Themenabend: Arabische Gelehrte

Okzident und Orient kommen durch die Entwicklungen in der Welt immer mehr in die Lage, sich miteinander beschäftigen zu müssen. Der Themenabend möchte dazu einen Beitrag leisten. Welche Denkweisen oder Philosophien haben den Islam geprägt, wie sehen diese aus, was bewirken sie? Welche Fragen beschäftigen das muslimische Denken heute? Welchen Stellenwert hat das Individuum in den beiden Kulturkreisen Orient und Okzident?

Der Abend beginnt einer Einführung in den Auf- und Niedergang der «Blütezeit des Islams», einigen Persönlichkeiten und den damaligen Entdeckungen und Erfindungen. Danach folgt ein exemplarischen Einblick in einen Disput zwischen den beiden Philosophen Al Ghazzali und Ibn Rushd, der die Diskrepanz zwischen weltlichen und religiösen Positionen beleuchtet. Nach dem Übergang zur aktuellen islamischen Philosophie diskutieren wir das Thema des Individualismus im Islam.

Der lokale muslimische Politiker Blerim Bunjaku vertritt als Gast in der Diskussion die islamische Sichtweise.

Teil 1: Die Blütezeit des Islams

Bis heute geblieben sind arabische Bezeichungen, wie AlgebraAlchemieAlkohol oder Alkalien.

Wie kam das und warum ging es unter?

Wikipedia definiert: «Als Blütezeit des Islam (auch Goldenes Zeitalter des Islam genannt) wird in der populärwissenschaftlichen Literatur die unter den Abbasiden (750 – 1258) entwickelte Zivilisation in den islamisch beherrschten Gebieten bezeichnet.»

Die erste Frage, die sich stellt, ist die der richtigen Bezeichnung. Die sogenannte «Blütezeit des Islams» ist in Wahrheit ein Schmelztiegel aus vielen Kulturen und Religionen, die sich gegenseitig befruchtet haben. Weder waren es nur Araber, sondern auch PerserMauren und andere. Auch waren nicht alle islamisch, sondern nebst dem Christentum und dem Judentum hatte in der arabischen Welt auch der Zoroastrismus grosse Bedeutung. Gemeinsam war diesem Kulturraum, das Arabisch als Schriftsprache der Gelehrten, so wie Latein in Europa. Man spricht aber dennoch nicht von «Lateinern» oder dem «lateinischen Kuturraum». Doch man kann von «Europa» sprechen, währen sich der arabischsprachige Kulturraum nicht so einfach fassen lässt. Wenn ich somit von «Araber» und «arabischem Kulturraum» schreibe, ist das eine vereinfachende Reduktion, welche die ganze Vielfalt nicht ausschliessen soll.

Am Anfang der Blütezeit des Islam stand die islamischen Expansion ab 630. Den Beginn markiert die Verlegung der Hauptstadt des Kalifats von Seleukia-Ktesiphon nach Baghdad 762, damals unter dem Namen Madinat as-Salam (Stadt des Friedens). Während fünf Jahrhunderten war Bagdad die wohlhabendste Stadt der Welt, Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung, und die zweitgrößte Stadt nach Konstantinopel. Baghdads Höhepunkt war zur Zeit des vierten Kalifen Harun ar-Raschid (786-809), der das Haus der Weisheit gründete, das Bait al-Hikmah. Den Arabern ist er bekannt wegen seiner Brutalität und seines Lebenswandels, im Westen kennt man ihn als Märchenprinz aus tausendundeiner Nacht.

Weitere bedeutende Zentren waren das persische Chorasanal Andalus (Andalusien), das Kalifat von Córdoba, sowie die Iberische Halbinsel. Der Einflussbereich umfasste von Indien bis Portugal den gesamten südlichen Mittelmeerraum:

Die arabische Blüte entstand nicht aus dem Nichts, vielmehr übernahmen die Kalifen blühende Kulturen, zum Beispiel das zoroastrische Persien, und integrierten sie in ihr Reich. Dabei respektierten sie die lokalen Gepflogenheiten und Strukturen. Viele Erkenntnisse der hellenistischen Klassik haben ihren Weg nach Europa über das Kalifat gefunden. Dabei haben waren die Wissenschaftler weniger theoretisch, als vielmehr praktisch orientiert. Neue Erkenntnisse wurden mit Hilfe von Experimenten und Beobachtungen erworben, ganze Disziplinen wurden so begründet. Wichtige Bedeutung am Fortschritt hatte ausserdem auch das um 750 über die Seidenstrasse und Samarkand aus China eingeführte Papier und wahrscheinlich die gebundene arabische Schrift, die sich zügig schreiben lässt und so die schnellere Kopie von Büchern ermöglichte.

