Die Nebelmaschine der Desinformation

Ob bei Corona, dem Klimawandel oder der Wirksamkeit von Impfungen: P-L-U-R-V sind die häufigsten Desinformationstricks von Wissenschaftsleugnern.

Mann an Wandtafel

von Pietro Cavadini

Ob Corona-Pandemie oder Klimawandel – Wissenschaftsleugner verdrehen gerne die Fakten, um Desinformation zu verbreiten und Verschwörungsmythen plausibel erscheinen zu lassen: «Covid-19 ist nicht schlimmer als die normale Grippe und wird in Wahrheit durch Bakterien, nicht Viren verursacht», «Bill Gates hat die Corona-Krise erfunden, um die Menschheit zwangsweise zu impfen», «Atemmasken sind gefährlich, weil sich dahinter Kohlenmonoxid und Kohlendioxid staut», «Der Mensch kann gar nicht für den Klimawandel verantwortlich sein, denn das Klima hat sich doch schon immer geändert» und so weiter. Komplizierte Sachverhalte wie der Klimawandel oder die Corona-Pandemie stellen viele Menschen vor persönliche oder berufliche Herausforderungen. Jeder und jede geht anders mit der daraus entstehenden Frustration um – die einen konstruktiv, die anderen destruktiv. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich der australische Kognitionspsychologe John Cook mit Falschinformationen zum Klimawandel. Die grösste Resonanz seiner Arbeiten hatte eine schlichte Kette von fünf Buchstaben: F-L-I-C-C. Mit diesem Kunstwort fasste Cook die fünf häufigsten Methoden von Klimawandel-Leugnern zusammen. Im Englischen stehen die Buchstaben für Fake Experts, Logical Fallacies, Impossible Expectations, Cherry Picking und Conspiracy Myths. Ins Deutsche übertragen wurde aus F-L-I-C-C die Abkürzung P-L-U-R-V: Pseudo-Experten, Logikfehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen. P-L-U-R-V beschreibt einerseits Denkfehler, anderseits bewusst getroffene falsche Annahmen sowie Aussagen, die den wissenschaftlichen Konsens der führenden Forscher und Forscherinnen auf dem jeweiligen Gebiet völlig ausser Acht lassen. Laien erklären sich so die zum Teil äusserst komplizierten Sachverhalte auf einfache Art und Weise – lassen dabei jedoch entscheidende Fakten weg oder verdrehen sie. Aufhetzer und Demagogen machen sich die einzelnen P-L-U-R-V-Methoden zunutze, um zu polarisieren, Aufmerksamkeit zu generieren oder Anhänger um sich zu scharen.

Pseudo-Experten:

Pseudo-Experten und -Expertinnen sind unqualifizierte Personen, die sich in der Öffentlichkeit lautstark äussern und ihre Autorität nutzen, etwa mit einem akademischen Titel, um als Koryphäe wahrgenommen zu werden. Beispielsweise ein pensionierter oder fachfremder Wissenschaftler, der den aktuellen Stand der Forschung nicht kennt oder falsch deutet. Pseudo-Experten werden meist dann zitiert, wenn scheinbar seriös gegen den etablierten Wissensstand argumentiert werden soll. Diese «Experten» oder «Expertinnen» haben meist keine relevanten Forschungsleistungen vorzuweisen, dafür Professorentitel und einen Wissenschaftsjargon, was für den Laien nach Kompetenz klingt. In welchem Fach oder wann sie das letzte Mal publiziert haben, spielt keine Rolle. Zum Thema Pseudo-Experten gehört auch das typische Phänomen der «false balance» in den Medien: das Präsentieren vom Vertreter der einen und der anderen Meinung, sodass diese Meinungen als gleichwertig dargestellt werden. In Wirklichkeit steht aber eine unbedeutende Minderheitsmeinung gegen eine Mehrheitsmeinung. Die Mehrheitsmeinung wird häufig von Leuten vertreten, die professionelle Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen sind und die neben der Medientätigkeit auch eine Berufstätigkeit ausüben. Solche Fachleute können nicht ständig in den Medien auftreten wie gewisse Pseudo-Experten, die durch die Talksows tingeln. Deswegen sieht das am Ende in den Medien so aus, als ginge es hier um zwei gleichwertige Meinungen.

