Grossveranstaltung: Michael Schmidt-Salomon: «Grenzen der Toleranz»

Das Podium mit Michael Schmidt-Salomon wird vor überfüllten Rängen stattfinden. Gerechnet haben die Organisatoren mit ca. 60-80 Teilnehmern, gekommen sind weit mehr als doppelt so viele.

Runde Tische sollen wieder Kanten haben

Michael Schmidt-Salomon nähert sich seinem Thema – den Grenzen der Toleranz – auf der diskursethischen Ebene an und beklagt zunächst den Trend zur Polarisierung, die Einkehr eines dogmatischen wie pauschalisierenden, nicht Ergebnis offenen Empörialismus, der sich in die deutsche und europäische Debattierkultur eingeschlichen habe. Wer aber denkt, dass er dem die Mitte entgegen hält, irrt: Ebenso ein Dorn im Auge ist ihm der Extremismus der Mitte, das naive Solidarisieren mit jeder Idee.

Ja, aber was denn nun? In welcher Hinsicht sollen wir tolerant sein? Und: Ist Toleranz überhaupt ein Kulturgut, das es zu erhalten gilt? Michael Schmidt-Salomon nimmt uns auf eine ideengeschichtliche Reise mit und stellt auch Überlegungen zur Herkunft des Begriffs an.

Wichtig sind ihm zwei Dimension der Toleranz: Die subjektive, als Verhältnis zu sich selbst sowie die Haltung gegenüber Nichtgläubigen vis à vis der eigenen Überzeugungen. Für bedeutungsvoll hält er zudem die Unterscheidung zwischen tolerieren und akzeptieren, wobei letzteres eine Art Anerkennung von Verhaltensmustern ist, die mit der Gesellschaft wertekompatibel sind, während Ersteres primär bedeutet, immerhin den Respekt entgegen zu bringen, genau hin zu hören. Wir müssen unterstützen, was wir akzeptieren, dem widersprechen, was wir zwar tolerieren, nicht aber akzeptieren können, und verhindern was wir nicht tolerieren können. «Dass irgendjemand irgendetwas als Beleidigung empfindet, kann in einer offenen Gesellschaft, für sich genommen, kein vernünftiges Gegenargument sein, denn Beleidigungen sind der Preis der Toleranz.» Die wichtigen Eckwerte, die Toleranz und eine offene Gesellschaft charakterisieren, sind für ihn: Gleichberechtigung, Liberalität, Säkularität, Individualität.

Gleichberechtigung bezieht sich nicht nur auf die Geschlechter, sie gilt zwischen allen Akteuren der Gesellschaft. Es ist die Vielfalt, die uns stark macht. In ihr haben alle Mitglieder die Freiheit, sich so zu entfalten, wie sie das wünschen und ihren Lebensstil zu pflegen.

Eine offene und tolerante Gesellschaft ist liberal, sie akzeptiert, was ihre offenen Werte teilt und toleriert, was sie nicht zerstört. Ein Widerstreit der Ideen ist nur möglich, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, die einander tolerieren, aber nicht akzeptieren. Der Fortschritt ergibt sich aus der Auseinandersetzung, nicht aus der Harmonie.

Eine tolerante Gesellschaft kann ihre Werte nicht auf den religiösen Ansichten eines Teils ihrer Mitglieder aufbauen, denn diese Begründung würde von den anderen abgelehnt. Darum kann ein tolerante und offene Gesellschaft nur auf einer säkularen Basis stehen. Sie muss ihre Gesetze und Regeln auf nachvollziehbare Weise begründen, das bedeutet, sie muss auf Verhandlung, Vernunft und Rationalität aufgebaut sein.

In einer offenen Gesellschaft steht das Wohl jedes einzelnen Individuums im Zentrum. Praktisch allen unfreien, intoleranten und unterdrückenden Ideologen ist ein Kollektivismus gemeinsam, in dem die Gemeinschaft über den Einzelnen gestellt wird und sich der Einzelne der Gruppe zu fügen und der der Gruppe zu dienen hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um die Nationalität geht, die Rasse, die Ethnie, die Kultur, die Glaubensgemeinschaft oder die Familie. Gleich ist diesen Systemen, dass Einzelne für eine Gemeinschaft leiden und ihre Interessen zurückstecken müssen.

Michael Schmidt-Salomon verweist auf das sehr empfehlenswerte Buch «Zivilisierte Verachtung» von Carlo Strenger. Was wir nicht akzeptieren, aber zu tolerieren bereit sind, müssen wir nicht achten, sondern zivilisiert verachten. Das bedeutet, wir lehnen es ohne Anwendung von Gewalt ab, wir widersprechen und entziehen die Unterstützung. Eine solche Verachtung richtet sich aber immer gegen Ideen und niemals gegen Menschen. Menschen akzepteren wir auch dann, wenn wir ihre Vorstellungen verachten. Die Gesetze der Gesellschaft stehen über der Religionsfreiheit und geben den Rahmen vor, in dem sich Religionen bewegen können.

Vieles ist allerdings nicht nur zu tolerieren, vieles sollen wir vielmehr akzeptieren und damit zum Teil unserer Kultur machen. Minderheiten sind kein zu ertragendes Übel, sondern ein Gewinn. Sie tragen wesentlich zur Meinungsbildung und zum Fortschritt bei. Es ist bereits öfters vorgekommen, dass sich Mehrheiten geirrt haben. Da ist es im Interesse der Gesellschaft, die Minderheiten zu achten.

Wichtig ist ihm, immer wieder zu betonen, dass es einen Unterschied gibt, zwischen dem, was die Gesellschaft gegenüber erwachsenen Menschen toleriert und dem, was in Schulen toleriert werden kann. Die öffentlichen Schulen haben auch die Aufgabe, den Kindern die liberalen und humanistischen Werte unserer Gesellschaft und die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei zu bringen, und das geht nur, wenn man sich klar abgrenzt und Unsinn nicht toleriert. Dies soll auch eine klare Botschaft an Zuwanderer sein: Ihr seid uns willkommen und wir bieten Euch Freiheit und Sicherheit. Aber wir garantieren nicht, dass Eure Kinder Eure Sitten und Gebräuche beibehalten, im Gegenteil: Wir verderben Eure Kinder mit Vernunft, Freiheit und Wissenschaft. Wer bereit ist, das zu akzeptieren, sei uns willkommen.

Nach Ende des Vortrags und einer Verschnaufpause beantwortet Michael Schmidt-Salomon mit viel Elan die zahlreichen Fragen des Publikums: Vom Burkaverbot, über das Händeschütteln, bis hin zum Umgang mit sexualisierter Werbung: Kein Zweifel, dass die grossen Herausforderungen in der Diskursethik sich grossmehrheitlich aus der Auseinandersetzung mit Religionen ableiten. Worüber wir auch immer diskutieren, Michael Schmidt-Salomon wünscht sich, dass zu schwierigen Fragen unserer Zeit runde Tische wieder Kanten haben und Konflikte offen, ehrlich und differenziert ausgetragen werden.