Sehr gross waren die Fortschritte in der Medizin. «Allah hat keine Krankheit herabkommen lassen, ohne dass Er für sie zugleich ein Heilmittel Herabkommen liess», sagte ein Hadith. Um 1156 war das «Al-Nuri»-Hospital in Damaskus das größte und fortschrittlichste Krankenhaus weit und breit. Mehr als 8000 Betten standen für die stationäre Pflege der Patienten zur Verfügung; die medizinische Versorgung war kostenlos. Dort war auch der Perser Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya ar-Razi (latinisiert Rhazes) tätig und erkannte zum Beispiel die sterilisierende Wirkung von Alkohol (al Koll, das Ganze). Um den Standort eines neuen Krankenhauses in Baghdad zu finden hängte Rhazes drei Fleischstücke an verschiedenen Plätzen in der Stadt auf, und entschied sich für den Ort, wo das Fleisch am wenigsten Fäulnis zeigte. Er war Pionier der Geburtshilfe und Augenheilkunde. Seine 23 bändige Enzyklopädie war vor dem 19. Jahrhundert eine der umfassendsten medizinischen Abhandlungen, die bis dahin jemals veröffentlicht worden waren.

Wer Noah Gordons Bestseller «Der Medicus» gelesen, oder die Verfilmung gesehen hat, kennt Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā (latinisiert Avicenna). Er schrieb «Al-Qanun fi-l-Tibb», den «Kanon derMedizin», der auch im Westen während 600 Jahren das meistgenutzte Standardwerk war.

Die Algebra erfand der persische Mathematiker Abu Dscha’far Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi (latinisiert al-Chwarizmi), der auch die Algorithmen-Lehre entwickelte, die Verwendung von Dezimalzahlen und die Ziffer Null aus dem indischen in das arabische übernahm und damit in die modernen Zahlensysteme einführte.

Abu Abd Allah Muhammad ibn Muhammad ibn Abd Allah ibn Idris al-Idrisi (lat. Dreses) arbeitete als Geograph für den König von Sizilien, zeigte zwei Jahrhunderte vor Marco Polo, dass die Erde rund ist und schuf Karten, die noch von Kolumbus verwendet wurden.

Von grösster Bedeutung des universalgelehrten Persers Abu Ali al-Hasan ibn al-Heithem (lat. Alhazen oder Alhacen) sind seine optischen Experimente. Er widerlegte die antike griechische Ansicht, das Auge würde unsichtbare Sehstrahlen aussenden, indem er den Aufbau des Auges analysierte und die Bedeutung der Linse erkannte. Er erweiterte die Theorien der Lichtbrechung und Reflexion und erfand mit diesen Erkenntnissen Lesesteine als Glas und ist somit der Erfinder der Lupe. Seine Schriften, darunter das berühmte Werk Kitab-al-Manazir – «Das Buch der Optik» – sollen Roger Bacon im 13. Jahrhundert zur Erfindung der Brille inspiriert haben.

Tausend Jahre vor den Gebrüdern Wright und sieben Jahrhunderte vor Da Vinci baute der Berber ʿAbbās ibn Firnās 852 den ersten Flugapparat, mit dem er sich vom Minarett der Grossen Moschee in Córdoba stürzte und überlebte. Zwanzig Jahre später, nach stetiger Weiterentwicklung, unternahm er einen zweiten, erfolgreicheren Versuch. Allerdings ist überliefert, dass er bei einem seiner Flugversuche hundert Meter überwand, an den Ausgangspunkt zurückkehrte, sich bei der Landung aber beide Beine brach, eines davon war ein offener Bruch. Ob die arabische Chirurgie ihn wieder herstellte, ist nicht überliefert, aber zumindest war er wahrscheinlich in guten Händen. Neben seiner Erfindertätigkeit war er Dichter, Mathematiker, Astronom und Physiker.

Eher eine Randnotiz verdient der Kaffee, den wir dem Hirtenjungen Khalid aus dem 8. Jhd. verdanken. Er bemerkt, dass seine Tiere erstaunlich munter waren, nachdem sie rote Beeren gegessen hatten. Sufis im Jemen machten einen Sud, al-Qahwa, aus den roten Beeren, den sie tranken, um wach und konzentriert zu bleiben, wenn sie bis tief in die Nacht ihre Gebete sprachen.

