"Was die Grundwerte mit der Bibel zu tun haben" - Freidenker Replik

Im Walliser Boten werden regelmässig unter der Rubrik "Kirche und Welt" die Positionen der Kirche zu aktuellen Tagesthemen publiziert. In Ermangelung einer solchen medialen Plattform können wir der Stimme der Konfessionsfreien lediglich in Form von kleinen Leserbriefen Ausdruck verleihen. Dennoch wollen wir es nicht unterlassen, die Aussagen der Kirche zu qualifizieren und im Verhältnis zu einer weltoffenen Wertehaltung zu setzen.

So erschien am 30. November 2018 unter dem Titel "Was die Grundwerte mit der Bibel zu tun haben"  im Walliser Boten ein Artikel aus der Feder von "KID/pm", den wir nicht unkommentiert lassen konnten. Unsere Replik sprengte leider den Platz, den man uns zur Verfügung stellen kann, deshalb folgt nun hier im Blog unsere Antwort:

Verallgemeinerungen

Mit dem Machtwort „Christliche Werte werden aus der Bibel geschöpft oder sie sind nicht christlich.“ und der gleichzeitigen Ermahnung, dass man als Bürger unseres Kantones die Bibel kennen müsse um Land und Leute zu verstehen, proklamiert die Kirche für sich die Alleinurheberschaft aller Werte unserer Gesellschaft und schliesst im gleichen Atemzug alle andere Weltanschauungen aus. Dies bedauern wir.

Literatur und Redensarten

Es ist unbestritten, dass die Bibel unseren Kulturkreis geprägt hat und dass es viele Begriffe gibt, welche losgelöst von der Bibel keinen Sinn ergeben würden. Sprichworte wie „den Brotkrumen folgen“, „3 auf einen Schlag“ oder die Betitelung des „Hans im Glück“ wären ohne Grimms Märchen auch nicht nachvollziehbar. Und wer Goethe nicht gelesen hat wird ebenfalls die Herkunft viele Redensarten im deutschen Sprachraum nicht verstehen können (z.B. „sich etwas aus den Fingern saugen“).

Quellen von Inspiration und Trost

Wenn ich die Bibel lese, kann ich beispielsweise nicht nachvollziehen warum eine Johanna Spyri von der offensichtlichen Frauenfeindlichkeit nicht angewidert wurde. Die Lektüre alleine lässt mich also nicht verstehen, warum und wie gewisse Menschen daraus Zuversicht und Inspiration gewinnen konnten und können. Aber das ist für mich auch nicht wichtig, solange wir uns gegenseitig mit Respekt begegnen können.

Neue Zeit - neue Herausforderungen

In einer pluralistischen Welt in welcher immer mehr Kulturen auf immer geringer werdendem Raum aufeinander treffen ist es eine logische Konsequenz, dass im Schulunterricht die Grundlage für ein respektvolles Miteinander geschaffen wird indem den Kindern auch andere Religionen und Kulturen nahegebracht werden. Es ist bedauerlich, dass die Kirche hier ihren Missionsauftrag schwerer gewichtet als die Schaffung von kulturellem Verständnis und Austausch, dem ersten Schritt für nachhaltigen Frieden.

Kritik an Kindstaufen

Die Kindstaufe wirkt für Aussenstehende oft wie ein religiöser Erstschlag im Kampf um Glaubensanhänger: noch bevor eine Religionsmündigkeit besteht, wird das Kind bereits zum Christ gemacht. Selbst mit den besten Absichten und in der Überzeugung, dem Kind damit ein Geschenk zu machen, bleibt doch zu bedenken, dass die Bedürfnisse des Kindes denjenigen der Eltern und der Kirche untergeordnet werden. Eine Taufe aus freier Überzeugung scheint im Vergleich zur Kindstaufe viel bedeutungsvoller, und ist in der Bibel auch wesentlich besser dokumentiert.

Gegen Ausgrenzung an öffentlichen Schulen

Die Freidenker begrüssen es, wenn sich alle Kinder – unabhängig von ihrer Religion – von der öffentlichen Schule angesprochen fühlen. Solange eine religiöse Vormachtstellung demonstriert wird, geht Diskriminierung damit einher. Wir wollen nicht, dass sich Kinder wegen etwas ausgeschlossen fühlen, für das sie nichts können, sondern dass die Kinder erkennen, dass trotz aller Unterschiede viele Gemeinsamkeiten bestehen und dass es ihnen frei steht zu wählen, woher und wie sie Trost und Inspiration beziehen möchten.

Appell zur Rückbesinnung

Umso wichtiger ist es aus unserer Sicht, dass die Kirche ihre Pflicht gegenüber ihren Mitgliedern wieder ernst nimmt und die christliche Lehre in all ihren Einzelheiten ausserhalb des öffentlichen Unterrichts vermittelt. Wir sind überzeugt, dass das Modell der freiwilligen Sonntagsschule durchaus die Qualität des Glaubens und die Verbundenheit zur Religion stärken kann. Die abnehmenden Mitgliederzahlen und das nachlassende Interesse in der Gesellschaft an der Kirche untermauern diese These: Wenn die Kirche sich der Infrastruktur einer pluralistischen Allgemeinheit bedient, darf sie sich systembedingt auch nicht voll entfalten. Nur der Ausbruch aus diesem Kompromiss kann die Kirche aus diesem Dilemma befreien.