Freitodbegleitung: Praxisferne Studie über Belastung Angehöriger

Die Schlagzeile auf der Frontseite schreckte auf: «Nach Freitodbegleitung erkrankt jeder vierte Angehörige psychisch.» Dies hat eine Studie der Zürcher Universität im Rahmen eines nationalen Forschungsprogramms ergeben (TA vom Donnerstag). Angehörige leiden nach einer Sterbehilfe unter posttraumatischen Belastungsstörungen, heisst es, viele kämpfen mit Depressionen und brauchen ärztliche Hilfe. Kritiker sehen sich bestätigt: Die Freitodbegleitung, die besonders in religiösen und ländlichen Kreisen geächtet wird, ist für Angehörige kaum zu ertragen. Tatsächlich?

Psychische Leiden sind komplex. Die Ursache monokausal bei der Sterbebegleitung zu orten, ist gewagt. Auch der natürliche Tod eines Angehörigen führt zu einer psychischen Belastung: Rund zehn Prozent der Hinterbliebenen leiden danach ebenfalls unter Depressionen. Somit relativieren sich die erhobenen Zahlen bei der Sterbehilfe erheblich.

Unsensible Polizisten Zieht man noch jene Fälle ab, die vor allem wegen der gesellschaftlichen Ächtung der Freitodbegleitung und der anschliessenden behördlichen Untersuchung zu posttraumatischen Störungen führen, verlieren die Untersuchungsresultate weiter an Dramatik. Die Studie hat nämlich ergeben, dass die Anwesenheit von Ärzten, Staatsanwälten und bewaffneten Polizisten, welche die Befragungen oft wenig sensibel durchführen, das Leiden der Hinterbliebenen verstärkt. Kommt hinzu, dass das Forscherteam lediglich 85 Personen befragt hat. Die Aussagen sind also nur bedingt repräsentativ.

Wie praxisfremd die Studie ist, verdeutlicht ein weiterer Umstand: Manche, die heute den begleiteten Freitod wählen, hätten früher Suizid begangen. Eine Selbsttötung belastet aber Angehörige ungleich stärker, weil sie aus heiterem Himmel kommt, Hilflosigkeit und Schuldgefühle auslöst. Findet gar ein Angehöriger seinen Lebenspartner erhängt oder mit zerschossenem Schädel im Estrich, sind die psychischen Belastungen wohl grösser als bei einer Sterbebegleitung. Diese ermöglicht immerhin einen würdigen Abschied.

Hugo Stamm TA, 5.10.2012