Nach einer solchen Blüte ist es erstaunlich, wie das alles auf praktisch Nichts zusammenbrechen konnte. Arabischer Reichtum gründet sich heute nicht mehr auf Wissenschaft und Technik, sondern auf das zufällige Vorkommen von Öl. Arabische Gesellschaften gehören zu den Rückständigsten der Welt. Der Iran, das ehemals stolze Persien, Afghanistan und Saudi-Arabien sind auf das gesellschaftliche Niveau des Mittelalters zurückgefallen. Bürgerkrieg, Terror, Tyrannei und Gewalt regieren heute weite Teile der einstmals arabischen Welt. Wissenschaftlich und kulturell hat Europa seinen alten Lehrmeister überholt und bei weitem überflügelt.

Über die Ursachen habe ich keine umfassende Erklärung gefunden. Es scheint verschiedene Faktoren gegeben zu haben. Eine wesentliche Ursache war wohl der Einmarsch der Mongolen in Baghdad unter Dschingis Khan. Sein Heer richtete verheerende Verwüstungen an. So soll sich der Tigris schwarz gefärbt haben von der Tinte der Bücher, welche die Mongolen in den Fluss geworfen hatten. Ein anderer Grund war wohl der latente Streit zwischen dem freien Denken und dem Koran. So kam es im arabischen Raum nie zu einer Reformation oder einer Aufklärung, wie in Europa. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Wurzeln der eigenen Religion fehlt im Islam fast vollständig. Tendenzen zu einer konservativeren und strengeren Religionsauslegung haben immer wieder zu massiven Rückschlägen geführt — bis heute.

Teil 2: Muslimische Philosophie

(von Michael Ockenfeld)

Muslimische Philosophie u Wissenschaft entsteht im 8./9. Jhdt. Muslime kommen auf ihren Eroberungszügen in Kontakt mit dem Erbe der griechisch römischen Kultur, dem christlich byzantinischen Reich. Sie begegnen antiker Wissenschaft, Literatur, Kultur, Philosophie. Die Eroberer haben an diesen neuen Impulsen aus verschiedenen Gründen Interesse. So benötigt man Mathematik, um ein effizientes Steuersystem in dem sich stetig erweiterten Machtraum einzuführen. Nahrungsmittel müssen gefördert werden mit Hilfe der Agrarwissenschaft oder Mechanik (z.B. Bewässerung). Medizin wird für eine zunehmend organisierte Bevölkerung dringlich. Dann spielen auch ideelle Werte eine Rolle. Die neuen Machthaber wollen die eigene Position und ihr Selbstverständnis stärken. Dazu verwenden sie unter anderem auch das antike Erbe und Wissen. Es entsteht eine grosse Übersetzungstätigkeit ins Arabische. Etliche Autoren finden später so Eingang in die abendländische Kultur (Aristoteles ist beispielsweise weitgehend nur durch die arabischen Übersetzungen erhalten geblieben). Gleichzeitig werden praktische Kenntnisse gesammelt, ausprobiert, verglichen, weiterentwickelt.

Mit der nach und nach eingehenden Flut von zu übersetzenden Texten (z.B. Universität Bagdad) entstehen natürlich auch neue Denkwege. Neue Texte führen nicht nur zu Lösungen sondern werfen auch neue Fragen auf. So gibt es einerseits eine grosse Flut an neuen Gedanken (das antike Erbe) und andererseits die eigene muslimische Tradition (z.B. Koran). Wissenschaftserkenntnis trifft auf Offenbarungswissen. Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich eine eigene muslimische Philosophie. Die beiden Pole verhalten sich in den Jahrhunderten der muslimischen Herrschaft unterschiedlich zueinander. Es gibt Phasen des gegenseitigen Interesses und gemeinsamen Forschens, Phasen der Abgrenzung, Phasen der gegenseitigen Vereinnahmung. Meist dominiert die Theologie, das Dogma. Aber es gibt auch Zeiten, in denen die Philosophie sich emanzipieren kann.

In Bezug zum Thema der Individualität und freies Denken möchte ich hier zwei wichtige muslimische Philosophen vorstellen. Es ist ein Philosophenduett, das die Kontroverse zwischen Dogmatik und freiem Denken in der muslimischen Philosophie beispielhaft aufzeigen soll.

