Materialien zu «Religion und Kultur»: ungenügende Verbesserungen
Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich stellte heute die Mittel- und Oberstufenmaterialien zum Schulfach «Religion und Kultur vor».
Die Zürcher FreidenkerInnen haben dazu folgende Medienmitteilung verschickt:
Materialien zu «Religion und Kultur»: ungenügende Verbesserungen
Die Herausgeber der Materialien zum Schulfach «Religion und Kultur» haben die berechtigten Erwartungen der konfessionslosen Bevölkerung nicht erfüllt. Für die FreidenkerInnen hat es in den Lehrmitteln zu viel Religion und zu wenig Kultur. (Das Fach heisst ja nicht «Religion und Kultus» oder «Religion und Kulte», sondern «Religion und Kultur».)
Die Kulturschaffenden der Gegenwart und der europäischen Geschichte fehlen völlig, z.B. Vorkämpfer der Aufklärung (Voltaire, Rousseau) und des modernen Schulsystems (Pestalozzi), Vorkämpfer eines wissenschaftlichen Weltbildes (Galilei, Humboldt), wichtige Grössen der Künste mit Bezug zur Schweiz (Goethe, Schiller, Gottfried Keller; Mozart, Haydn, Wagner; LeCorbusier, Max Bill, Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely).
Statt dessen erfahren unsere Sekundarschülerinnen und -schüler unter anderem, wie eine Nonne eingekleidet wird…
Figuren, die eine nicht religionsbezogene Weltanschauung vertreten, fristen ein Schattendasein, werden allenfalls in Begleitmaterialien für die Lehrpersonen ausgelagert. Damit bleibt ein fundamentales Problem des Fachs bestehen: Kinder aus nicht-religiösen Elternhäusern finden sich in den Materialien kaum wieder, es wird so implizit vermittelt, dass ihnen im Vergleich zu ihren gläubigen Klassenkameraden etwas fehle. Es müsste aber ausdrückliche Aufgabe eines solchen Lehrmittels sein, derartige Stigmatisierungen zu verhindern. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Religiosität in der Schweizer Bevölkerung stetig zurückgeht. Gemäss Stolz et al (2011) haben rund zwei Drittel der Bevölkerung ein distanziertes Verhältnis zur Religion.
Auch die Ethik als Bestandteil der Kultur fehlt völlig. Dabei wurde im Kantonsrat bei der Zustimmung zu diesem Fach ausdrücklich gefordert, Fragen nach ethischem Handeln und Werthaltungen zu behandeln (Zitat Postulat Widmer-Graf siehe unten). An der Medienkonferenz argumentieren die Vertreter der Bildungsdirektion, dass Ethik in einem anderen Fach vorgesehen sei, doch dieses Gefäss gibt es in der Realität nicht.
Im Gegensatz zum Kanton Graubünden setzt Zürich nach wie vor auf das reine Vermitteln von Faktenwissen über Religionen. Wichtige und nützliche Kompetenzen wie das Einnehmen können anderer Standpunkte, das Einordnen können von Argumenten und Behauptungen können mit diesen Lehrmitteln nicht gezielt gefördert werden. Dies ist eine grosse verpasste Chance – und ein schlechter Einsatz von Steuergeldern.
Die Freidenker anerkennen, dass die Lehrmittel grafisch sehr attraktiv und didaktisch modern daherkommen und punktuell Kritik und Anregungen ihres Vertreters aufgegriffen und verarbeitet wurden. Die FreidenkerInnen haben sich nie dagegen gewehrt, dass ein Mass an Religionskunde Teil des Volksschullehrplans ist. Doch das Gesamtwerk bleibt aus ihrer Sicht ungenügend und enttäuschend, und das Fach kratzt nach wie vor am verfassungsmässigen Verbot, Personen unter Zwang Religionsunterricht auszusetzen.
Die FreidenkerInnen zählen darauf, dass das Fach im Rahmen der Harmonisierung durch den Lehrplan 21 neu konzipiert wird, damit auch der Kanton Zürich ein zukunftsfähiges Fach erhält, das tatsächlich eine Bereicherung für den Stundenplan und die Schülerinnen und Schüler darstellt und nicht wie das heutige Fach von den Lehrpersonen abverlangt, im Schulzimmer die nach wie vor eklatanten Mängel der offiziellen Materialien zu korrigieren.
Als Hintergrund: Input der FreidenkerInnen zu Blickpunkte 2 (.doc) und Blickpunkte 3 (.doc) im Rahmen der Einsitznahme in der der Begleitgruppe zu «Religion und Kultur».
Auszug aus dem Postulat von Andrea Widmer-Graf aus dem Jahr 2005:
«Im Fach «Religion und Kultur» sollen Fragen nach ethischem Handeln und nach Werthaltungen zur Sprache kommen. Ein obligatorisches Fach hat den grossen Vorteil, dass alle Kinder einbezogen werden. Auf diese Art kann das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Integration und zu einem friedlichen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft leisten. Es trägt zu einem besseren Verständnis von unterschiedlichen Kulturen und Religionen bei und fördert Solidarität, Rücksichtnahme und Toleranz.»
Kontakte: Dr. Alfred Rudorf, mediation.rudorf@bluewin.ch, 044 271 05 07 Vertreter der FreidenkerInnen in der Begleitgruppe zu «Religion und Kultur» während der Entstehung von Blickpunkte 2 & 3
Andreas Kyriacou andreas.kyriacou@frei-denken.ch, 076 479 62 96 Vertreter der FreidenkerInnen in der Begleitgruppe zu «Religion und Kultur» während der Entstehung von Blickpunkte 1