Logikfehler

Aus wissenschaftlichen Daten oder Erkenntnissen werden falsche Schlüsse gezogen und diese zum Teil mit irreführenden Analogien untermauert wie: «Auch die Grippe tötet jedes Jahr viele Menschen. Corona ist also gar nicht so schlimm.» Einer der klassischen Logikfehler beim Klimawandel ist die These, das Klima habe sich schon immer geändert, also sei der Mensch nicht schuld (siehe auch Seite 12). Das ist so, als fände man eine Leiche mit einem Messer im Rücken und würde argumentieren, Menschen würden von Natur aus sterben, also sei dies kein Mord. Ein anderes Beispiel ist das Präventionsparadox. Unter dem Präventionsparadox versteht man das Phänomen, dass Präventionsmassnahmen, die erfolgreich sind, das Problem kleiner erscheinen lassen, als es ist, wenn zuvor einschneidende Massnahmen durchgesetzt wurden. Dass diese Fehleinschätzung in der aktuellen Pandemie funktioniert, ist erstaunlich. Denn es gibt eindrucksvolle Beispiele, die zeigen, was passiert, wenn man die Gefahren der Pandemie komplett ignoriert (zum Beispiel Brasilien) oder wenn man Massnahmen ergreift, die nicht ausreichen, um die Bevölkerung vor schweren Krankheitsverläufen oder vor dem Tod zu schützen (zum Beispiel Schweden). Diese Beispiele werden von den Leugnern allerdings ignoriert oder mit fadenscheinigen Argumenten bagatellisiert.

Unerfüllbare Erwartungen:

Von Wissenschaftlern oder Forschungsgruppen wird Unmögliches verlangt, zum Beispiel perfekte Corona- Tests oder Vorhersagen der Pandemie- Entwicklung mit 100-prozentiger Genauigkeit. Wenn die Erwartungen nicht komplett erfüllt werden, wird die gesamte Forschungsgruppe oder die Wissenschaft an sich angezweifelt. Zweifler fordern deshalb gern unmögliche Beweise – etwa, dass bei den Toten mit Corona bewiesen werden muss, dass sie nicht nur mit, sondern auch an dem Coronavirus gestorben sind. Oder den experimentellen Nachweis, dass die globale Erwärmung durch den CO2-Anstieg verursacht wird. Die Grundlage – dass CO2 langwellige Strahlung einfängt – ist freilich seit 1869 experimentell im Labor bewiesen, aber das reicht den Leugnern nicht. Ein Experiment mit der ganzen Erde muss her.

PLURV-Grafik von Marie-Pascale Gafinen

Rosinenpickerei:

Ein einzelner Aspekt, eine Anekdote oder ein Einzelfall wird herausgepickt und als Gegenbeweis zum wissenschaftlichen Konsens aufgeführt. Zum Beispiel: «Mein Schwager hatte Covid-19 ohne jegliche Symptome. So schlimm kann die Krankheit also nicht sein.» Gute Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wollen die Welt verstehen – und wägen dazu alle verfügbaren Informationen kritisch ab. Ideologen wollen ihre vorgefasste Meinung bestätigen, picken sich dazu die passenden Daten heraus und übersehen geflissentlich einen Berg gegenläufiger Belege. Wer die Corona-Krise verharmlosen will, sucht sich einige Studien heraus, die eine möglichst geringe Sterblichkeit der Infizierten ergeben – was an zu kleinen oder nicht repräsentativen Stichproben oder an unzuverlässigen Tests liegen kann. Er oder sie übersieht viele andere Studien und das, was an den Orten geschah, wo sich Corona stark verbreitet hat. Das widerspricht allen wissenschaftlichen Prinzipien, nach denen Hypothesen unvoreingenommen mit offenem Ergebnis geprüft werden sollen. Wer hingegen einer Ideologie nachläuft, kann diese kritische Offenheit nicht gebrauchen. Beliebt sind hier Einzelfälle, die von bedingter Aussagekraft und in der wissenschaftlichen Beweisführung wertlos sind. Auch diese Rosinenpickerei kennt man in der Klimaforschung: Mal kühlt sich die Erde angeblich ab, mal sinkt der Meeresspiegel, oder es gibt einen Rekordzuwachs an Polareis (nämlich dann, wenn das im Sommer auf ein Rekordminimum geschmolzene Packeis in einer Winterpolarnacht wieder zufriert). Oder es gibt dort, wo man wohnt, gerade kaltes Wetter.