Al Ghazali (gest. 1111) gilt als der herausragendste religiöse Gelehrte seiner Zeit, ja vielleicht sogar des Islam. Seine Bereiche sind Theologie, Recht, Sufismus, Paränese (Mahnrede ohne konkreten Bezug), Polemik usw. Er ist von der aristotelischen Beweisführung (z.B. 1. Prämisse – 2.Prämisse- Konklusion – logischer Beweis) beeindruckt. Er setzt das Aristoteles Studium durch. Er will damit erreichen, dass Theologie und Jurisprudenz ein neues starkes Fundament bekommen sollen. Die Stärke der aristotelischen Logik ist überzeugend, ja in ihrer Weise vollkommen (so wie auch eine mathematische Gleichung). Ghazali geht davon aus, dass Koran und Rechtsprechung genau die gleiche Argumentationskraft der Beweisführung besitzen. Das will er herausarbeiten. Der logische Beweis lässt nur einen Schluss zu. Im Gegensatz zum dialektischen Beweis oder gar der Interpretation. Al Ghazali geht davon aus, dass der von Gott offenbarte Koran diese Fähigkeit logischer Schlüsse beinhalt. Der Koran gilt als vollkommen, also musss sich diese Vollkommenheit in Form von Beweisführung finden lassen. So klar, wie in der aristotelischen Logik oder der demonstrierende Wissenschaft (z.B. ein Versuch). Al Ghazali sieht in der Philosophie sonst aber kaum beachtenswerte Inhalte. Er meint, bei Fragen zu Politik und Ethik könne man ebenso gut die Propheten lesen, in Weisheitssprüchen suchen, oder die Abhandlungen der Sufis studieren. Ganz problematisch sieht Ghazali das Verhältnis zwischen Philosophie und Methaphysik. Denn Philosophen gehen nicht von der Offenbarung aus. Ausserdem verwenden sie mangelhafte Argumente, so Ghazali. Er setzt ein Schriftstück auf mit dem Titel ,,die Inkohärenz der Philosophen,,. Diese Schrift ist eine Art Sammlung häretischer Annahmen der Philosophie. Z.B die Möglichkeit, dass die Welt von Urewigkeit besteht (also nicht geschaffen wurde) oder dass Gott keine Attribute hat (er kann zB nicht allmächtig und gut gleichzeitig sein). Ghazalis Argumentation und Denken hat vor allem die Theologie und das Recht bis heute nachhaltig beeinflusst. Er stützte den Vollkommenheitsanspruch des Korans und hat die Ausübung der islamischen Rechtsprechung stark geprägt.

Hier noch ein Beispiel zum logischen Schluss des Aristoteles:

1.Prämisse alle Menschen sind sterblich 2.Prämisse Sokrates ist ein Mensch Konklusion also ist Sokrates sterblich

Ibn Rushd o. Averroes (gest 1198) stammte aus Cordoba und studierte am Almohadenhof in Marrakesch. Er war ausgebildeter Arzt und Jurist. Er wurde bekannt durch seine intensive Beschäftigung und Kommentierung des Aristoteles. Er antwortet auf die Vorwürfe Ghazalis mit einem eigenen Werk namens ,,die Inkohärenz der Inkohärenz,, und die ,,entscheidende Abhandlung,,. Averroes sieht – im Gegensatz zu Ghazali – gerade im Studuim der Philosophie die Voraussetzung dafür, den passiven Intellekt in einen aktiven zu Verwandeln (Aristoteles ,,über die Seele). Er setzt sich ein für eine klare Trennung zwischenPhilosophie und Theologie ein. Er macht auch den berühmten Arzt Ibn Sina / Avizenna für die unheilvollen Verstrickungen von Religion und Philosophie mitveranwortlich. Methaphysische Spekulation mischt sich in unheilvoller Weise mit echtem Wissen und Erkenntnis. Das besorgt Averroes. In seinem Werk ergründet er, wo die Grenzen der klaren Beweisführung im Koran liegen und zeigt auf, wieviel Interpretationsmöglichkeiten eine Sure z.B. hergibt. Er argumentiert also nicht nur mit Philosophie sondern verwendet den Koran zur Demonstration selbst. Averroes zeigt auch die Grenzen der Dogmatik im Koran auf. Gott hat die Welt aus dem Nichts geschaffen, so das Dogma. Gott war immer schon und besteht ohne Bedingung. Auch hier verweist Averroes auf den Koran, denn dort steht, dass anfangs die Welt wüst und leer war, aber Gottes Geist über dem Wasser schwebte. Aus diesem Text könne, so Averroes, deshalb nicht abgeleitet werden, dass die Welt aus dem Nichts geschaffen wurde. Wasser zumindest war schon da. Das könne ein Hinweis darauf sein, dass Materie immer schon da war. Averroes zeigt auf, dass viele Interpretationen in ein und derselben Stelle möglich sind. Deshalb könne niemand eine Gegeninterpretation als Häresie abtun. Jede Interpretation kann irren, der Koran lässt mehrere dialektische Schlüsse zu. Er ist keine mathematische Gleichung, mit der eindeutig argumentiert werden kann. Averroes verweist die Theologie in ihre Grenzen und setzt sich in seiner Philosophie auch sehr für die Gleichberechtigung der Frauen ein.

