Diskussion der Knabenbeschneidung in der Schweiz 2009

Derzeit wird verschiedentlich behauptet, im Rahmen der Debatte zum Strafbestand der weiblichen Genitalverstümmelung sei der Einbezug der Knabenbeschneidung ausführlich diskutiert und klar abgelehnt worden. Die Dokumente zeigen ein anderes Bild: Stellungnahme des Bundesrates

Rein rechtlich gesehen bedürfte es der vorgeschlagenen Ergänzung des Strafgesetzbuches somit nicht. Auch liesse sich fragen, ob der neue Straftatbestand tatsächlich Beweis- und Abgrenzungsprobleme zu lösen vermag: Auf eine gründliche Abklärung des Sachverhaltes und eine genaue Erhebung der vom Opfer erlittenen Schädigungen wird man auch bei Anwendung des neuen Straftatbestandes nicht verzichten können, da die Kenntnis dieser Tatsachen bei der Strafzumessung unerlässlich sind.

Schliesslich erscheint es auch nicht ganz konsequent, die Verletzung ausschliesslich der weiblichen, nicht aber auch der männlichen Genitalien in einem Sondertatbestand zu erfassen. Diese Ungleichbehandlung lässt sich nur insoweit rechtfertigen, als die schwere Art der Verletzung weiblicher Genitalien über den Hauptfall der männlichen Beschneidung hinausgeht. Zudem beschränkt sich auch das internationale Recht auf die Ächtung der Verletzung der weiblichen Genitalien. Bezüglich der männlichen Beschneidung gibt es keine internationalen Vorgaben.

Beratung im Nationalrat

Baettig Dominique (SVP, JU): Madame Roth-Bernasconi, je partage tout à fait votre condamnation sans appel des mutilations sexuelles féminines. Mais qu'en est-il des mutilations sexuelles masculines? Pourquoi avez-vous oublié ces mutilations pour des raisons culturelles, religieuses ou hygiéniques? Y aurait-il une différence de traitement? Est-ce qu'une mutilation sexuelle masculine serait moins dommageable qu'une mutilation sexuelle féminine?

Roth-Bernasconi Maria (SP, GE): Monsieur Baettig, vous êtes médecin. Je pense que vous avez aussi étudié la médecine, donc que vous savez que les hommes ne sont pas mutilés sexuellement. Une circoncision masculine n'est pas la même chose qu'une mutilation génitale féminine. Je me demande si vous savez comment il faut toucher une femme si vous me posez cette question. (Brouhaha)

Leutenegger Filippo (FDP, ZH): Frau Kollegin, ich habe eine Verständnisfrage. Nachdem Frau Roth-Bernasconi auf die berechtigte Frage von Herrn Baettig eine schnoddrige Antwort gegeben hat, möchte ich Sie fragen, ob Sie hier eine Antwort haben. Nachdem ja die Buben oder Männer in diesem Gesetz nicht eingeschlossen sind - wie ist dann die Beschneidung eines Knaben zu beurteilen? Können Sie mir das sagen? Sie haben sich das sicher überlegt.

Schmid-Federer Barbara (CVP, ZH): Das ist richtig, über diese Frage haben wir tatsächlich längere Zeit diskutiert. Eine Mehrheit der Kommission hat dann aber beschlossen, die Beschneidung von Männern nicht in dieses Gesetz einzubeziehen, weil deren Sexualität ja durch die Beschneidung nicht beeinträchtigt wird und weil es bei ihnen auch keine Verstümmelung im Sinn von schwerer Verletzung ist.

http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4809/304731/d_n_4809_304731_304903.htm

Es ist also deutlich, dass die Diskussion vor allem erstickt worden ist.

Vernehmlassungsbericht September 2009

9 Weitere Bemerkungen Die männliche Beschneidung, die weltweit interkulturell und interreligiös als unproblematisch angesehen werde, sei in keiner Weise zu vergleichen mit der weiblichen Genitalverstümmelung (LU, ZH; KIFS). Sie sei zu Recht nicht einbezogen worden, da ein solcher Straftatbestand weit über das Anliegen der Parlamentarischen Initiative 05.404 hinausgehen würde (FDP). Die gemäss den jüdischen Religionsvorschriften durchgeführte Beschneidung der männlichen Genitalien sei nicht problematisch und solle deshalb von der neuen Strafnorm nicht erfasst werden. Jeder Versuch, die von der jüdischen und der muslimischen Religion praktizierte Zirkumzision einzuschränken oder unter Strafe zu stellen, wäre als Eingriff in die von Artikel 15 BV garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das Recht auf freie Religionsausübung zu betrachten (SIG).

Eine alleinige Regelung der weiblichen Beschneidung sei ein falsches Signal, auch wenn die Tatbestände der weiblichen und männlichen Beschneidungen sich in ihrer Tragweite grundsätzlich unterscheiden würden. Die religiös oder kulturell begründete Beschneidung von Knaben sei ebenfalls eine Verstümmelung, welche die Integrität der Betroffenen verletze. Jeder nicht ernsthaft medizinisch begründete chirurgische Eingriff an den Genitalien von Minderjährigen sei eine Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit (KVP; FVS).

Es sei zu bedauern, dass die Frage der sexuellen Verstümmelung bei zwischengeschlechtlichen Personen in diesem Zusammenhang nicht angegangen worden sei (Grüne; Amnesty International, TDF).

Vernehmlassungsbericht des Bundes: http://www.parlament.ch/d/dokumentation/berichte/vernehmlassungen/05-404/Documents/05-404-vernehmlassungsergebnisse-2009-09-d.pdf

Auch hier wurde – sofern die Vernehmlassenden überhaupt das Thema angeschnitten haben – reflexartig eine Verletzung der Religionsfreiheit angemahnt.