiden Aspekten ein und desselben Dings zu finden und dingfest zu machen. Es ist ja eigentlich eher wenig intelligent, nach der Feststellung, «dass die Welt nicht nur schwarz und weiss ist», die Welt als beschrieben zu betrachten, indem man sie auf einem Graukeil zwischen schwarz und weiss annimmt. Es gibt zwar nicht nur «schwarz und weiss» sondern eine Menge Graustufen dazwischen, aber es gibt auch heiss und kalt, dick und dünn, oben und unten, hinten und vorne, früher und später, klug und blöd, gut und schlecht und so weiter. Wenn da so eindimensional gedacht wird, dann räumt das gescheiten Arschlöchern viel, viel Platz ein, um das zu tun, was sie vorhaben. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass, wer ein schlechter Mensch ist, der auch automatisch blöd sein muss, weil man ihn auf der «Schwarz-weiss»-Geraden einfach nach «schwarz» verschiebt, und sonstige Eigenschaften nicht berücksichtigt, dann wird man dem nicht mit geeigneten Mitteln gegenübertreten. Man wird ihm gegenübertreten, als wär das nicht ein brillanter Kopf, aber ein schlechter Mensch, sondern so, als wär das ein Idiot. Gerade bei politischen Auseinandersetzungen wär es sehr hilfreich, Intelligenz zu praktizieren, indem man verschiedene Aspekte ein und desselben Objekts gesondert betrachtet. Das aber nur ein kleines Plädoyer für den Gebrauch von Intelligenz in der Problemanalyse.
Durch Humor stellt sich der Mensch über die Welt. Er betrachtet die Welt, wie sie ist, er formuliert, wie sie sein sollte, er erkennt die Differenz dazwischen und er lässt sich davon nicht in die Knie zwingen, sondern er findet einen Weg, darüber sogar zu lachen. Er emanzipiert sich von Heilsversprechen derer, die in Anspruch nehmen, Statthalter einer höheren Macht zu sein, die alleine die Differenz zwischen «soll» und «ist» erklären kann.
Humor ist eine philosophische Notwehrwaffe.