Verschwörungsmythen:

Verführerisch einfache Lösungen oder Erklärungen werden für komplexe Probleme angeboten. Etwa dass bestimmte Organisationen, Wissenschaftler oder einzelne Personen wie Bill Gates hinter der Corona Pandemie stecken, da sie vermeintlich davon profitieren würden. Um wahr zu sein, würden viele dieser Fake-Geschichten eine atemberaubende Inkompetenz von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erfordern. Doch natürlich können professionelle Virologen und Virologinnen Viren von Bakterien unterscheiden. Und ja, professionelle Klimaforscher wissen, dass das Klima sich schon vor dem Einfluss des Menschen geändert hat. Sie haben das selbst detailliert dokumentiert und benutzen die natürlichen Klimaveränderungen schon seit Jahrzehnten, um Modelle zu testen und um die Empfindlichkeit des Klimas gegenüber Störungen zu quantifizieren. Da Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wohl kaum so inkompetent sein können, wird eine grosse Verschwörung der Forscher behauptet, die gezielt Daten fälschen und die Öffentlichkeit täuschen. Allerdings würde es sich dabei um eine extrem grosse, internationale Verschwörung handeln, deren wasserdichte Organisation ziemlich unmöglich ist. Zum Stichwort «Klimawandel» etwa erscheinen jährlich über 20’000 Studien in der Fachliteratur, von Forschern und Forscherinnen aller Kulturen und politischen Vorlieben, die nichts lieber täten, als etwas sensationell Neues, Anderes belegen zu können als den langweiligen «Mainstream». Eine andere Art von Verschwörungsmythos entsteht, wenn sich der Experte gar nicht wehrt. Dazu der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten: «Da ist so ein Experte in der Öffentlichkeit, dem unterstellt man allerhand dreckige Dinge. Also zum Beispiel, dem unterstellt man: ‹Der hat einen PCR-Test erfunden, der das Virus nicht zeigt, sondern irgendwas anderes. Und damit verdient er dann auch noch Geld.› Und die Tatsache, dass sich dieser Experte darauf öffentlich nicht äussert, weil das so an den Haaren herbeigezogen ist, dass man da gar nicht erst anfangen braucht, sich dagegen zu äussern, weil es so objektiv falsch ist: Das wird dann aber so rumgedreht, dass die Tatsache, dass dieser Angegriffene sich nicht äussert, ja wohl bestätigen muss, dass diese Vorwürfe stimmen.»

Mehr als zwanzig weitere Tricks

Diese fünf Tricks – zusammengefasst in der Abkürzung P-L-U-R-V – sind es, die immer wieder bei Desinformationskampagnen angewandt werden, und zwar nicht nur beim Klimawandel oder bei der Corona-Pandemie, sondern bei vielen anderen Themen mit Wissenschaftsbezug. Bei der 5G-Technologie und dem Elektrosmog genauso wie in den 90er-Jahren bei HIV. Innerhalb der fünf Kategorien lassen sich weitere Untertypen der Tricks finden, mehr als zwanzig hat Cook beschrieben. Hat man die Grundstrategien einmal durchschaut, sagt Cook, dann ist man viel weniger anfällig für weitere Versuche von Desinformation – sondern sozusagen grundimmunisiert, also geimpft.


Dieser Artikel erschien in der Sommerausgabe unseres Magazins frei denken. Es erscheint vierteljährlich mit 28 Seiten Umfang. Neugierig? Wir schicken gerne ein Gratis-Probeabo für zwei Nummern.

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