Die heutige muslimische Philosophie ist die Summe alle dessen, was sich in den Jahrhunderten später entwickelt hat. Es gab z.B. eine ausgefeilte osmanische Philosophie, die eigenständige Weiterentwiclungen des antiken Erbes bewerkstelligte. Vieles beeinflusste die muslimische Philosophie. So z.B die zunehmende Bedeutungslosigkeit arabischer Handelswege und Handelskunst durch die europäische Entdeckung der Seewege. Die Mongoleneinfälle und die damit verbundene Vernichtung intellektuellen Lebens. Die später rasamte Entwicklung des Westens, die Kolonisation und die daraus entstandenen Identifikationsprobleme.

Folgende Themenkreise stehen beispielhaft für die sozialen und politischen Herausforderungen in den muslimischen Ländern. Themenkreis Aufklärung: soll die muslimische Welt den Westen darin kopieren, oder ist eine eigenständige Form von Aufklärung nötig? Wenn ja, wie sieht diese aus? Themenkreis Religion: reicht eine Reform, muss Trennung von Staat u Religion vollzogen werden, oder soll die Religion viel mehr als bisher der Staatslenkung dienen? Themenkreis Wirtschaft. In welchen Bereichen muss sich die muslimische Welt engwickeln, wie kann sie das machen, welche Chancen hat sie dadurch? Themenkreis panislamische Idee (Nasser, das Anknüpfen an die grosse Zeit im Mittelalter) und die Identifikation mit der Idee hat sich als Blase erwiesen (1967). Brauch es derart grosse Identifikationsbewegungen für einen Neubeginn? Oder stehen andere Impulse zu Verfügung?

Das sind einige der Themenbereiche, über die seit mehreren Jahrzehnten nachgedacht wird. Unterschiedlichste Philosophen haben hierzu Beiträge geleistet oder Lösungen gesucht. Konservative, aufklärerische, nationalistische, religiöse, freidenkende und revolutionäre. In die Ecke der aufklärerisch freidenkenden demokratisch gesinnten Philosophie gehören Autoren wie Sadik al Azm (geb 1934), Zaki Nagib Mahmud (1905 – 1993), Tayyib Tizini (geb 1938), Abd al Lah al Aroui (geb 1933), Muhammad Arkoun (1928 – 2010), Nasr Hamid Abu Zaid (1943 – 2010), Muhammad al Gabiri (1936 – 2010), Qasim Amin ( 1863 – 1908). Für diese Autoren sind Sekularisation, Trennung von Religion u Staat und die Geschlechtergleichberechtigung wichtig. Die meisten von ihnen haben zum Teil an westlichen Universitäten studiert. Ihre Lösungsvorschläge sind einerseits innermuslimisch angesetzt (z.B. Rückbesinnung auf Averroes und eine ,,averroische,, Philosophie in Politik und öffentlichem Leben) andererseits sind die Lösungsvorschläge ganz aus der nichtmuslimischen Welt beigezogen (Psychoanalyse, Dekonstruktion etc.). Von den meisten dieser Denker wird gefordert, dass sich die muslimische Welt neue eigene Ideen aneignen muss. Wirtschaftlich, sozial, politisch.

Neben diesen gibt es eine grosse Menge nichtsäkularer, nationalistischer, reinreligiöser, teilreligiöser, an Historie ausgerichteter, und auch fundamentale Philosophen/ Autoren. Ein Teil von ihnen lehnt westliche Erfanrungen und Lösungsansötze für eine Reformierung strikt ab und sucht ausschliesslich nach innermuslimischen Lösungen. Dennoch sind sie dabei nicht immer zugleich fundamentalistisch oder radikal. Sie möchten eher verhindern, dass eine zweite Kolonialisierung mit anderen Vorzeichen über die muslimische Welt hereinbricht. Zum Teil sind diese Denker auch Gründer von neuen muslimischen Bewegungen wie den Muslimbruderschaften. Rasid Rida (1865 – 1935), Sayy id Qutb (1906 – 1966), Hasan al Banna (1906 – 1949).

Quellen

Teil 1

Teil 2: Muslimische Philosophie

  • C.H Beck/ Ulrich Rudolph/ Islamische Philosophie (2004)
  • Abdelkader Al Ghouz/ Vernunft und Kanon in der zeitgenössischen arabisch -Islamischen Philosophie (2015)